Farinet oder das falsche Geld
Charles Ferdinand Ramuz

Farinet oder das falsche Geld

Roman

Übersetzt von Hanno Helbling

190 Seiten, gebunden, 2 Holzschnitte
2. Aufl., Februar 2016
SFr. 28.–, 24.– € / eBook sFr. 19.90
sofort lieferbar
978-3-85791-440-9

per Post bestellen

als ePub herunterladen

Er musste jetzt lachen, wie er so dasass und sich verwunderte: eine ganze Stadt, mit einem Bischof, einer Regierung, mit einem Schloss, zwei Schlössern, mit Türmen, mit sieben oder acht Kirchen, mit einem Gericht, mit Richtern, mit einem gefällten Urteil, mit Polizisten und Gefängniswärtern, all das und sie alle zusammen hatten ihn nicht zurückhalten können; und er war allein gegen sie alle. Er war allein, sie waren vier- oder fünftausend. Das kam aber daher, dass ihre Gerechtigkeit nichts taugte, dass sie ungerecht ist. Doch für unsereinen gibt es den Geschmack an der Freiheit.

Charles Ferdinand Ramuz
© KEYSTONE/ROGER VIOLLET/Gaston Paris

Charles Ferdinand Ramuz

«Ich bin 1878 zur Welt gekommen, aber sagen Sie es nicht. Ich bin als Schweizer zur Welt gekommen, aber sagen Sie es nicht. Sagen Sie, dass ich im Pays-de-Vaud zur Welt gekommen bin, einem alten savoyischen Land – das heisst dem Languedoc, dem französischen Sprachraum zugehörig –, und an den Ufern der Rhone, unweit ihrer Quelle. Ich habe Altphilologie studiert; sagen sie es nicht. Sagen Sie, dass ich bestrebt war, kein Altphilologe zu sein, was ich im Grunde nicht bin, sondern ein Enkel von Winzern und Bauern, und es war mein Wunsch, ihnen Ausdruck zu geben. Doch ausdrücken heisst erweitern. Mein tiefstes Bedürfnis ist es, zu erweitern ... Ich bin ganz jung nach Paris gekommen; in Paris und wegen Paris habe ich mich kennen gelernt. Während zwölf Jahren habe ich jedes Jahr wenigstens einige Monate in Paris verbracht; und die Reisen von Paris heim und von daheim nach Paris sind meine einzigen Reisen geblieben! (Ausser jener, die ich aus Religion unternommen habe, der Rhone nach bis ans Meer, mein Meer.)»

Ramuz war mit Mitteilungen über seine Person äusserst sparsam. In seinem Tagebuch, das er vor der Veröffentlichung überarbeitete, findet man nur wenige Hinweise auf sein Privatleben. Sein umfangreicher Briefwechsel gibt nur Aufschluss über seine literarischen Projekte und über das kulturelle Leben der damaligen Westschweiz.

Ramuz wurde am 24. September 1878 in Lausanne geboren; sein Vater hatte ein Kolonialwarengeschäft und war später Weinhändler. Nach dem Collège classique besuchte Ramuz das Gymnasium und liess sich 1896 in der philosophischen Fakultät einschreiben. Ein Aufenthalt in Karlsruhe hinterliess wenig Erinnerungen, dafür den Entschluss, Dichter zu werden. Nicht ohne Schwierigkeiten erhielt er vom Vater die Erlaubnis, seine Studien in Paris fortzusetzen, um eine Doktorarbeit über den Dichter Maurice de Guérin zu schreiben. Daraus wurde nichts, dafür fand er sich in Paris als Dichter. Mehr als zehn Jahre verbrachte er – mit längeren Unterbrüchen – in Paris. Dort lernte er auch seine Frau kennen, die Malerin Cécile Cellier. Im Krieg lernte er Igor Strawinsky kennen; aus ihrer Zusammenarbeit entstand die «Histoire du Soldat».

