Emil Zopfi
Spurlos
Roman
1., Aufl., August 2007
978-3-85791-538-3
Spurlos verschwindet ein Mann in den Bergen. Andrea Stamm hat ihn zum letzten Mal gesehen, nachdem sie ihm seinen letzten Wunsch, ihn auf den Berg zu begleiten, erfüllt hatte. Für die Bergführerin könnte es heikel werden, wenn der Verband seine Drohung, sie auszuschliessen, wahrmacht. Andrea begibt sich auf die Suche – ohne Erfolg. Sie begegnet dem einsamen Jungen Magnus, der durch die Berge streift und vom Meer träumt. Und sie erhält Unterstützung beim Arzt Daniel Meyer, der ebenfalls auf Spurensuche geht. Die ‹gute alte Zeit› findet er im Bergdorf nicht mehr, dafür einen korrupten Gemeindeverwalter und Mobilfunkantennen im Glockenturm. Machen sie wirklich die Menschen krank, wie Anita, die krebskranke Wirtin und Künstlerin behauptet? Daniel Meyer sucht nach Erklärungen für das Unerklärbare – und nach seiner grossen Liebe.
Nach «Die Wand der Sila» und «Steinschlag» ist «Spurlos» der dritte Band der Sila-Reihe. «Steinschlag» wurde 2005 von Judith Kennel verfilmt.
© Marco Volken
Emil Zopfi
Emil Zopfi, geboren 1943, studierte nach einer Berufslehre Elektrotechnik und arbeitete als Computerfachmann und Erwachsenenbildner für Informatik und Sprache. Autor von Romanen, Hörspielen, Kinder- und Jugendbüchern. Er lebt heute als Schriftsteller in Zürich. Sein Werk wurde vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Schweizer Jugendbuchpreis, dem Kulturpreis des Kantons Glarus und dem Albert Mountain Award.
Peter K. Wehrli
«...das Eine und das Andere...»
und beides bei Emil Zopfi
Als Emil Zopfi mit dem King Albert Mountain Award ausgezeichnet wurde, stand in der Preisbegründung: «Emil Zopfi sei DER deutschsprachige Bergschriftsteller der Gegenwart». Und tatsächlich gibt es von ihm nicht nur zahlreiche Bücher, in denen die Bergwelt ein oder das Thema ist und ebenso tatsächlich kann man diesen Autor als Begründer einer eigenen literarischen Gattung betrachten, des «Bergkrimi». In ihrem Zentrum steht die junge Bergführerin Andrea Stamm, die sich angesichts von fürchterlichen Unfällen am Berg unfreiwilligerweise zu einer Art Kommissarin entwickelt, weil sie nicht so voreilig wie andere an Unfälle zu glauben bereit ist. «Spurlos», «Steinschlag» und «Finale» sind Andreas abenteuerliche Felsszenerien.
Aber Emil Zopfi ist nicht einfach nur Bergbuchautor, er ist selber ein begeisterter oder begnadeter Kletterer, der die Herausforderung durch den Berg mit Leidenschaft annimmt. Und wenn man ihn in Interviews (und gar im Fernsehen) von seinen kühnen Klettererfahrungen berichten hört (und sieht), dann drängt sich uns unweigerlich die Frage auf, was und wieviel wohl das Bergsteigen mit dem Schreiben zu tun habe (und beileibe nicht nur mit dem Schreiben über das Bergsteigen). Und Zopfi lässt dabei bald erkennen, dass beide Bedürfnisse gewissermassen einen Ursprung haben. Er erlebt den Kopf, den man zum Schreiben braucht, und den Körper, den man zum Klettern braucht als eine harmonisch funktionierende Art von Mechanismus. So wie in der Geschichte – oder im Krimi – der Kopf einen Weg zum Ziel ersinnt, so gelangt am Berg der Körper selbst zum angestrebten Ziel. Nicht ohne, dass der Geist dabei Machbarkeit und Risikofaktoren fortlaufend zueinander in Beziehung bringt. Und mit Überzeugtheit bringt Zopfi so auch die Tätigkeit des Schriftstellers und jene des Bergsteigers in so enge Beziehung zueinander, dass wir vermuten dürfen, die beiden ergänzten sich gegenseitig, vereinen sich zu einem Dritten, für das man – wäre man Germanist – eine Bezeichnung wie «Sprachwerdung des Empfundenen» erfinden müsste.
Und heute führt uns der Schriftsteller Zopfi vor Augen und vor Ohren, dass er eben nicht nur ein Bergschriftsteller ist. Er lese diesmal nicht über Berge, sagte er in der Ankündigung, er lese über Zürich. Und Zürich ist bekanntlich eine Stadt, – also ziemlich genau das Gegenteil vom Hochgebirge.
