Sommernachtsraum
Esther Banz (Hg.), Urs Peter (Hg.)

Sommernachtsraum

Das Freiluftkino auf dem Zürcher Röntgenplatz - Geschichten von Menschen und Filmen im Kreis 5

Mit Texten von Sarah Jäggi, Philippe Amrein, Daniel Bütler, Dominik Gross, Florian P. Keller, Adrian Gerber, Jacqueline Häusler / Mit einem Vorwort von Richard Wolff

204 Seiten, gebunden, 142 Fotografien, Pläne, Abbildungen farbig und s/w
1. Aufl., Juni 2014
SFr. 36.–, 40.– €
sofort lieferbar
978-3-85791-759-2

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Das Freiluftkino

'Von aussen wurde die Achtziger Bewegung ja nur mit Gewalt und Chaos gleichgesetzt', erinnert sich Urs Peter, der zum Gründungsteam des Sommerkinos gehörte, 'im Innern war da aber eine unglaubliche Energie und Kreativität. Auf einmal war alles ganz anders. Diese ganze bleierne Lähmung, einfach weg! Plötzlich war alles im Fluss, das Neue hatte endlich eine Chance.' Der damalige Medizinstudent gründete mitten im Arbeiterquartier zusammen mit anderen Engagierten das Sommerkino, das 2014 sein dreissigjähriges Bestehen feiert. Nein, das erste Freiluftkino nördlich der Alpen war es nicht ganz, aber ein unkommerzielles Ereignis für alle, Jahr für Jahr. Mitwirkende und Menschen aus dem Quartier erzählen aus dreissig Jahren Sommerkino, dem Kreis 5 und aus ihrem Leben. Wir erfahren ferner, wie das flache Gebiet hinter der Sihl zum Arbeiterquartier wurde und wie das wiederum im Film abgebildet ist.

Beiträge von Philippe Amrein, Esther Banz, Daniel Bütler, Adrian Gerber, Dominik Gross, Jacqueline Häusler, Sarah Jäggi, Florian Keller, Philipp Klaus, Adrian Krebs, Philippe Sablonier, Thomas Schärer, Ruedi Weidmann, Judith Wyder und Thomas Wyss (Portätfoto)

Esther Banz

Esther Banz

Esther Banz, geboren 1970, ist Journalistin und Kulturveranstalterin in Zürich-Aussersihl. Nach Lehr- und Wanderjahren in London und Toronto, wo sie u. a. als Radiomoderatorin arbeitete, war sie mehrere Jahre Redaktorin für Politik, Kultur und Gesellschaft bei der Wochenzeitung «WoZ» und Redaktorin und stellvertretende Textchefin beim «Beobachter». Heute ist sie freischaffend.

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Urs Peter

Urs Peter

Urs Peter, geboren 1960, hatte die Idee zum Sommerkino. Er wohnte in den Achtzigerjahren direkt am Röntgenplatz. Nach einem abgebrochenen Geschichts- und Ethnologiestudium hat er Medizin studiert. Inzwischen lebt er wieder in seinem Elternhaus und arbeitet als Neurologe in einer Gruppenpraxis. Er ist Autor des Buches «Europa – warum wir sind, was wir sind. Die historische Ethnologie eines ungewöhnlichen Kontinents».

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Dreissig Jahre Gemeinsamkeit

Vorwort


Langsam verblasst der Tag, die Sommernacht senkt sich über die Baumkronen am Röntgenplatz. Die Leinwand ragt gross und leer, matt schimmernd auf. Kinder rennen herum, Erwachsene sitzen dicht nebeneinander auf schmalen Bänken. Wird es genügend Sitzplätze für alle haben? Wird es regnen oder bleibt es trocken? Wird die Tonspur gut hörbar sein? Wird man vor lauter Köpfen die Leinwand sehen?

«Hallo» hier, «Hoi zäme!» dort, «Ciao bella», «Cómo estás?», «Dobar dan», «Merhaba» «Good to see you». Der Kreis 5 trifft sich, man kennt sich. NachbarInnen, Freundinnen und Bekannte, alle sind da. Ahh, wunderbar, endlich wieder Kino auf dem Röntgenplatz – und es ist immer noch trocken! Vorfreude stellt sich ein, Wohlbefinden und auch ein Gefühl der Zusammengehörigkeit. Nun schon zum dreissigsten Mal.

