Niklaus Meienberg
Das Schmettern des gallischen Hahns
Reportagen aus Frankreich
Mit einem Nachwort von Lothar Baier
Januar 1987
978-3-85791-123-1
So kommt das:
Der Korrespondent erwacht knapp vor sieben Uhr. Mit täglich neuer Zielstrebigkeit treibt es ihn zum nächsten Kiosk, wo die Zeitungsfrau ihm schon alle Morgenzeitungen entgegenstreckt (oder fast alle, denn auf ‹Libération› und ‹Humanité› verzichten viele). Das macht also immerhin drei Morgenzeitungen, welche der Korrespondent nun in seiner Gewissenhaftigkeit studiert. Mit einem Ohr hört er dabei die Morgennachrichten. Nachdem er die frischen Zeitungen ausgeweidet hat, welche ideologisch alle ungefähr zwischen dem ‹Bayernkurier› und der ‹Frankfurter Allgemeinen› liegen, wenn nicht sogar rechts vom ‹Bayernkurier›, konsultiert er noch die Abendzeitungen vom Vortag: ‹Le Monde›, ‹La Croix› und ‹France-Soir›. Nun hat er also sein beruhigend breites Meinungsspektrum vor sich: vom rassistisch geifernden ‹Parisien libéré› über den neokolonialistischen ‹Aurore›, den stockkonservativen ‹Figaro›, den gaullistischen ‹France-Soir›, die katholische ‹La Croix› bis hin zum linksbürgerlichen ‹Le Monde› sind alle Schattierungen innerhalb des bürgerlichen Schattens vorhanden. Da unser Korrespondent der Objektivität verpflichtet ist, berücksichtigt er in seiner Bouillabaisse alle Ingredienzen, an manchen Tagen sogar die ‹Humanité›. Unter kräftigem Umrühren mischt er die Zutaten zu einem völlig neuen Brei, so dass die ursprünglichen Brocken nicht mehr erkennbar sind und sein Eintopfgericht riecht, als ob es eine originale Schöpfung wäre.»
Auszug aus Von unserem Pariser Korrespondenten
© Roland Gretler
Niklaus Meienberg
Niklaus Meienberg (1940–1993), Historiker, Schriftsteller und Journalist. Er erfand die Reportage neu und dichtete ungeniert mit dem überlieferten Material europäischer Lyrik. Mit seinen Texten zur Zeitgeschichte war er ein grosser Streiter, dessen «Sprachgewalt» auch seine Feinde bewunderten. Wie kein zweiter hat sich Niklaus Meienberg der Öffentlichkeit ausgesetzt, seine ganze Person hat er in seine Texte eingebracht, und mit seiner ganzen Person ist er für sie eingestanden.Von unserem Pariser Korrespondenten
(statt eines Vorworts)
Rue Ferdinand Duval, Paris 4e
(Mein Standort)
Mai 68. Das schöne Brodeln
Studieren in Nanterre
Probieren geht über Studieren
Die Haltbarkeit der Barrikaden
Beharrlich verharrende Kleinbürger
Bleiben Sie am Apparat, Madame Soleil wird Ihnen antworten
Im Kabinett des Exorzisten der Erzdiözese Paris
Das Judengerücht von Amiens
Regierungskrise
Notizen zur Agitation von oben
Vergangenheit, aber sehr präsent
Funktionen des Rassismus
Ein bisschen Opposition
Genosse Mitterand im Auto, eines Abends während der Kampagne
Das enorme Fest der Kommunisten
Widerstand
Die grosse Einsperrung. Ein Gespräch mit Michel
Foucault über die Gewohnheit unserer Gesellschaft, Leute einzusperren
Jean Lacouture zeigt, was Journalismus kann
Friede den Hütten, Krieg den Palästen. Ein Protokoll aus dem Justizpalast
Etwas Provinz
Bilder aus dem Elsass
Heroin, Politik, Korruption. Erfahrungen in Marseille
Ein langer Streik in der Bretagne
Paris! Paris!
«Wir müssen Paris den Autos anpassen.»
Ein Spaziergang
Die Toten unterhalb
Jardin du Luxembourg
Ratten
Einer aus dem diplomatischen Corps
Fünfzehn Fragen an Pablo Neruda
P. S. 1975
(statt eines Nachworts)
Nachwort von Lothar Baier