Mir will scheinen, das sei Emil Zopfis listige Methode, dieses Spiel mit den Gegensätzen: Der Kopf und der Körper, das Gefühl und die Vernunft, die Elektronik und die Handschrift, die Schiefertafel und der Computer, die Stadt und die aufgewühlte Natur. Mir sagte einmal mein Lehrer: «Die Gesundheit musst Du dir von einem Kranken erklären lassen und die Krankheit von einem Gesunden»: Das Andere vor Augen haben wenn man vom Einen spricht, das Eine sehen, wenn man das Andere anschaut: Beides gehört zusammen: Eines allein wäre stets nur die Hälfte». Und Emil Zopfi ist wahrhaftig kein Schriftsteller, der es mit der Hälfte bewenden lässt: Das Eine und das Andere – die Stadt und das Land. Und das würde heissen: Wer seine Stadt neu und frisch sehen will, der muss sie sich von einem Bergkletterer zeigen lassen. Ich glaube, so Unrecht hatte mein Lehrer da nicht!
Also: Abgesehen vom Gegensatz Stadt – Land, den Emil Zopfi nicht nur lebt, sondern den er andauernd auch in Sprache hereinkippt, lebt und schreibt, verfügt Zopfi auch über ein erstaunliches Inventar von Arten, sich der Stadt anzunähern. Als gebürtiger Gibswiler lebte er 24 Jahre lang im Glarnerland und «eignete sich» Zürich so an, wie es ein Pendler eben tun kann. Er bewohnt die Stadt nicht, «noch nicht», sie hat ihn «noch nicht durchdrungen». Auch wenn es mir schwer fällt, Arbeit und Leben als ein Gegensatzpaar zu bezeichnen, Wohnort und Arbeitsort, auch das sind «zwei Arten von Zürich». Und eine weitere «Annäherungsart» hat er praktiziert: Er hat Zürich zu seiner Heimat gemacht. Ein Ort, eine Stadt kann nicht «einfach so» und beiläufig zur Heimat werden, man muss sie wollen, und Emil Zopfi will sie. Also ist es «sein Zürich» von dem er berichtet, «sein Zürich», das er in Sprache hereinbricht» und es solcherart zu «unserem Zürich» macht.
Da sind Abschnitte aus Zopfs Erstling, der 1977 erstaunliches Furore gemacht hat: «Jede Minute kostet 33 Franken». Vor fast vier Jahrzehnten schon führte uns Emil Zopfi da in ein Rechenzentrum, in eine Vorstufe zur heutigen vollelektronisierten Arbeitswelt. Das Rattern der Lochkarten macht die Romanfigur auf Widersprüche im sozialen Gefüge aufmerksam, auf die Abgründe im Machtgefüge, die auch heute, wo keine Lochkarten mehr rattern, noch immer nicht gelöst sind. Vergrössert eher, obschon doch – wie Zopfi tröstend fast schreibt – obwohl die Technologie doch «das Potential zur weltweiten Kommunikation und zur Verständigung trägt».
Vom Zürich-Bild des elektronischen Zeitalters dann anderthalb Jahrhunderte zurück ins Zürich des historischen «Züriputsch» von 1839. Im Roman «Schrot und Eis».
Doch Zopfi wäre nicht Zopfi, wenn er nicht Gegensätze zusammenführte: Das 21. Jahrhundert drängt beunruhigend ins 19. Jahrhundert hinein. Was Zeit gehabt hätte für Entwicklung, zeigt Anzeichen von Rückbildung: Das Damals und das Heute, der Fundamentalismus und die Aufklärung. Auf dem Umschlag steht zwar «Historischer Roman», das würde stimmen, wenn der Autor sein Thema nicht so eindeutig aus dem Geist von heute aus angehen würde, dass man die Jahre um 1839 als unsere aktuelle Zeit erleben muss.
«Spitzeltango», vollgesogen von hiesigem Lokalkolorit, praktiziert ein ähnliches Hin und Her zwischen Gegensätzen, die gar nicht so gegensätzlich sind, wie sie erscheinen: Das Jetzt und das Damals, als Aufbruch die Herzen und Hirne bewegte um 1968. Zopfis gelenkige Sprachkraft erzählt da nicht einfach von einem Aufbruch, der vor einem halben Jahrhundert war, sie weckt ihn, diesen Aufbruch, im Leser auch jetzt wieder, stösst ihn an, der eigenen Vorstellungskraft immer wieder neu zu vertrauen.
