Walter Hauser
Der Justizmord an Anna Göldi
Neue Recherchen zum letzten Hexenprozess in Europa
Juni 2007
978-3-85791-525-3
Zum 225. Todestag von Anna Göldi erscheint erstmals ein Sachbuch zum letzten Hexenprozess in Europa. 1782 wurde die Magd wegen des Vorwurfs, das Kind ihres früheren Dienstherrn Dr.Tschudi verzaubert zu haben, in Glarus gefoltert und hingerichtet.
Walter Hauser stiess bei seinen umfangreichen Recherchen auf bisher unbekannte Originaldokumente, die den rätselhaften Fall in neuem Licht erscheinen lassen und aufzeigen, dass der Justizmord an Anna Göldi bereits damals europaweit Empörung auslöste. Hauser lässt erstmals Zeitzeugen zu Wort kommen, die den damaligen Prozess verfolgten und unter Lebensgefahr öffentlich zu kritisieren wagten. Hausers brisantes Fazit: Das Todesurteil kam mit einem Zufallsmehr zustande und wurde von einem Gericht gefällt, das dafür nicht zuständig war.
© Ursi Schnyder-Mahr
Walter Hauser
Walter Hauser (1957–2022), aufgewachsen im Kanton Glarus. Dr. iur., Ex-Kantonsrichter, langjähriger Redaktor u. a. bei der «Sonntagszeitung» und beim «Sonntagsblick». Gründer und Stiftungsratspräsident der Anna-Göldi-Stiftung, die sich gegen Justiz- und Behördenwillkür engagiert und 2017 das Anna Göldi Museum in Glarus eröffnete.Der letzte Hexenprozess – ein Überblick
Der öffentliche Skandal
Die Schriften von zwei deutschen Journalisten über den
Göldi-Prozess
Harsche Reaktionen der Glarner Behörden
Die verschwundenen Gerichtsakten
Ein grosser Fund: unbekannte Briefe und ein Stammbuch von Heinrich Ludewig Lehmann
Der Landschreiber Johann Melchior Kubli
Die wichtigsten Publikationen zum Göldi-Prozess im 19. und 20. Jahrhundert
Der Prozess gegen Anna Göldi
Hexenprozesse in Mitteleuropa und in der Schweiz
Das Leben der Anna Göldi bis zu ihrer Verhaftung im
Februar 1782
Ehebruchsklausel bedroht Politkarriere
Annamiggelis seltsame Krankheit
Wider besseres Wissen – die Rolle der Gelehrten im Prozess
Doktor Tissots Theorie von Sexualität und Krankheit
Anna Göldi wird zur Hexe
Der Fall Steinmüller
Fehlende Gerichtszuständigkeit – fehlende Rechtsgrundlage
Bartholome Marti – die entscheidende Figur im Göldi-Prozess
Die Geständnisse unter Folter
Die Folterprotokolle im Wortlaut
Der letzte Widerstand und ein Persilschein für Doktor Tschudi
Die ersten Pressereaktionen auf den Anna-Göldi-Prozess
Glarus im 18. Jahrhundert – ein Blick auf
historische Zusammenhänge
Die glarnerische Familienherrschaft
Der Tschudi-Mythos
Strenge Sitten
Willkürjustiz
Das Volk erhebt sich gegen die Obrigkeit – Zeit der Aufklärung
Untergang der alten Ordnung
Das Schicksal der Familie Tschudi
Der nächste Schritt – die Rehabilitation
von Anna Göldi
Zeittafel Anna-Göldi-Prozess
Literatur
Der letzte Hexenprozess – ein Überblick
Am 13. Juni 1782 wird Anna Göldi im Alter von 48 Jahren in Glarus enthauptet. Gemäss Anklage soll sie das zur Tatzeit achtjährige Töchterchen ihres früheren Dienstherrn Johann Jakob Tschudi-Elmer (1747–1800), Arzt, Politiker und Richter, vergiftet haben. Gerüchten zufolge hatte der Doktor verbotenen «fleischlichen Umgang» mit Anna Göldi.Anna Göldi tritt im September 1780 eine Stelle als Magd bei Tschudis an. Ein Jahr später, im Oktober 1781, spielt sich angeblich ein Streit zwischen der Magd und dem Kind Anna Maria, genannt Annamiggeli, ab. In der Folge finden sich mehrmals Stecknadeln in Annamiggelis Milchtasse. Daraufhin entlässt Doktor Tschudi die Magd sofort und wirft ihr vor, sie habe diese Stecknadeln, die Gufen, in die Tasse gelegt, um sich an Annamiggeli zu rächen.
