Shelley Berlowitz (Hg.), Elisabeth Joris (Hg.), Zeedah Meierhofer-Mangeli (Hg.)
Terra Incognita?
Der Treffpunkt Schwarzer Frauen in Zürich
Mit Texten von Simone Prodolliet, Stella Jegher, Shelley Berlowitz, Elisabeth Joris, Zeedah Meierhofer-Mangeli / Mit Fotografien von Damaris Betancourt / Mit einem Vorwort von Corinne Mauch
Dezember 2013
978-3-85791-727-1
«Es gibt über 519 Millionen 870 Tausend Schwarze Frauen auf diesem Planeten. Mehr oder weniger. Es gibt sie auf allen sieben Kontinenten, in fast jedem Land. Also egal, wohin wir gehen, eine von uns war schon dort.» (Sandra Sharp, 1993) In der Schweiz wurden Schwarze Frauen lange nicht zur Kenntnis genommen, sondern allenfalls neugierig beäugt. Fehlende Wertschätzung erzeugte Verunsicherung und Isolation, Isolation wiederum Abhängigkeit von Ehemännern und Arbeitgebern. Die Eröffnung des Treffpunkts Schwarzer Frauen 1993 in Zürich sollte dies entscheidend ändern. Der Treffpunkt feiert dieses Jahr sein zwanzigjähriges Bestehen. Das Buch dokumentiert die Arbeit der Aktivistinnen und beleuchtet die Geschichte und Situation Schwarzer Frauen in der Schweiz. Thematische Artikel, Porträts und Gespräche zeichnen ein facettenreiches Bild ihrer Lebenswelten.
Elisabeth Joris
Elisabeth Joris, geboren 1946 in Visp, Studium der Geschichte in Zürich, Mittelschullehrerin und freischaffende Historikerin, Forschungsschwerpunkt Frauen- und Geschlechtergeschichte. Sie veröffentlichte eine Vielzahl von Publikationen zu den Themen Frauenorganisationen, Frauenbildung und Frauenarbeit und beteiligte sich an Sendungen von Radio und Fernsehen DRS zur Alltags- und Frauengeschichte. Zudem Vortragstätigkeit und Teilnahme an Diskussionen zu Wirtschaft, Politik und Geschichte. Elisabeth Joris arbeitete auch im Bereich Theater und Ausstellungen mit und ist Mitbegründerin von «Olympe. Feministische Arbeitshefte zur Politik».Damaris Betancourt
Damaris Betancourt, geboren 1970 in Havanna, Kuba, als Tochter eines Boxers und einer Sekretärin, kubanisch-schweizerische Fotografin. Nach zwei Jahren Hochschulstudium an der juristischen Fakultät der Universität Havanna autodidaktische Ausbildung in Fotografie. Ab 1993 Fortsetzung der Ausbildung in Zürich, Arbeiten für filmische und journalistische Projekte und für verschiedenen Schweizer Medien. Damaris Betancourt lebt mit ihrer Familie in Zürich.Vorwort
Corine Mauch, Stadtpräsidentin von Zürich
Ein Raum schafft Geschichte
Shelley Berlowitz, Elisabeth Joris, Zeedah Meierhofer-Mangeli
Identität, Rassismus und Revolution
Mutter und Tochter im Gespräch
Das Projekt
HerStory
Die Geschichte des Treffpunkts Schwarzer Frauen
Shelley Berlowitz und Zeedah Meierhofer-Mangeli
Zwischen Opferrolle und Empowerment
Der Treffpunkt Schwarzer Frauen im Kontext der Schweizer Integrationspolitik
Simone Prodolliet
Fatima Rubi-Ibrahim: «Der Treffpunkt ist eine Erfolgsstory.»
Sefa Dänzer-Agyeman: «Man muss sich selber respektieren, um sich integrieren zu können.»
Dinahlee Obey Siering: «Ich bin in einem Land aufgewachsen, in welchem die Hautfarbe kein Thema war.»
Spuren
Spuren
Eine Geschichte Schwarzer Frauen in der Schweiz
Jovita dos Santos Pinto
Selbstbewusst im Austausch und in der Abgrenzung
Zwei junge Schwarze Zürcherinnen im Gespräch
Bewegungen
Erinnerungen an Migration, Solidarität und Sisterhood
Gladwell Otieno
«We're gonna keep on moving forward.»
