Hören in finsterer Nacht / Udire a notte buia
Francesco Chiesa

Hören in finsterer Nacht / Udire a notte buia

Sonette

Übersetzt und mit einem Nachwort von Christoph Ferber

88 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
März 2016
SFr. 29.50, 29.50 €
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978-3-85791-785-1

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Rehabilitierung eines Vielgeschmähten

Als Francesco Chiesa 1971 seinen letzten Lyrikband – die 'Sonetti di San Silvestro' – veröffentlichte, war er hundert Jahre alt und im Tessin fast schon eine Legende geworden. Die jüngere Generation hatte sich längst von ihm abgewandt und ging eigene Wege. Aber deren literarisches Terrain hatte Chiesa zu Beginn des 20. Jahrhunderts bereitet, durch sein unermüdliches Schaffen sowie die Hinwendung zu Italien. Seinen ersten Gedichtband hatte er 1897 veröffentlicht. Mit 'Calliope', einem dreiteiligen Poem aus 220 Sonetten, gelang ihm 1907 in Italien der Durchbruch. Die 'Sonetti di San Silvestro' stellen den Höhepunkt seines lyrischen Schaffens dar. In ihrer Zeitlosigkeit, ihrer 'Immobilität' haben diese Gedichte nichts von ihrem ursprünglichen Reiz eingebüsst. In ihnen spielt Chiesa liebevoll mit der Form des Sonetts, die es ihm dank überraschenden Lösungen zu erneuern gelingt. Christoph Ferber hat aus dem heute weitgehend vergessenen und nicht mehr greifbaren lyrischen Werk Chiesas dreissig Sonette ausgewählt und übersetzt. Längst ist es fällig, dass der viel geschmähte Autor wiederentdeckt und rehabilitiert wird.

Francesco Chiesa
© Keystone

Francesco Chiesa

Francesco Chiesa (1871–1973) galt lange Zeit als Patriarch und Übervater der Tessiner Literatur. Er war während Jahrzehnten der einzige Tessiner, der auch in Italien anerkannt war und gelesen wurde. Berühmt wurde er vor allem durch seinen Roman «Tempo di marzo». Chiesa war auch Rektor des Liceo Cantonale in Lugano sowie Präsident der kantonalen Denkmalkommission und der Kommission für Natur- und Heimatschutz. Verfasser zahlreicher Beiträge zu Literatur, Kunst und Gesellschaft sowie ein unermüdlicher Verfechter der «Italianità».

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Christoph Ferber
© Yvonne Böhler

Christoph Ferber

Geboren 1954. Aufgewachsen in Sachseln, Obwalden. Studium der Slawistik, Romanistik und Kunstgeschichte in Lausanne, Zürich und Venedig. Dort Promotion mit einer Arbeit zum russischen Symbolismus. Tätigkeit als freier Übersetzer. Wohnt auf Sizilien. 2014 Auszeichnung mit dem Spezialpreis Übersetzung des Schweizerischen Bundesamts für Kultur, 2016 dem Paul Scheerbart-Preis.

Übersetzungen, fast ausschliesslich lyrischer Texte, aus dem Italienischen (Gaspara Stampa, Vincenzo Cardarelli, Eugenio Montale, Salvatore Quasimodo, Attilio Lolini, Giorgio Orelli, Giovanni Orelli, Pietro de Marchi, Remo Fasani, Aurelio Buletti, Francesco Chiesa, aus dem Russischen (Michail Lermontow, Fjodor Tjutschew, Sinaida Hippius, Fjodor Sologub, Wjatscheslaw Iwanow, David Samojlow), dem Französischen (Stéphane Mallarmé, Werner Renfer), dem Polnischen (Juliusz Slowacki) und Bulgarischen (Dimtscho Debeljanow).

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Gedicht, italiensich und deutsch

 

Ora, fra le mill’altre, che non grava
nella memoria più d’un vago niente,
o giù nell’orto, né ci si fa mente
fra tanti uguali, un fior di cece o fava.

Ore ore, come nella rupe cava
la nata nascitura acqua nascente,
lei, questa, o un’altra, un’altra. Ospiti lente
entrate un giorno che piovigginava.

Sedevano raccolte dinanzi alle
fosche vetrate a mormorar sul peggio,
tirandosi lo scialle sui ginochi.

Ma una aveva un ridere negli occhi,
un impeto e nell’ugola un gorgheggio,
e balzò, via buttandosi lo scialle.

 

Stunde, eine von tausend, die nicht weiter
auf dem Gedächtnis lastet als ein leeres
Nichts – oder im Garten zwischen ähnlichen
blassen eine Blüte von Bohnen oder Erbsen.

Stunden, Stunden, wie im hohlen
Fels das geborene, das gebärend geboren
werdende Wasser, dieses, ein anderes, noch eines.
Langsame Gäste eines regnerischen Tages.

Sie saßen da, gekauert, vor der finsteren
Fensterfront und murmelten vom Schlimmsten –
und hatten übers Knie den Schal gezogen.

Da: eine lacht im heiteren Auge, trällert
im Hals, bricht hell in Salven aus,
springt auf – und wirft den Schal zur Seite.

Die Zeit, 14. April 2016 (Gedichtabdruck)
Literatur & Kunst, Nr. 59 04/2016
Neue Zürcher Zeitung, 13. Dezember 2016
Schweizer Buchhandel, 16. März 2017
WDR 5, Literaturmagazin, 30. November 2018


«Christoph Ferber hat aus dem heute weitgehend vergessenen und nicht mehr greifbaren lyrischen Werk Chiesas dreissig Sonette ausgewählt und übersetzt. Längst ist es fällig, dass der in Vergessenheit geratene Autor wiederentdeckt wird.»  Literatur & Kunst

«Sinnfällig ist auch Ferbers Entscheidung, lediglich Sonette in seine exquisite Auswahl aufzunehmen. Damit verlangt er sich nicht nur übersetzerische Höchstleistungen ab. Er präsentiert Francesco Chieso gerade auch in jenen Teilen seines Werkes, die entscheidene Bindeglieder sind zwischen der literarischen Tradition, in der Chiesa stand, und der zeitgenössischen Moderne, die ihm nachfolgte ... Es ist nicht auszuschliessen, dass Christoph Ferber mit diesem Auswahlband auch für die italienischsprachige Schweiz den Anstoss geben könnte zu einer Wiederentdeckung dieses fast vergessenen lyrischen Werks von Francesco Chiesa.»  Neue Zürcher Zeitung

«Alles was es hier zu lesen gibt, ist eine schöne Entdeckung. Der Sound ist ‹fresco› und ‹allegro›, und wer Sinn hat für ausgefeilte Stilistik, prägnante Bilder und sichere Metaphern, kann hier einen Meister bewundern, der den Tag und die Nacht, das Draussen und das Drinnen, die Zeiten und Gott und die Welt in wunderbare Reime gefasst hat.»  WDR 5, Literaturmagazin