Cavrein
Leo Tuor

Cavrein

Erzählung

Übersetzt von Claudio Spescha

96 Seiten, Klappenbroschur
2. Auflage, August 2016
SFr. 24.80, 24.80 € / eBook sFr. 15.90
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Originaltitel: «Catscha sil capricorn en Cavrein»
978-3-85791-732-5

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«Voller Hintersinn, leichtfüssig, witzig» DRadio

Was sind die Berge? Ein Bergtal? Was ist ein Berg mit seinen Hängen, seinen Felsen, Geröllhalden, Bergnasen, Tobeln und Winkeln? Leo Tuor erzählt vom Scheitern eines Jägers und seiner Begleiter in der rauen Landschaft von Cavrein. In der feuchten, kleinen Hütte mit dem rauchenden Herd verstauen sie ihren Zweiwochenproviant, brechen morgens in der Dunkelheit auf, steigen über Alpweiden und Sümpfe, liegen speckkauend in den Felsen, spionieren mit Feldstechern die Bergflanken ab, schleichen über Geröllhalden und Felsbänder, stolpern über die Ruinen der Hütte, von der aus Placidus Spescha den Tödi oder doch besser den Piz Russein in Angriff nahm, über Tutenchamon und das Kloster Disentis, über Reminiszenzen einer umfassenden Lektüre über Berge, Tiere, Tod und Literatur von Plinius bis Wittgenstein, von Dante bis Malaparte. Und über Raskolnikow. Denn 'ob eine Literatur etwas taugt oder nicht, lässt sich daran erkennen, dass man ihren Figuren im Leben wieder begegnet'.

Leo Tuor

Leo Tuor, geboren 1959, wuchs in Rabius und Disentis auf, wo er die Schule im Benediktiner-Kloster besuchte und 1979 mit der Matura B abschloss. Anschliessend studierte er Philosophie, Geschichte und Literatur in Zürich, Fribourg und Berlin. Während des Studiums war er Redaktor der streitbaren rätoromanischen Zeitschrift «la Talina».

Leo Tuor schreibt Erzählungen, Essays, Kolumnen, Kurzgeschichten und Beiträge für Zeitungen, Zeitschriften und Anthologien. Daneben arbeitet er für Radio und Fernsehen. Viele Jahre verbrachte er den Sommer als Schafhirt auf der Greina und den Herbst als Jäger auf Carpet. Als sein Hauptwerk kann die Surselver Trilogie «Giacumbert Nau» (1988), «Onna Maria Tumera» (2002), «Settembrini» (2006) bezeichnet werden.

2021 erhielt er den Bündner Kulturpreis. «Wir sind Leo Tuor dankbar für jedes Buch und jedes Wort, denn es fehlte uns alles, wenn nur eines fehlen würde», sagt Roman Bucheli in seiner Laudatio.

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Claudio Spescha

Claudio Spescha

Claudio Spescha, geboren 1971 in Chur, studierte Romanistik in Zürich und Montpellier, lebt in Zürich und arbeitet als Bundeshauskorrespondent von Radiotelevisiun Svizra Rumantscha RTR. Er war Mitorganisator der Dis da litteratura a Domat, der rätoromanischen Literaturtage in Domat/Ems. Literarische Übersetzungen für Leo Tuor und Gion Mathias Cavelty. Claudio Spescha ist Mitglied im Stiftungsrat der Schweizerischen Schillerstiftung.

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Willst du ein Tal in all seinen Einzelheiten ...

Willst du ein Tal in all seinen Einzelheiten kennen lernen, einen Berg mit seinen Hängen, Felsen und Halden, mit seinen Nasen und Köpfen, seinen Tobeln, Tiefen und Winkeln, so mach dich auf die Jagd nach dem Steinbock und geh ins Hochgebirge. Es lebe dort ein eigentümlich gebildetes Tier, soll Polybius laut Strabon gesagt haben, hirschähnlich von Gestalt, abgesehen vom Hals und von der Behaarung (die seien dem Eber ähnlich), und unter dem Kinn habe es einen etwa spannenlangen an der Spitze behaarten Knochen, so dick wie der Schwanz eines Fohlens.Unsere Dichter haben dieses Tier «Macun» genannt. Dieses Tier, an dem wir nicht mehr eine Mischung aus Hirsch, Eber und Fohlen mit dem Kinn eines Tutanchamun ausmachen, sondern nur noch seine riesigen Hörner mit den unendlichen Reihen von Wülsten und einen Knoten unter einem Bauch auf kurzen kurzen Beinen.

