Herz aus Eisen
Anne Cuneo

Herz aus Eisen

Der erste Fall der Marie Machiavelli

Übersetzt von Peter Sidler

240 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
Januar 2000
SFr. 34.–, 19.– €
vergriffen
978-3-85791-340-2

Schlagworte

Krimi
     
Ein Blick hinter gutbürgerliche Fassaden eröffnet Abgründe

«Als er mein Büro betrat, sich im schäbigen Sessel niederliess und mit filmreifer Eleganz die untadelige Bügelfalte seiner Hose zurechtrückte, war er im Begriff, mein Leben zu verändern.»

Und so wird die Finanzberaterin zur Detektivin. Voll Ironie und Spannung erzählt Anne Cuneo diesen ersten Fall der Marie Machiavelli. Der Gegenstand ist ernst, eine Familie aus besten Kreisen wird plötzlich mit einer Vergewaltigung konfrontiert, es kommt zu einem Mord. Marie Machiavelli muss sehr behutsam ans Werk gehen. Anne Cuneos neues Buch ist ein Kriminalroman und ein Versuch, mit grimmigem Humor und Leichtigkeit zugleich ein schmerzliches Erlebnis zu verarbeiten.

Anne Cuneo

Anne Cuneo

Anne Cuneo (1936–2015), geboren in Paris kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs als Kind italienischer Eltern. Ihre Familie verlässt Frankreich 1940. Kindheit in Norditalien. Nach dem Tod ihres Vaters in den letzten Kriegstagen, lebt sie mehrere Jahre in katholischen Waisenheimen und Internaten in Italien und später in Lausanne in der Schweiz, wo sie die französische Sprache lernen und sich in die neue Umgebung einleben muss. Nach dieser schwierigen Zeit verbringt sie ein Jahr in England, in Plymouth und London, und entdeckt die angelsächsische Kultur. Sehr viel später schöpft sie aus der Erinnerung an diesen wichtigen Lebensabschnitt für ihren Roman «Station Victoria» (1989). Zurück in Lausanne arbeitet sie zunächst als Telefonistin und Sekretärin, studiert anschliessend an der Universität Lausanne Geschichte, Englisch und Italienisch, arbeitet in der Werbung, unterrichtet Sprachen und reist quer durch Europa.

Sie beschäftigte sich mit nahezu allen Möglichkeiten der Literatur, mit Journalismus und Übersetzungen. Ihr Werk, sehr oft autobiographisch, ist geprägt von der Auseinandersetzung mit aktuellen Strömungen. Sie bewunderte Breton, den Surrealismus, die Tradition der grossen amerikanischen Romane, und hat versucht all ihre Vorlieben in ihr Werk einzubringen. Beispiele für ihre ästhetischen Neigungen werden sichtbar in «Gravé au Diamant», «Mortelle Maladie», «Passage des Panoramas», «Hotel Venus». In «La Vermine» ist sie Fürsprecherin für Menschen, die am Rande leben, und mit ihrer Autobiographie «Portrait der Autorin als gewöhnlicher Frau» führt sie die Welt der Emigranten in die schweizer Literatur ein. Sie schildert den Einbruch einer Krankheit in «Eine Messerspitze Blau», nachdem sie eine schwere Krebserkrankung überwunden hatte. Als Essayistin zeichnete sie die Welt des Theaters und des Films, der sie sich verbunden fühlte: «Le Piano du Pauvre», «La Machine fantaisie», «Le Monde des Forains», «Benno Besson et Hamlet».

Nachdem sie während mehrerer Jahre vor allem für Theaterproduktionen gearbeitet und eigene und fremde Theaterstücke inszeniert und produziert hatte, beschäftigte sie sich später wiederum mit Literatur. Dabei stand ihre Biographie nicht mehr im Mittelpunkt des Schreibens. Sie fügte allerdings hinzu: «Ich empfinde, das, was ich erzähle immer noch als autobiographisch, allerdings vertieft und stärker verarbeitet, möglicherweise auch weniger anekdotisch geschildert.»

Ihre Hauptfiguren, mit denen sie sich zutiefst verbunden fühlte, drücken sich immer in der Ich-Form aus, zum Beispiel Francis Tregian in ihrem letzten Roman «Der Lauf des Flusses». Durch Francis Tregian erleben wir das Europa zu Beginn des 17. Jahrhunderts, die gekrönten Häupter, die Wirren und Kriege, die Künstler und die einfachen Menschen, aber auch die Ursprünge unserer Kultur.

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Peter Sidler

Peter Sidler

Peter Sidler, 1950–2004, Journalist, Redaktor bei einer Tageszeitung und einer Presseagentur, Redaktor an der Pressestelle von Schweizer Radio DRS. Hörspielübersetzungen. Seit 1995 freiberuflich als Übersetzer und Lektor tätig.

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Thomas Carlyle also...

Thomas Carlyle also.

Er betrat mein Büro an einem Frühlingsmorgen. Er trug ein breites Lächeln zur Schau. 

»Soso, Sie heißen also Machiavelli«, sagte er auf englisch anstelle eines Grußes.

Zuunterst in meiner Tasche steckt ein vergoldetes Feuerzeug. Es ist für jenen Menschen bestimmt, dem zum Namen Machiavelli ein noch nie dagewesenes Wortspiel einfällt. Bislang hat noch keine Veranlassung bestanden, es auszugraben.