Nein, diesmal will ich nichts über den Leisten der Gegensätze schlagen – oder höchstens den: Je mehr ich Zopfi lese, umso mehr wächst die Ahnung, Zürich liege am Fusse des Matterhorns oder in der Flanke der Denti della Vecchia. Kopf und Körper kommen auf gleiche Weise zum Zug!
Ein Stein fiel ...
Ein Stein fiel, hoch über ihm in der Wand. Magnus erschrak, duckte sich hinter einem Block. Seine Knie zitterten. Vorsichtig hob er den Kopf, zog den Feldstecher aus dem Futteral, stützte die Ellbogen auf und suchte den Berg ab. Eine Gestalt glitt wie eine Spinne am seidenen Faden durch die Felswand in die Tiefe. Metall klirrte, als sie sich anklinkte, am Seil zog. Es löste sich, kringelte über Absätze und Stufen, Steine rieselten herab. Dann hüpfte die Spinne wieder weg vom Fels, schwebte in die Tiefe, landete in einer Scharte des Grates, der von der Wand gegen das Joch zog. Eine Frau in gelber Windjacke. Leicht setzte sie über die Zacken und Türme des Grates hinweg. Ein Tanz über dem Abgrund. Magnus stockte der Atem. Sonnenlicht fiel unvermittelt durch ein Wolkenloch, die gelbe Jacke leuchtete auf. Dann verschwand sie hinter einer Kante. Magnus suchte mit dem Feldstecher den Grat ab, glaubte, sie sei gestürzt. Da schwang sie sich über die Kante, direkt über ihm. Er hörte ihren Atem, das Klirren der Karabinerhaken an ihrem Gürtel.Er zog den Kopf ein, schob den Feldstecher ins Futteral. Gelegentlich hatte er Bergsteiger beobachtet, wenn er durch die Gegend streifte. Keiner bewegte sich so leicht und so sicher wie die kleine Frau. Wie eine Artistin im Zirkus, den er mit seiner Mutter besucht hat, unten in Pratt. Mit einem Sprung setzte sie über eine Scharte, balancierte mit ausgebreiteten Armen auf der Gratschneide, hüpfte über Zacken hinweg, als spiele sie Himmel und Hölle.
«Zopfis packende Fabulierlust bestätigt sich nicht nur am Berg. Er verflicht ebenso gekonnt wie unterhaltsam mehrere Handlungsstränge und entwickelt seine Figuren auf überzeugende Art.» Neue Zürcher Zeitung
«Wie Zopfi mit einfachsten sprachlichen Mitteln die ungemütliche Stimmung eines vom Tourismus beelckten Bergdorfs oder einer heruntergekommenen Alphütte, aber auch die Faszination des Klettersprot, die Ängste und die rauschhaften Freiheitsgefühle bei schwierigem Aufstieg vermittelt, das macht ihm so schnell keiner nach.» Basler Zeitung
«Ein spannender und ebenso schlichter, sinnlicher Roman.» Biel-Benkemer
«Mit dem Kriminalroman ‹Spurlos› legt der Alpinist und Schriftsteller Emil Zopfi einen spannenden Fall vor. Charaktere und Stimmungn in den Bergen kann Zopfi meisterhaft beschreiben, denn der Alpinist, der immer noch im 8. Schwierigkeitsgrad klettert, weiss, wovon er spricht. So schnell steigt ihm da keiner nach.» Der Landbote
«Geschickt verwebt Zopfi die verschiedenen Stränge in 73 Szenenfolgen zu einem starken Bergseil.» SBD. bibliotheksservice
«Eine Mischung aus Flüchtlingspolitik, Technikkritik und Immobilienspekulation, garniert mit einer Liebesgeschichte und erzählt vor einer Bergkulisse: Das klingt nach einem Roman, der simple Klischees bedient. Emil Zopfi entgeht dieser Falle. Erstens kennt der Autor die Bergwelt zu gut, er kann mit detailreichen Schilderungen Spuren hineinlegen, die mehrdeutig bleiben. Ob das Verlorene ‹die gute alte Zeit› war, steht bei Zopfi stets in Frage. Ausserdem ist der Romn raffiniert aus drei Perspektiven erzählt: Andres, Magnus und Daniel, wobei sich diese gelegentlich treffen. Ob für immer, bleibt offen.» St. Galler Tagblatt
«Ein vielschichtiger Bergroman, spannend und stimmungsvoll erzählt von einem, der beide Metiers beherrscht, das Schreiben und das Bergsteigen.» Luzerner Woche
«Ein Heimatroman, der zwischen spannendem Krimi und Liebesgeschichte schwankt.» Alpenjournal