Feministische Zusammenarbeit in der Schweiz
Stella Jegher
Emma Walser-Shannon: «Es konnte ein Jahr vergehen, ohne dass ich eine andere Schwarze Person sah.»
Samira Mall-Derby: «Ich hatte bereits ein Leben als Schwarze unter Weissen hinter mir, als ich ankam.»
Nicole Vögeli-Montjean: «Ich suche Austausch, Nahrung für den Kopf.»
Bilder
Die Bilder der Anderen
Elisabeth Joris und Shelley Berlowitz
Unsichtbar
Rahel El-Maawi
«La Suisse présente la Suisse.»
Jovita dos Santos Pinto
Keine Namen. Kein Geschlecht.
Serena Dankwa
«Ich folge meinem Instinkt.»
Melanie Eva Böhi
«Black Magic Women»
Cécile Stephanie Stehrenberger
Gewaltvolle Reinszenierungen
Belinda Kazeem
«Ich bin Fan vom Roten Kreuz.»
Elke Frietsch
Heimwehschweizerin
Rahel El-Maawi
Schwarz. Weiblich. Subjektivität.
Kim Carrington
Nachwort
Treffpunkt Schwarzer Frauen: Bedeutung, Zusammenarbeit, Zukunft
'Funmi Olonisakin
Autorinnen und Herausgeberinnen
Ein Raum schafft Geschichte
Von Shelley Berlowitz, Elisabeth Joris und Zeedah Meierhofer-Mangeli
Vor zwanzig Jahren wurde der Treffpunkt Schwarzer Frauen in Zürich gegründet. Die Initiantinnen hatten Raum gefordert, ganz ähnlich den Forderungen der feministischen Bewegung. So wie Feministinnen sich in der Besetzung eigener Räume von männlicher Dominanz abgrenzten, distanzierten sich die Schwarzen Feministinnen von den weissen: Sie wollten einen eigenen, von ihnen selbst bestimmten und gestalteten Raum, einen Ort, der den Erwartungen und Bedürfnissen Schwarzer Frauen entsprach. Sie entzogen sich der Fremdbestimmung, zeigten sich als handelnde Subjekte, die sich als Teil der Bevölkerung auf Rechte beriefen. Damit schrieben sie sich in die Geschichte Zürichs und der Schweizein, in die Geschichte auch der feministischen Bewegung.
Das Lokal an der Manessestrasse war nicht nur Ort des Austausches, sondern bot auch Raum für persönliche Beratungen. Die Ausweitung des Treffpunkts zum Meeting Point and Resource Center sollte sich als ein Prozess mit nachhaltiger Wirkung erweisen. Obwohl der Treffpunkt seit der Aufkündigung der Miete 2010 als konkreter Ort nicht mehr existiert, fungiert der inzwischen institutionalisierte Verein auf der Grundlage des über Jahre geknüpften Beziehungsnetzes weiterhin als Ressourcenzentrum und Kommunikationsraum. Unterschiedliche Erwartungen zeigen sich aber auch zwischen der Generation der Gründerinnen und deren Töchtern, die hier geboren und aufgewachsen sind. So haben sich nach zwanzig Jahren zwar die Lebensbedingungen für Schwarze Frauen in Zürich und in der Schweiz verändert, die Erfahrung von Rassismus jedoch ist alltäglich geblieben, für die ältere wie auch die jüngere Generation.
«Everyday racism establishes a dynamic similar to colonialism itself», schreibt die Autorin und Psychologin Grada Kilomba in «Plantation Memories». Im alltäglichen Rassismus würden Schwarze Menschen angestarrt, angesprochen, beleidigt, verletzt und bleiben gefangen in den Vorstellungen der Weissen darüber, wie Schwarze sind oder sein sollten. Im Kolonialismus, so vergleicht sie, wurden die Länder Schwarzer Menschen entdeckt (angestarrt), überfallen (angesprochen), angegriffen (beleidigt), unterworfen (verletzt) und besetzt (gefangen genommen). So betrachtet ist Alltagsrassismus ein Ritual der kolonialen Eroberung, das von weissen Menschen an Schwarzen Menschen immer wieder voll- zogen wird und die Geschichte des Kolonialismus am Leben erhält. Die Wiederholungen dieser Geschichte werden täglich tausendfach von Schwarzen Menschen erfahren – auch in einem Land wie der Schweiz, das nicht direkt, aber indirekt am Projekt des Kolonialismus beteiligt war. Alltagsrassis- mus – wie auch kolonialistische Herrschaft – ist überdies immer geschlechtsspezifisch imprägniert: Schwarze Frauen erfahren Rassismus in einer genderspezifischen Form. Sie werden als Schwarze und als Frauen sexualisiert und diskriminiert: Race und Gender sind in der Herabsetzung nicht auseinanderzuhalten.
