Fallhöhe
Sabina Altermatt

Fallhöhe

Roman

160 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
August 2010
SFr. 24.80, 24.80 €
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978-3-85791-607-6

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Schlagworte

Literatur
     

Klassentreffen in den Bergen, fünfzehn Jahre nach der Matur. Was als Rundwanderung gedacht war, endet für drei Frauen und zwei Männer unfreiwillig in einer Berghütte. Marina, grosse Hoffnung und Liebling der Lehrer, hat einen fünfzehnjährigen Sohn und das Tal nie verlassen. Sandra lebt in Kanada und ist nach zehn Jahren erstmals wieder in der Schweiz. Eveline ist ein Kontrollfreak und hat die Auseinandersetzungen mit Marina, damals ihre beste Freundin, nicht verdaut. Adrian, Sandras Jugendliebe, versauert als Dokumentalist, obwohl er immer hatte Künstler werden wollen. Und Frido entspricht ganz dem Bild eines Anwalts mit Frau und zwei Kindern.
Eine lange Nacht beginnt. Während Adrian und Frido sich betrinken, erzählt Sandra, warum sie wirklich in die Schweiz gekommen ist, und Eveline lässt Marinas Intrigen, die sie vor fünfzehn Jahren gesponnen hat, auffliegen.
Ein Roman über das Leben der Mittdreissiger, voller aufgeschobener Entscheidungen, verpasster Chancen und ungelebter Träume.

Sabina Altermatt
© Limmat Verlag

Sabina Altermatt

Sabina Altermatt, geboren 1966, aufgewachsen in Chur, Studium der Staatswissenschaften in St.Gallen. Arbeitet als PR-Beraterin, lebt und schreibt heute in Zürich und im Glarnerland. Für ihr literarisches Schaffen erhielt sie verschiedene Preise und Stipendien.

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Marina war mit der Bahn ...

Marina war mit der Bahn im Dorf angekommen, betrachtete den Wegweiser. Bis zum Bergrestaurant waren es zwei Stunden, zur Blegihütte drei. Es war bereits zwei Uhr und die anderen schon fast zwei Stunden unterwegs. Sie würde es nicht schaffen, sie einzuholen.

Karins Notfallnummer lag zu Hause auf dem Küchentisch. Sie versuchte vergeblich, Andrea anzurufen. Zu Hause war sie nicht, und ihr Handy nahm sie nicht ab.

Sie sollte umkehren, wieder nach Hause gehen. Drei Stunden alleine zur Hütte marschieren, das war langweilig.

War das nicht ein Wink des Schicksals? Vielleicht war es keine gute Idee, ihre Klasse wiederzusehen.

«Schau, da geht's zur Talstation vom Sessellift. Das sind bloss ein paar Minuten.» Zwei ziemlich beleibte Mittzwanziger standen neben ihr.

Die würden besser zu Fuss hinaufgehen, dachte Marina.

Ein dicker Finger zeigte auf den Wegweiser.

«Da sind wir in ein paar Minuten im Bergrestaurant.»

Das war ein weiterer Wink des Schicksals. Eines anderen Schicksals. Sie folgte den beiden, die gemächlich Richtung Sessellift wackelten.

Das Holzhaus schmiegte sich Schutz suchend an den Berg. Daneben thronte eine Rottanne. Eine der wenigen auf dieser Höhe. Vor dem Haus flatterten gelbe Sonnenschirme. Vorne am Abhang standen ein paar Kühe und glotzten ins Tal. Am Horizont ein Bergmassiv. Vereinzelte Schneereste klebten an den Hängen. Aus einer Furche floss ein Bach. Der Berg schien zu schwitzen.

Eveline hatte Durst. Ihre Kleider klebten am ganzen Körper. Gaben ihr das Gefühl, lediglich eine Hülle zu sein. Inhaltsleer.

Der Wind hatte inzwischen aufgehört. Es war stickig heiss. Die Wasserflasche war bereits vor dem Grat fast leer gewesen. Sie waren durch tiefe Runsen gewandert, die man fast nicht sah, weil sie überwuchert waren, dann durch einen feuchten Tunnel.

Stefan überholte sie, ging zielstrebig auf die roten Tische zu.

«Hallo, wir kehren nicht ein», rief Karin von hinten.

«Das kannst du nicht machen.» Er verzog das Gesicht wie ein kleines Kind kurz vor dem Losbrüllen und zeigte auf eine Tafel. «Schüblig mit Kartoffelsalat» stand darauf.

«Wir müssen weiter, sonst sind wir bis am Abend nicht zurück.» Karin schaute auf ihre Karte.

«Wieso müssen wir eigentlich eine Rundwanderung machen? Wir können mit der Sesselbahn hinunterfahren. Und wenn es Regen geben sollte ... Ich muss nicht unbedingt nass werden», sagte Eveline.

«Wir machen eine Rundwanderung, weil Karin das so geplant hat. Mach doch du nächstes Mal das Programm», gab Frido zurück.

