Ernst L. von den Velden
Trotz allem – ein Spiesser war ich nicht
Eine Jugend in Frankfurt 1899-1929
Herausgegeben von Gaspard de Marval, Roman Fischer, Paul Hugger
Das volkskundliche Taschenbuch [37]
224 Seiten, Broschur, 26 Abbildungen // Nur noch letzte RESTEXEMPLARE aus dem Verlagsarchiv, bitte wenden Sie sich an den Verlag.1. Aufl., Mai 2004
978-3-85791-457-7
In seinen Aufzeichnungen entwirft Ernst Lukas von den Velden ein Bild seiner Heimatstadt Frankfurt, wie er sie im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts erlebte. Aufgewachsen in einem kunstbeflissenen Arzthaus mit Eltern, denen jeder Geschäftssinn abging, entwickelte er ein besonderes Interesse für das Leben in den Gassen, die Stadtoriginale, die Märkte, den Alltag und die Feste.
Nach Kriegsende – von den Velden schildert die bitteren Fronterfahrungen des 18-Jährigen in den Schützengräben des Westens – entschloss er sich für ein Architekturstudium, zunächst in Darmstadt, dann im München der frühen 1920er-Jahre. Freimütig berichtet er von beruflichen Erfolgen und Misserfolgen wie auch von seinen ersten Liebeserlebnissen. So entsteht ein realistisch-ungeschminktes Bild der jungen Generation seiner Zeit im Vorfeld des Dritten Reiches.
© Limmat Verlag
Ernst L. von den Velden
Ernst Lukas von den Velden, geboren 1899 in Frankfurt am Main. Nach dem Studium als Architekt tätig. Lebt bis zu seinem Tod 1989 in der Region Frankfurt.© Yvonne Böhler
Paul Hugger
Paul Hugger, 1930–2016, Studium der Volkskunde, Ethnologie und Romanistik, em. Ordinarius für Volkskunde an der Universität Zürich. Zahlreiche Publikationen über Schweizer Fotografen, zur Alltagsfotografie, Herausgeber u. a. des Handbuchs der Schweizerischen Volkskultur, «Kind sein in der Schweiz. Eine Kulturgeschichte der frühen Jahre», Herausgeber der Reihe «Das volkskundliche Taschenbuch» und Mitherausgeber «FotoSzene Schweiz» im Limmat Verlag.Die ersten achtzehn Jahre
Erinnerungen an meine Jugendzeit in Frankfurt und der Schweiz 1899–1917
(Handschriftlicher Vermerk: Verfasst in den Jahren 1955-1956)
Der Verfasser gesteht, dass die „Jugenderinnerungen eines alten Mannes" von Wilhelm von Kügelgen und Johann Peter Hebels „Schatzkästlein des Rheinischen Hausfreundes" zu seinen oft gelesenen Lieblingsbüchern gehören. Er ist nun nicht so vermessen zu glauben, dass die hier folgenden Erinnerungen sich auch nur einigermassen mit diesen in die Weltliteratur eingegangenen Werken vergleichen könnten. Dazu fehlen ihm sowohl die Kräfte des Dichters als auch das feste Fundament der christlich-evangelischen Weltanschauung, das die beiden vorgenannten - beati possidentes - besessen haben. Ausserdem kann Kügelgen mit grossen Daten und Namen der Geschichte aufwarten: Befreiungskriege, Napoleon, Goethe, Theodor Körner, Caspar David Friedrich, und hatte einen zu seiner Zeit bekannten, ja berühmten, erfolgreich im Leben stehenden Maler zum Vater, der auf so tragische Weise ums Leben kam. Das gibt natürlich einen kräftigeren, farbigeren Hintergrund als das anonyme Leben einer bürgerlichen Familie in Frankfurt zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
Immerhin glaube ich, dass die handelnden Personen in diesen Erinnerungen viele liebenswerte, menschliche Züge haben und es mir gelungen ist, ein Stück persönlicher Kulturgeschichte auf kleinstem Raum zu beschreiben. Ich hoffe also, dass der geneigte Leser bei der Lektüre eine anregende, besinnliche Stunde verbringen und sich dabei seiner eigenen Jugend freundlich erinnern wird.
Geboren wurde ich am 28. Juni 1899 in Frankfurt am Main in der Parterrewohnung eines Miethauses aus der Mitte des Jahrhunderts auf dem Kettenhofweg. Der Kettenhofweg verläuft in der gleichen Richtung wie die berühmte und damals noch sehr vornehme Bockenheimerlandstrasse und vereinigte sich kurz vor dem Opernplatz mit ihr. Gerade dort an der Biegung stand und steht mein Geburtshaus neben einem Haus, in dem der Konditor Geiger, von welchem die Familie von den Velden ihre Kuchen und Torten bezog, sein Geschäft betrieb. Der Kettenhofweg ist nach dem ehemaligen Kettenhof genannt, und ich besitze noch ein Aquarell meines Onkels Adolf aus seiner Jugendzeit, signiert 1877, das ihn mit seinen Schieferdächern, umgeben von einer Mauer und eingerahmt von Pappeln, Erlen und Weiden in einem ziemlich fortgeschrittenen malerischen Stadium des Verfalls zeigt. Kurz danach muss er abgerissen worden sein, denn zu meiner Kinderzeit war der Kettenhofweg bereits mit besseren Mietshäusern bebaut und galt für eine angenehme, ruhige Wohngegend.
Also in diesem Haus, das freilich sehr unscheinbar geworden alle Stürme bis jetzt überdauert hat, erblickte ich als zweites Kind meiner Eltern morgens zwischen 5 und 6 Uhr das Licht dieser Erde, und meine Mutter erzählte, wie ihr von der Geburt erschöpfter Blick auf eine rote, von der Frühsonne angestrahlte, fensterlose Brandmauer gefallen sei und sie mit diesem Eindruck ein f ür alle Mal meine Geburtsstunde verbinde. Ausserdem habe ich mir gleich nach meiner Geburt mit langen Nägeln die rechte Backe blutig gekratzt, so dass die Narben noch bis in meine frühen Mannesjahre zu sehen waren.
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