Von 1926 an veröffentlichte der Pariser Verlag Grasset seine Werke. 1936 erhielt er den Grossen Preis der Schweizer Schillerstiftung. Ramuz starb am 23. Mai 1947 in Pully bei Lausanne.

François Bondy über das literarische Werk des Schriftstellers Charles-Ferdinand Ramuz im «Monatsmagazin» des Schweizer Fernsehens am 21.12.1977:

mehr...

Hanno Helbling

Hanno Helbling

1930–2005, geboren in Zuoz, Engadin. Schulen und Studium in Zürich, Promotion in Geschichte, Deutscher Literatur und Vergleichender Literaturgeschichte 1953. Weitere Studien in Neapel, München, Rom bis 1956. Verlagslektor in Zürich bis 1958. Redaktor der Neuen Zürcher Zeitung von 1958 bis 1995; Leiter der Feuilletonredaktion von 1973 bis 1992. Seit 1994 in Rom.

Publikationen zur Geschichtstheorie, zu spätmittelalterlicher Geistesgeschichte und neuester Kirchengeschichte; Essays zu literarischen Themen. Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung; Ehrendoktor der Universität Freiburg.

Übersetzungen, vorwiegend lyrischer Texte, aus dem Französischen (Charles Ferdinand Ramuz, Benjamin Constant, Marcel Proust), Englischen (William Shakespeare, W. H. Auden) und Italienischen (Giacomo Leopardi, Eugenio Montale, Giuseppe Ungaretti, Giorgio Caproni, Mario Luzi, Dino Campana, Fabio Pusterla).

mehr...

Genau drei Tage später ...

Genau drei Tage später, am 30. August, kommen ein paar kleine Mädchen nach Hause, die Brombeeren suchten über dem Dorf; sie sagen, sie hätten ihn gesehen.

«Wen denn?»

«Farinet.»

«Wo denn?»

«Unten an den Steinen.»

Es gibt zwischen der Stelle, wo die Felsen aufhören, und der Stelle, wo die Wiesen anfangen, eine schmale Geröllzone, in der Fichten wachsen und gegen den Rand hin Brombeersträucher; dort, sagten sie, sei er auf einmal aufgetaucht.

«Und ihr seid auch ganz sicher, dass er es war?»

«Oh, ja!»

Am dreißigsten Tag im August (der einunddreißig Tage hat).

«Hat er nichts zu euch gesagt?»

«Nein.»

«Und dann?»

«Oh, wir trauten uns nicht zu bleiben.»

Das sagen die Mädchen, da sie gegen fünf Uhr ins Dorf zurückkommen, und ihre Kesselchen waren nur halb gefüllt. Sie sagten die Wahrheit.

Er kam zurück, aus den Bergen herab.

Er hatte seinen Weg offenbar quer durch die Felsen abgekürzt und sich grade hinuntergelassen auf einen Punkt, den er im voraus bestimmt hatte - da war er erschienen, mit einemmal, zwischen den niedrigen Ästen eines Haselnussstrauchs, die er zur Seite schob. Oben an der Böschung hockte er, ließ sich herunter, während die kleinen Mädchen davonliefen, mit klappernden Holzböden und scheppernden Kesselchen.

Da fängt es an, oder wieder an. Farinet dampfte noch ein wenig, denn es war heiß. Es hatte bis Mittag geregnet, dann hatte das Wetter sich aufgehellt; er dampft in seinen dicken Kleidern aus brauner Wolle, an denen es dunklere Stellen gab, dort wo sie noch feucht waren, und andre, fast graue Stellen. Man sieht, er trägt einen Sack auf dem Rücken. Die Hutkrempe hängt zur Seite hinab, man sieht eine Haarsträhne und den Rand des Ohrs.
«Die Sprache des Schriftstellers ist karg und elementar wie die Natur der Walliser Alpen, wo Farinet nach Gold gräbt und wo er Unterschlupf findet.» Basler Volksblatt