Wenn du nicht diese Krankheit der Männer hast, wenn du nicht unbedingt in den ersten Tagen schon eine wilde Geiss erlegt haben musst, ja, wenn du sogar in Kauf nehmen willst, nichts zu schiessen und als schlechter Jäger dazustehen, dann stell ein Gesuch für Cavrein oder Russein. Dorthin lassen die Wildhüter nicht jeden gehen. Jägern geht es schnell an ihre Männlichkeit, sie fühlen sich kastriert, wenn sie keine Beute machen. Und der Kanton kann es sich nicht leisten, dass seine Männer schlapp machen, umso weniger als die Zahl der Impotenten unaufhörlich steigt, wenn man den Patientenstatistiken aus der Psychiatrie Glauben schenken kann. Im Übrigen gibt es ja genug Möglichkeiten, in Pantoffeln halbzahme Böcke abzuknallen.

In Russein haben die Steinböcke ihren Stolz und ihre Wildheit ganz und gar bewahrt. Hier bilden sie sich in ihren fettgepolsterten Schädeln noch ein, kein Jäger könne sie jemals erwischen. Es sei denn, einer dieser Griesgrame beschliesse, trotz des abschüssigen Geländes, das die Tiere unweigerlich in den Abgrund reisst, eines abzuknallen, um ruhmbedeckt mit einem Sack Brei auf dem Rücken nach Hause zu stolpern und sich einzubilden, er stehe mit seiner Flinte über Bock und Berg.

Wenn du also den Mut hast, in diese rauen Täler zu gehen, so geh. Du wirst neue Leute und sagenumwobene Tiere kennen lernen: den Steinbock, den goldenen Stier und vielleicht auch den Vogel, der nicht wie Phönix aus dem Weiss der Asche steigt, sondern aus dem Rot des Schlamms, den Vogel, den die alten Jäger auch den «Barboter» nannten. Schon Plinius erzählt von einem Adler, quam barbatam vocant, und den die Etrusker den Knochenbrecher genannt hätten. Die Ornithologen behaupten, er fliege mit den Knochen, die er nicht brechen könne, in die höchsten Höhen hinauf, um sie auf die Steine fallen und zerbersten zu lassen. Ähnliche Geschichten erzählen auch die Lateiner. Sie berichten von einem Adler, der Ententöter genannt werde. Dieser Adler zerschmettere Schildkröten, indem er sie von ganz weit oben herunterfallen lasse. Von einer solchen Schildkröte wurde der Dichter Aischylos erschlagen: «Aischylos sass auf einem Felsen und machte sich seine Gedanken und Notizen. Er hatte eine Glatze, und so hielt ein Adler seinen Kopf für einen Stein. Er liess die Schildkröte, die er zwischen seinen Krallen hielt, fallen. Diese traf den Dichter und erschlug ihn.»

Doch jetzt zu den neuen Geschichten, auch wenn wir das alte Jägerlatein nicht zu weit beiseiteschieben wollen.

Pro Helvetia; 12 swiss Book recommended for translation, 9. Oktober 2013
Deutschlandradio Kultur, 25. Februar 2014
Basler Zeitung, 9. April 2014
Neue Zürcher Zeitung, 24. April 2014
WOZ Literatur, 22. Mai 2014
Literarischer Monat, Mai 2014
in München, Nr. 9, 2014
Der Standard, 7. August.2014
literaturkritik.de, Nr. 8, August 2014
Jagd & Natur, August 2014
Weidwerk Nr. 8, 2014
Wild und Hund, Nr. 17/2014
Berliner Zeitung, 20./21. September 2014
Salz und Pfeffer: Das Magazin der Gastronomie, Nr. 6, September 2014
Orte. Schweizer Literaturzeitschrift, Nr. 179/2014 (Leo Tuor: ... von den Geissen keine Spur)
Badische Zeitung, 21. November 2014
Literarischer Monat, Ausgabe 19, Dezember 2014
Sempacher Woche, 5. Februar 2015
greenpeace magazin, Januar 2017
Bündner Kulturpreis, 12. November 2021