»Mein Name ist Carlyle«, fuhr er fort. »Thomas Carlyle. Die Begegnung zweier großer Philosophen.«

Ich gab mir nicht einmal die Mühe zu lächeln.

Thomas Carlyle ist ein englischer Schriftsteller des neunzehnten Jahrhunderts. Ich hatte meinen Schulunterricht noch nicht ganz vergessen.

»Sehr komisch. Sie haben gerade ein Feuerzeug verloren«, bemerkte ich leutselig.

»Ich? Keineswegs. Übrigens rauche ich nicht.« Seine perfekt maniküierte Hand streckte mir eine geprägte Visitenkarte entgegen. »Thomas D. Carlyle, Esq.«

Das war nun wirklich nicht alltäglich. Er hiess tatsächlich Carlyle. Einen Augenblick lang war ich versucht, ihm das Feuerzeug zu schenken, aber dann tat ich es doch nicht. Zum einen war er Nichtraucher. Dazu kamen seine tadellose Eleganz, sein Oxford-Englisch und die ausgesuchte Höflichkeit, die ihm aus allen Poren drang, die mich davon abhielten.

Ich pflege mich zu waschen und zu schminken, ich gehe zum Friseur und von Zeit zu Zeit zur Kosmetikerin und zur Masseuse. Aber ich kämme mich nicht zehnmal am Tag. Das Schminken nach dem Mittagessen gehört nicht zu meinen Lieblingsbeschäftigungen. Ich sage gerne, es komme nicht auf das Äußere an. Doch in Gegenwart einer Person (ob männlich oder weiblich), die aussieht, als wäre sie einer Modezeitschrift entlaufen, fühle ich mich immer etwas gehemmt.

Thomas Carlyle war sich zweifellos der Wirkung bewußt, die er ausübte, und ich möchte wetten, daß er meine momentane Verwirrung zu seinem Vorteil nutzte.

Tages-Anzeiger, 11. April 2000
Basler Zeitung, 20. April 2000
Der Bund, 29. April 2000


«Lesetipp: Nach zwei grossen historischen Romanen kehrt Anne Cuneo in die schweizerische Gegenwart zurück, in der sie den Kriminalroman ansiedelt, der auch noch etwas mehr ist, nämlich ein Versuch, mit grimmigem Humor und Leichtigkeit zugleich ein schmerzliches Erlebnis zu verarbeiten.» Der Toggenburger

«Anne Cuneo erzählt ein modernes Märchen, in dem das Gute über die düstere Perversität des Bösen siegt und wo man zuletzt, fair und human, auch noch die persönliche Ehre der Schuldigen bewahrt. Doch trotz Happyend will die Idylle sich schliesslich nicht glaubhaft einstellen. Denn: Ob Gerechte oder Ungerechte, Opfer sind wir in dieser Welt alle, Opfer der Moderne. Nicht umsonst sinniert am Ende Marie Machiavelli über Lenin nach, der im Predigerhof mit seinen Freunden ein letztes Glas trank, bevor er den Zug nach Russland bestieg; nicht umsonst bemerkt sie, nach getaner Arbeit in ihr Lausanner Büro heimkehrend, dass die Bulldozer begonnen haben, das gemütliche Quartier niederzureissen, um Platz zu schaffen für Hochhäuser und Schnellstrassen.» Tages-Anzeiger

«Anne Cuneo recherchiert. Marie Macchiavelli ermittelt. Fleissig sind sie beide. Und Glück haben sie auch. Marie unter anderem deswegen, weil sie sich nicht durch Scheuklappen am Denken hindern lässt, und weil sie die richtigen Leute kennt: Nicht nur hat sie eine Menge ausgefallene Freunde mit nützlichen Fertigkeiten, die ihr ab und zu die Kastanien aus dem Feuer holen, sie hat auch eine Sekretärin, die als grundsolide Spiesserin das rechte Gegengewicht zu all diesen Luftikussen bildet. In so einem Beziehungsnetz bleiben dann notgedrungen eine Menge Tatsachen hängen. Das Glück der Autorin steht dagegen sogar in den Schlagzeilen. Kaum braucht sie eine Situation, in der ein Päckchen verloren gehen könnte, schon überfallen Posträuber im wirklichen Leben den Zug von Fribourg nach Lausanne. Und voilà. ‹Eine Romansuppe zusammenkochen. Das kann ich schon. Aber ohne richtiges Gemüse geht es nicht.›» Basler Zeitung

«‹Gewiss, alle Situationen entstammen dem Ozean der vermischten Nachrichten, die uns täglich überschwemmen›, betont die seit vielen Jahren ebenso renommierte wie produktive Westschweizer Autorin Anne Cuneo im Nachwort ihres ersten Kriminalromans, ‹Herz aus Eisen›. Aber diese ‹faits divers› würden, so Anne Cuneo, ‹im Rahmen einer Fiktion verwendet›. In der Tat: In einem furiosen Wirbel schier unglaublicher Ereignisse zieht die Story, in deren Mittelpunkt eine Vergewaltigung steht, am Leser vorüber. Phantastische Kombinationen treiben die in knappen, präzisen Sätzen geschriebene Handlung voran. (...) Der ‹action›-geschüttelte Leser kann den spannenden Text beruhigt aus der Hand legen: Von Marie Machiavelli wird man nach diesem ‹ersten Fall› noch hören.» Der Bund

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