Es ist alles andere als selbstverständlich, dass hier auf der einst vielbefahrenen Kreuzung mitten im Kreis 5 überhaupt Platz ist für einen Treffpunkt nicht motorisierter Menschen unter freiem Himmel, und dass es ein Sommerkino gibt unter Bäumen und dem Sternenzelt – gut, zugegeben, manchmal auch unter düsteren Regenwolken mit dem zugehörigen Nass. Dass der Röntgenplatz in seiner heutigen Form existiert und mit ihm das Kino, sind Erfolgsgeschichten eines Quartiers, das aufmüpfig und lebendig ist und von intelligenten und engagierten BewohnerInnen sowie deren FreundInnen und SympathisantInnen alltäglich belebt, beseelt und visionär geträumt wird.

Von der Idee, den Röntgenplatz vom Verkehr zu befreien, bis zum erwünschten Ergebnis dauerte es fast fünfzehn Jahre. Ein entsprechend langer Atem, Fantasie, Hartnäckigkeit, Solidarität und ein breit abgestütztes politisches Engagement führten schliesslich zum Erfolg. Immer wieder zeichnete sich der Kreis 5 durch diese spezielle Mischung zielführender Eigenschaften aus, die ihn so besonders machten und in diversen politischen Kämpfen um Freiräume wiederholt über das gesamtstädtische Niveau hinaushoben. Der obere Kreis 5 ist klein, eher ein Dorf, und doch urbaner und dynamischer als so manches grosse Stadtquartier. Er ist kosmopolitisch, familiär, entspannt und immer wieder oder immer noch für Überraschungen gut; Avantgarde eben!

Die politischen Auseinandersetzungen im Quartier waren schon immer geprägt von Eigenwilligkeit, viel Selbstbewusstsein und einer mit frecher Naivität gepaarten Kreativität. Besonders autoritätsgläubig war man hier nie, und einschüchtern liess man sich auch nicht. Vielleicht ist das auf die Geschichte als ArbeiterInnen- und EinwanderInnen-Quartier zurückzuführen. Als die SBB in den späten Neunzigerjahren zwei neue Gleise quer durchs Quartier bauen wollten, formierte sich der Widerstand im Verein «Verrückt das Viadükt». Der Kampf David gegen Goliath schien hoffnungslos, rein symbolisch. Das Gallierdorf gegen das Imperium der Bundesbahnen. Dank alternativ-genialer Planungsarbeit, dem VCS und zahlreichen OptimistInnen gelang das Unmögliche. Dieses Jahr konnten wir in Zürich den neuen Tiefbahnhof Löwenstrasse einweihen, zusammen mit der Durchmesserlinie zwischen Limmattal und Oerlikon/Flughafen. Eine Jahrhundertinvestition von zwei Milliarden Franken, die auch den Leuten aus dem Kreis 5 und deren Widerstand zu verdanken ist. «Die politischen Auseinandersetzungen im Quartier waren schon immer geprägt von Eigenwilligkeit, viel Selbstbewusstsein und einer mit frecher Naivität gepaarten Kreativität. Besonders autoritätsgläubig war man hier nie, und einschüchtern liess man sich auch nicht.»

In den Achtzigerjahren wurde Stadtentwicklung für mich und eine Gruppe gleichgesinnter StudentInnen an der Universität zum zentralen Thema. Ich wollte aber nicht nur theoretisch arbeiten, sondern Stadtentwicklung konkret erleben und mitgestalten. Deshalb schloss ich mich dem politischen Widerstand vor Ort an. Der Ort war, wen wunderts, der Kreis 5. Ich wurde Mitglied der «Allianz Alli gäge d'Brugg – Weder Trugg no Bunnel». Wir setzten uns gegen den Bau einer Autobahnbrücke über die Limmat zur Wehr. Damals war geplant, die Autobahn vom Milchbucktunnel her vierspurig über die Limmat und die Badi Oberer Letten zu führen. Eine Katastrophe für den Kreis 5 und die ganze Stadt. Wir informierten und agitierten, produzierten sogar einen Fotoroman, organisierten ein riesiges Protestfest mit Live-Bands im Limmatschulhaus und vieles mehr. Und siegten. Die Brücke wurde nie gebaut, die Stadt blieb verschont.