Anna Göldi selbst löst das Verfahren aus, als sie sich im Oktober 1781 an den evangelischen Pfarrer in Glarus, Johann Jakob Tschudi (1722–1784), wendet und ihren Dienstherrn Doktor Johann Jakob Tschudi anzeigt. Der Camerarius gilt als oberste kirchliche Autorität und höchster Sittenwächter des Landes. Pfarrer Tschudi vertraut Anna Göldi Geheimnisse an, die Doktor Tschudi voller Entrüstung «teuflische Anspinnungen» nennt. (Da sowohl der Pfarrer wie der Doktor Johann Jakob Tschudi heissen, spreche ich im Folgenden von Camerarius Tschudi, wenn der Geistliche gemeint ist. Das Amt des zweiten Vorstehers der evangelischen Synode hat er allerdings erst 1782, also im Jahr des Göldi-Prozesses, übernommen.)
Einen Monat nach Anna Göldis Entlassung, im November 1781, erkrankt Annamiggeli ernsthaft. Das Kind leidet unter «gichterischen» Anfällen (eine Art epileptische Anfälle) und beginnt, unter Qualen Gufen zu speien. Sofort wird Anna Göldi angeschuldigt, das Kind vergiftet zu haben.
Die Magd, die sich in der Zwischenzeit in ihre Heimat im Werdenbergischen abgesetzt hat, wird zur Verhaftung ausgeschrieben. Als sie davon erfährt, flieht sie weiter nach Degersheim im Toggenburg. Dort wird sie gefangen genommen und am 21. Februar 1782 nach Glarus gebracht. Während des Prozesses werfen ihr die Behörden vor, sie habe dem Kind im Beisein von Rudolf Steinmüller, einem Vertrauten der Magd, ein Leckerli (ein süsses lebkuchenartiges Gebäck) gegeben, das verzaubert gewesen sei. Dieses Leckerli habe als Samen für die Gufen gewirkt, die sich im Körper des Kindes vermehrt und bei diesem schlimme Qualen hervorgerufen hätten.
Der Evangelische Rat, der auf massiven Druck von Johann Jakob Tschudi die Zuständigkeit im Prozess gegen Anna Göldi für sich beansprucht, nimmt an, dass die Person, die das Kind verhext hat, dieses auch wieder heilen könne. Nur zögernd erklärt sich die Magd dazu bereit. Sie spürt, dass sie keine echte Chance hat: Heilt sie das Kind, ist das der Beweis, dass sie die Krankheit verursacht hat. Heilt sie es nicht, ist sie erst recht die Schuldige. Die Heilungsversuche finden im März 1782 statt – mit Erfolg.
Unter Folter «gesteht» Anna Göldi am 11. April 1782, der Teufel sei der Urheber des Übels gewesen. Bereits am 13. April nimmt sie diese Version der Geschichte zurück und bestätigt, was das Kind erzählt, dass nämlich Rudolf Steinmüller das Leckerli zubereitet habe. Dieser gibt dies zuerst zu (6./7. Mai), widerruft jedoch noch am gleichen Tag (7. Mai). Am 9. Mai bestätigt er abermals, dass er das Leckerli verabreicht habe. Am 12. Mai 1782 erhängt sich Rudolf Steinmüller im Gefängnis.
Am 19. Mai 1782 erfolgt das letzte Verhör mit Anna Göldi. Zu diesem Zeitpunkt sind die Würfel gegen die Angeklagte bereits gefallen. Doktor Johann Jakob Tschudi hat sein Ziel erreicht: Noch vor der Urteilsverkündung wird er vom Vorwurf, «sich an der Magd fleischlich vergangen zu haben», entlastet.
Nur knapp neun Monate nachdem Anna Göldi ihren Dienstherrn angezeigt hat, fällt der Evangelische Rat am 6. Juni 1782 das Urteil: Tod durch Enthauptung. Bevor der Scharfrichter sein blutiges Werk ausführt, geleitet Camerarius Tschudi die Frau zur Richtstatt und hält eine feierliche Rede: Gerecht sei Gott, wenn er die Sünder strafe. «Nachdem das hohe Gericht seinen gerechten Richterspruch gefällt hat, bitten wir Gott: Erbarme dich der unglücklichen, so tief gefallenen Frau, die schuldbeladen hier vor Deinem Angesicht steht.»