«Wir sind Leo Tuor dankbar für jedes Buch und jedes Wort, denn es fehlte uns alles, wenn nur eines fehlen würde.» Roman Bucheli, Laudatio für den Bündner Kulturpreis 2021

«Leo Tuor leads into a world where vigilance and patience are the watchwords. [..] He tells us how hunting is one means to understanding our fellow man. And that a hunter must also be a storyteller.» Pro Helvetia

«Seine Bücher sind alles andere als provinzielle Heimatliteratur über schroffe Alpenbewohner. Sie sind voller Hintersinn, leichtfüßig, auch witzig, gespickt mit literarischen Zitaten aus allen Epochen.» Deutschlandradio Kultur

«Sein Erstling «Giacumbert Nau» ebenso wie die folgenden Bücher «Onna Maria Tumera» oder «Settembrini» spielten erkennbar in den Tälern und Bergen der Surselva ; doch die darin erzählten Geschichten warfen ein Echo zurück, das von ganz anderen Welten zeugte, und schärften die Sinne für jenes unsichtbare Netz, mit dem alles Zusammenhanglose in dieser Welt über die Zeiten und Räume hinweg geheimnisvoll verbunden wird. Dieser Zauber der poetischen Weltschöpfung liegt nun auch wieder über ‹Cavrein›.» Neue Zürcher Zeitung

«Keiner schreibt schöner über Berge, Steinböcke und die Böcke, die die Jagdverwaltung schiesst. Literatur ohne Knalleffekte; klein, fein und listig.» Literarischer Monat

«Tuor nutzt die hohen Berge als Ausblick auf die Gesellschaft. Dabei ist ‹Cavrein› keineswegs ein moralinsauers Pamphlet, Tuor nähert sich dem Bock über die Bergflanken, über die Literatur, den Mythos und über den Vortrag des Wildhüters.»  WOZ Literatur

«Jäger. Latein. Catscha sil capricorn. Leo Tuor ist ein philosophisch gstudierter Hirt. Heimatverbunden. Gottseidank (selbst)-ironisch, hie und da. Schöner Text. Ein ‹essai›. Und nebenbei lernen wir Oberlandler endlich mal Landkarte und Geschichte Graubündens kennen.» in München

«Vielfach wird dem Schriftsteller die Bewahrung einer alten Welt zugeschrieben, das ist zu romantisch gedacht. Leo Tuor liebt diese, seine Schweizer Landschaft und studiert sie, wie auch seine (bedrohte) rätoromanische Sprache. Seine Gebirgsliteratur aber donnert durch die Jetztzeit.» Der Standard

«Auf seine Art ein einzigartiges Werk.» Wild und Hund

«Leo Tuors ausgeprägte Beobachtungsgabe zeigt sich in genauen und lebensnahen Beschreibungen von Tieren und Menschen. Sein Blick hat aber auch eine unglaubliche Weite, wenn er durch die Landschaft schweift ...» Orte

«Entscheidendes Kraftzentrum ist die karge und unwirtliche hochalpine Landschaft selbst, in der Tuors Erzähler sich bewegt, die er erfährt und wahrnimmt. Sie eröffnet ihm im weiteren Sinn einen asketischen Gedankenraum, der ihn schweigend auf sich selbst zurückwirft. (...) So ist ‹Cavrein› auch ein nachdenkliches Passionsbuch: über die Sprache als Zurichtung der Welt und die Welt als geduldiges und erduldendes Material menschlicher Zumutungen und Gewalten.» Badische Zeitung

«Leo Tuor erzählt satirisch und sarkastisch, mit innerem Feuer und scharfem Blick vom Scheitern eines Jägers, der Tagelang mit Begleitern dem Objekt der Begierde auf der Spur ist, es aber nicht trifft. [...] Ein ganz besonderer Lesegenuss, der mit starken Aussagen nicht nur Jäger und Berggänger faszinieren wird!» Sempacher Woche

«Er lässt sich nicht blicken, der verflixte Steinbock. Die Wege des glücklosen Jägers und seiner Begleiter durch die fremde, karge und doch faszinierende Bergwelt zu verfolgen, bereitet grosse Freude – wegen des grimmigen Humors und weil ausser Kantonsbeamten auch Philospohen wie Wittgenstein und Dante zu Wort kommen.»  greenpeace magazin

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