Ich wohnte in Wipkingen, dem Zürichberg des Industriequartiers, wie ich scherzhaft zu sagen pflegte. Ein damals verschlafenes Quartier, das von kleinbürgerlicher Enge geprägt war. Für mich begann die wirkliche Stadt am Limmatplatz und beim Café Greco selig als Eingangstor zur Langstrasse und damit zur Welt. Glücklicherweise wohnten viele meiner Freunde und Freundinnen dort, und so verbrachte ich die halbe Studienzeit an der Klingenstrasse in einem bunten WG-Haus. Meine Liebe galt dem Kreis 5. Hier gefiel es mir, hier hielt ich mich gerne auf. Der Kreis 5 als Teil von Aussersihl mit seiner Vielfalt verschiedenster Lebensstile auf engstem Raum galt als Zentrum der alternativen Szene und stand gleichzeitig unter enormem Druck der expandierenden City. Der Kreis 5 wurde deswegen auch zum Kern meiner wissenschaftlichen Forschung. Alles, was mit der Entwicklung des Bahnhofs zu tun hatte, von der Gleisüberbauung «HB Südwest» bis hin zur heutigen «Europaallee», «Dieses Jahr weihen wir in Zürich den neuen Tiefbahnhof Löwenstrasse ein, zusammen mit der Durchmesserlinie zwischen Limmattal und Oerlikon Flughafen. Eine Jahrhundertinvestition von zwei Milliarden Franken, die auch den Leuten aus dem Kreis 5 und deren Widerstand zu verdanken ist.»

interessierte mich. Das Eindringen der «City» ins alte ArbeiterInnenquartier, die beginnende Verdrängung günstigen Wohnraums, das, was wir heute Gentrifizierung nennen, wurden zum Gegenstand meiner akademischen Neugier. Die Veränderungen des alten Industriequartiers und die Expansion des Luxuswohn-eigentums in Zürich West waren und sind immer noch Paradebeispiele der globalen Entwicklung sogenannt erfolgreicher Städte. Hier geht es um Stadtentwicklungsgeschichten, die in einem internationalen Kontext zu sehen sind. Einander bedingende Phänomene wie Aufwertung, Profitmaximierung, Wachstum, Erneuerung, Verdichtung und Verdrängung konnten im Industriequartier hautnah und exemplarisch mitverfolgt werden. Am Röntgenplatz und an den Strassen, die zu ihm führen, hat es zahlreiche Häuser von Wohnbaugenossenschaften. Der Boden, auf dem sie stehen, ist der Spekulation entzogen – Genossenschaftswohnungen bleiben bezahlbar und sorgen für Stabilität, Durchmischung und Leben im Quartier.

Neben dem Anschauungsunterricht, was urbane Entwicklung angeht, nebst unzähligen Geschichten – politischen, schrägen, erfolgreichen und anderen – hat mir der Kreis 5 vor allem auch viele WeggefährtInnen und FreundInnen beschert. Die Menschen sind es, die zählen, die Freundschaften sind es, die Bestand haben. Das und die Erfolge im Kampf für eine lebenswerte Stadt. Eine Stadt, die eben auch EinwanderInnen, StudentInnen, Arbeitslosen und Querköpfen ein Zuhause bietet. Dass es ein Zuhause ist, in dem man zusammen gerne und gut lebt, hat das Quartier auch dem Sommerkino und seinen MacherInnen zu verdanken. Herzlichen Dank Euch allen für ein schönes Stück Heimat! Richard Wolff, Mitkämpfer und Stadtrat
Westnetz.ch, 14. Juli 2014
P.S., 17. Juli 2014
Zürich West Nr. 24, 21. August 2014
www.hhprinzler.de, 02. September 2014
Kunstbulletin, Oktober 2014

«Das Buch ist ein sehr lesenswertes Zeitdokument, das neben ‹Bewegungsgeschichte› auch Quartier- und Stadtgeschichte erzählt, den Kreis 5 als ‹Filmmekka der Deutschschweiz› zeigt, die Sammlung aller Sommerkino-Plakate seit 1985 enthält – und damit auch ein Stück Grafikgeschichte schreibt – und über 30 QuartieraktivistInnen portraitiert.» P.S.

«Ein richtiger Lesespass – spannend und unterhaltsam.» Zürich West

«Eine ungewöhnliche Publikation!» Hans Helmut Prinzler

«Seit dreissig Jahren gibt es das Sommerkino auf dem Zürcher Röntgenplatz und wer einmal dort war, wird immer wieder hin wollen. Das Buch erzählt von der Kino- und vielleicht mehr noch von der Quartiersgeschichte. (...)
Man fragt sich, was in diesem seit je wenig autoritätsgläubigen und häufig solidarisch und politisch engagiert agierenden Kreativquartier noch alles entstehen kann.» Kunstbulletin

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