«Als Berufsglarner (‹Bitterkeit und Tränen›, über Auswanderer) und Justizkritiker (‹Im Zweifel gegen die Frau›, über Mörderinnen) ist Hauser der geeignete Mann für die Wahrheitsfindung. Vor allem dank bisher nie ausgewerteten Dokumenten aus Deutschland, wo der Fall schon damals als Skandal galt, zeigt er auf, wie die Glarner Richter eine Magd kaltblütig beseitigten, weil ihr Beischlaf mit dem Dienstherrn die Ordnung gefährdete» Facts
«Das dokumentarische Sachbuch liest sich leicht und ist spannend wie ein Roman. Und es erinnert leise daran, dass Justizwillkür keineswegs Vergangenheit ist.» Brigitte
«Walter Hauser rollt nicht nur den Fall neu auf. Er kann auch die Dokumente vorlegen, die beweisen, dass es sich um einen ‹Justizmord› handelte – nicht um einen Hexenprozess.» Sonntagsblick
«Erst Walter Hauser aber schloss die Lücke, das Thema auch in Form eines Sachbuchs aufzuarbeiten. Das Werk des Glarner Journalisten belegt die Tragik der Anna Göldi und dokumentiert die Stimmung jener Zeit.» Tages-Anzeiger
«Hausers Buch ist kein Roman, wie es bisher erschienene Bücher über ‹die letzte Hexe Europas› waren. Es ist aber auch keine wissenschaftliche Abhandlung. Der Autor legt die Ergebnisse seiner akribischen Recherchen zum Fall in einer Art Dokumentation dar.» SDA
«Drei Jahre hat Hauser, der in Näfels lebt, für sein Buch recherchiert, er präsentiert neue Details aufgrund von neu entdeckten Dokumenten, er bringt die Protokolle der Folterungen im Wortlaut, zeichnet die publizistische Bearbeitung des Falls im deutschen Reich nach, klärt präzis die Zuständigkeit der Gerichte und verfolgt das weitere Schicksal aller Beteiligten. Entstanden ist ein gut lesbares, sorgfältig bebildertes Sachbuch für ein breites Publikum, das auch das gesellschaftliche und politische Umfeld einbezieht.» Neue Zürcher Zeitung
«Eine üble Geschichte von verfilztem Standesdünkel, Scheinheiligkeit, Familienfehden und Fremdenhass. Hauser geht in seinem an farbigen Details reichen Buch vielen sich verästelnden Spuren nach und stellt diese in den politischen wie kulturhistorischen Zusammenhang.» Neue Luzerner Zeitung
««Die Stärke des Buchs liegt nicht nur darin, neue Quellen zu erschliessen und die vielen Unstimmigkeiten des Prozesses aufzuzeigen. Hauser zeichnet auch knapp und präzis ein Bild der damaligen Klassengesellschaft und beschreibt den Untergang der alten Eidgenossenschaft nach der Französischen Revolution. Das Buch ist Pflichtlektüre für Hexer, historisch Interessierte und alle Glarner Landräte. Sie müssen demnächst über eine Motion entscheiden, die eine öffentliche Rehabilitierung von Anna Göldi verlangt. Es wäre Zeit, sich in einem symbolischen Akt zur historischen Verantwortung zu bekennen.» SonntagsZeitung
«Der Glarner Jurist hat neues Quellenmaterial aufgestöbert, das einiges Licht in die mysteriösen und vor allem vertuschten Umstände jenes Prozesses von 1782 bringt. Er präsentiert sie kenntnisreich und lässt sie zum Teil selbst sprechen. Daraus ergibt sich das schauerliche Abbild eines historischen Justizkrimis, der leider wahr ist.» Sonntag
«Hausers sorgfältige Recherchen haben neue Details zutage gefördert. Er breitet seine Erkenntnisse nüchtern aus. Trotzdem liest sich sein historisches Sachbuch mindestens so spannend wie die erwähnten Romane Freulers und Haslers.» Blick
«Dieser Fall von Willkürjustiz steht im Mittelpunkt der akribischen Recherche von Walter Hauser, der sich nicht nur der Dienstmagd widmet, sondern auch der zutiefst hinterwäldlerischen Geisteshaltung im Zeitalter der Aufklärung.» Schweizer Familie
«Auch die damals für den Mord mitverantwortliche evangelische Kirche mochte sich mit dem Unrecht an Anna Göldi nicht noch einmal auseinadersetzten. Doch Hausers Buch wurde zum Bestseller, die Göldi zur Heldin. Hausers Buch wird nun vermutlich eine politische Premiere nach sich ziehen: Im Herbst soll – erstmalig in Europa – ein Parlament über die Rehabilitierung einer Hexe entscheiden.» Der Spiegel
«Lebendige, gut lesbare Darstellung, die das Leben der Dienstmagd und ihre verworrenen Beziehungen zu ihren Dienstherren anschaulich wiedergibt.» ekz-informationsdienst
«Hauser findet für seine Vermutung zahlreiche Belege, die deutlich machen, wie sehr und mit welchen Mitteln die Vertreter einflussreicher Glarner Familien um ihre Macht kämpften. Das macht die Lektüre als Zeitbild über seine Zeit hinaus interessant.
In knappen, gut lesnaren Kapiteln lässt Walter Hauser den öffentlichen Skandal und den Prozess Revue passieren, er zeigt historische Zusammenhänge auf und gibt die Folterprotokolle im Wortlaut wieder. Dabei bringt er nicht nur Licht in die Vergangenheit, er macht dem dem Leser grundsätzlich bewusst, was es bedeutet, wenn der Staat und seine Institutionen Macht und Eigeninteresse über den Menschen und die Menschlichekit stellen.» Der Landbote
«In seinen umfangreichen Recherchen zum letzen Hexenprozess in Europa stiess Walter Hauser auf bisher unbekannte Originaldokumente, die den Fall in einem meuen Licht erscheinen lassen. Hausers Buch ist sehr spannend und informativ und zeigt die ganzen Hintergründe dieses juristischen Skandals.» 20 Minuten