Das Schreiben von und über Schwarze Frauen in der Schweiz ist nicht losgelöst von diesen Umständen. Der Titel dieses Buches «Terra incognita?» weist direkt und mit Absicht auf den Zusammenhang zwischen kolonialer Geschichte und der Schweizer Gegenwart hin. Die Autorinnen der folgenden Artikel schreiben aus einer herrschaftskritischen und feministischen Perspektive: im Bewusstsein der Machtverhältnisse zwischen Schwarzen und weissen Menschen. Sie übernehmen von Schwarzen Frauen «Schwarz» als eine politische Bezeichnung. Das Wort wird daher in allen Beiträgen mit einem grossen Anfangsbuchstaben geschrieben. Ob sie das Wort «weiss» gross oder klein schreiben, wurde den Autorinnen freigestellt. Für beide Schreibweisen gibt es gute Argumente: «Weiss» mit grossem Anfangsbuchstaben macht im Geiste der kritischen Weissseinsforschung auf der einen Seite bewusst, dass auch Weiss-Sein einen politischen Gehalt hat. Auf der anderen Seite will, wer «weiss» klein schreibt, das Machtgefälle zwischen «weiss» und «Schwarz» zumindest symbolisch verändern.
Aber was wird denn eigentlich mit «Schwarz» und «weiss» bezeichnet? Es geht nicht um biologische Kategorien und nicht um Pigmentierung der Haut, sondern um ein Erbe und um Geschichte. Der Treffpunkt Schwarzer Frauen richtete sich an alle Frauen mit afrikanischen Wurzeln – wo immer in der Welt sie aufwuchsen und lebten, unabhängig davon, wann und unter welchen Umständen sie oder ihre Vorfahr_innen Afrika verliessen oder verlassen mussten. Diese Handhabe des Begriffs impliziert die erwähnte koloniale Geschichte – und sie ist nicht unumstritten, auch nicht unter Schwarzen Frauen.
Auftakt des Buches bildet das Gespräch zwischen Zeedah Meierhofer-Mangeli und ihrer Tochter Alexa Afia Meierhofer. Es thematisiert beispielhaft den Wandel des Selbstverständnisses und der Erfahrungen Schwarzer Frauen über die Generationen hinweg.
Der erste Teil ist dem Projekt Treffpunkt Schwarzer Frauen und seinem direkten Kontext gewidmet. «HerStory – Der Treffpunkt Schwarzer Frauen» rekapituliert die Geschichte des Treffpunkts und versucht, den Blick von innen mit der Aussenperspektive zu verbinden. Die Beschreibung der Geschichte und die Analyse der programmatischen Inhalte des Projekts gehen dabei ineinander über. Simone Prodolliet beleuchtet im Text «Zwischen Opferrolle und Empowerment» die integrationspolitische Landschaft der Schweiz seit den frühen 1990er-Jahren und bis 2010. Bei der Suche nach finanzieller Unterstützung durch die öffentliche Hand und durch private Geldgeber_innen mussten sich die Treffpunkt-Frauen jeweils nach den Erwartungen und Forderungen des Integrationsdiskurses richten. Schliesslich setzen biographische Berichte dreier aktiver Treffpunkt-Frauen das Projekt direkt in einen Bezug zu seinen Trägerinnen: Fatima Rubi-Ibrahim ist heute stellvertretende Leiterin des Treffpunkts und Dinahlee Obey Siering Präsidentin des Vereins. Sefa Dänzer-Agyeman ist Frau der ersten Stunde im Treffpunkt und fungierte als erste Präsidentin.
Der zweite Teil nimmt einen etwas weiteren Kontext in den Blick: die Geschichte der Schwarzen Frauen in der Schweiz. In «Spuren» geht Jovita dos Santos Pinto dieser Geschichte nach – von Pauline Hyppolyte Buisson, die als Kind von Sklaven 1776 von einem Schweizer Offizier im französischem Dienst aus St. Domingue nach Yverdon mitgenommen wurde, über Tilo Frey, die 1971 als bisher einzige Schwarze Frau in den Nationalrat gewählt wurde, bis zu den selbstbestimmten Zusammenschlüssen Schwarzer Frauen in den 1990er-Jahren. Im nachfolgenden Gespräch reden Uchenna Onuoha und Sharon Nehrenheim, die im Kanton Zürich geboren und aufgewachsen sind und sich im Youth Forum des Treffpunkts kennengelernt haben, miteinander darüber, wie sie sich in der Schweizer Gesellschaft als junge Schwarze Frauen bewegen.
Unter dem Titel «Bewegungen» wird im dritten Teil die Geschichte der Vernetzung des Treffpunkts mit feministischen Zusammenschlüssen und Projekten national und international nachgezeichnet. Gladwell Otieno erinnert sich an «Migration, Solidarität und Sisterhood» im bundesdeutschen Kontext, und Stella Jegher schreibt über die feministische Zusammenarbeit in der Schweiz, vor allem im Rahmen der Weltfrauenkonferenz 1995. Porträts von Emma Walser- Shannon, die Ende der 1950er-Jahre aus Liberia in die Schweiz kam, Samira Mall-Darby, die in den 1980ern aus den USA immigrierte, und Nicole Vögeli-Montjean aus Martinique, die vor rund dreissig Jahren ihrem Mann in die Schweiz folgte, beleuchten aus biografischer Sicht einen kleinen Teil dieser Geschichte und zeigen unterschiedliche Positionen zum Treffpunkt auf.
Der abschliessende Teil beschäftigt sich mit Repräsentationen Schwarzer Frauen. In kurzen Kommentaren zu öffentlichen Bildern thematisieren Rahel El-Maawi, Jovita dos Santos Pinto, Serena Dankwa, Melanie Eva Böhi, Cécile Stephanie Stehrenberger, Belinda Kazeem, Elke Frietsch und Kim Carrington die Verflechtung von race und gender in Bildern und Fotos, die Schwarze Frauen abbilden. Zwar beziehen sich die meisten Kritiken auf Bilderzeugnisse, die in der Schweiz und Deutschland veröffentlicht wurden, die Texte selbst dekonstruieren aber einen globalen weissen Blick auf Schwarze Frauen. (...)
NeueZürcher Zeitung, 12. Dezember 2013
Tages-Anzeiger, 4. Januar 2014
P.S., 16. Januar 2014
Fluchtpunkt. Die Zeitung der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, Juni 2014
Tangram Nr. 33, Bulletin der EKR, Juni 2014
«Terra Incognita? erzählt die Geschichte des Treffpunkts Schwarzer Frauen in Zürich – in Porträts, Statements, Gesprächen und Bildern. Doch das Buch geht weit darüber hinaus. Es zeichnet auch den Aufbruch schwarzer Feministinnen im deutschsprachigen Raum nach und thematisiert schwierige Beziehungen zwischen den Generationen, zwischen weissen und schwarzen Feministinnen, genauso wie Werbe- und Pressebilder und den kolonialistischen Blick ihrer MacherInnen. Ein beeidruckendes Buch.» WOZ
«Über Räume verfügt die Organisation «Treffpunkt Schwarzer Frauen» inzwischen zwar nicht mehr – aber über Power, Visionen, Selbstbewusstsein und seit neuestem auch ein Buch. Der Weg ist lang, das Ziel längst nicht erreicht, das Buch aber ein Anfang und der Auftakt zu einem neuen Diskurs.» NZZ
«Schwarz, stark und selbstbewusst.» Tages-Anzeiger
«Das Engagement des 1993 gegründeten Treffpunkts für schwarze Frauen wird in der lesenswerten Publikation ‹Terra incognita?› eindrücklich reflektiert.» Fluchtpunkt