Eveline lehnte vornüber und leerte sich die letzten Tropfen aus ihrer Wasserflasche über den Nacken.

«Ausserdem scheint sich das schlechte Wetter zu verziehen», fuhr Frido fort.

«Wenn du dich nur nicht täuschst.» Eveline richtete sich auf.

«Ich täusche mich selten.»

«Jetzt hört schon auf!» Stefan hatte sich an einen freien Tisch gesetzt und die Beine ausgestreckt.

«Ich habe bloss gesagt, dass ...»

«Ich mache euch einen Vorschlag», fiel Karin Eveline ins Wort. «Wer nicht weiter will, bleibt hier und fährt mit der Sesselbahn ins Dorf. Diejenigen, die einen phänomenalen Ausblick und eine wunderbare Alpenflora nicht verpassen wollen, kommen mit.»

«Ich finde die Aussicht hier ganz nett.» Stefan winkte der Servierfrau.

«Wer möchte hier bleiben?» Karin wurde ungeduldig.

«Ich ...»

«Okay, Eveline. War ja klar.»

«Nein, ich komme natürlich mit, aber ich muss schnell aufs Klo.»

«Natürlich.» Frido setzte sich stöhnend auf einen Stein und blickte ins Tal. «Dabei hat es alle paar Meter ein Gebüsch.»

Eveline warf ihm einen bösen Blick zu, doch er beachtete sie nicht.

Auf der Toilette gab es nur kaltes Wasser und keine Seife. Trotz Schweinegrippe. Sie klaubte ein Reinigungstuch aus ihrer Tasche und versuchte dabei, nichts anderes zu berühren. Das nächste Mal würde sie das Tuch bereitlegen, bevor sie aufs Klo ging. Sie reinigte die Hände, dann die Arme bis zu den Ellbogen, füllte ihre Wasserflasche auf und nahm einen grossen Schluck.

«Können wir endlich weiter?» Frido hatte sich erhoben.

«Wartet! Ich komme mit.» Stefan leerte das Glas Rivella und rannte der Gruppe mit einem angebissenen Schüblig in der Hand hinterher.

Der Bügel klappte automatisch hoch. Sie schwang sich vom Sitz und ging Richtung Ausgang. Das Bergrestaurant mit den gelben Sonnenschirmen wirkte freundlich.

Marina rechnete. Wenn die anderen rechtzeitig losgegangen waren, dann müssten sie gleich hier oben ankommen. Sie setzte sich unter einen der Schirme und bestellte einen Kaffee. Sie überlegte sich, was sie zu erwarten hatte. Und der Gedanke begann ihr zu gefallen. Die ganze Klasse kommt verschwitzt oben an, und sie sitzt entspannt im Restaurant.

Neben ihr sass das dicke Pärchen. Beide vor einem Fläschchen Mineralwasser. Er rieb mit seinem Knie an ihrem Bein, und sie wischte alle zwei Minuten mit einem Taschentuch den Schweiss vom Nacken.

Marina stellte sich vor, wie die beiden nackt nebeneinander auf dem Teppich lagen, zwei Robben, und wie sie einander Süssigkeiten in den Mund stopften, die dicken Schenkel mit Vanillecrème einrieben und sie gegenseitig ableckten.
Tages Anzeiger / Züritipp, 26. August 2010
20minuten.ch, 31. August 2010
Die Südostschweiz, 14. September 2010
An.Schläge, das feministische Monatsmagazin, November 2010
Südkurier, 18. Januar 2011
PS, 20. Januar 2009
Obwalden und Nidwalden Zeitung, 25. Januar 2011
Wienerin, März 2011
Neue Zürcher Zeitung, 29. März 2011

«Sabina Altermatt, die vielleicht beste Krimiautorin dieses Landes. ‹Fallhöhe› heisst ihr Neuster, ein 154 Seiten schmales Bändchen, in dem kein Wort zuviel steht, das aber gespickt ist mit gedrungenen Dialogen und ungewohnten Figureneinsichten.» Tages-Anzeiger

«Altermatt gelingt mit schon fast spielerischer Leichtigkeit, exellente Figurengestaltungen, präzise Dialoge und ihre genaue Beobachtungsgabe literatisch umzusetzen. Mit ‹Fallhöhe› hat sie ein Kammerspiel im Stille von Tennessee Williams Klassiker ‹Die Katze auf dem heissen Blechdach› geschaffen.» Die Südostschweiz

«Die Nacht in der Berghütte gestaltet die Autorin Sabina Altermatt als kriminalistisches Kammerspiel und lässt es richtig krachen. » An.Schläge

«Neben der Substanz der Erzählung imponierten mir zusätzlich die Fähigkeit zu unterschiedlichen Dialogen und die Gabe des unterschiedlichen Tempos. Eine Geschichte, die den lokalen Bonus nicht benötigt.» P.S.

«‹Fallhöhe› ist ein Buch der verpassten Chancen. Hier sitzt jedes Wort. Und selbst kleine Nebenszenen – wie Evelines Zugfahrt bei der Anreise – erscheinen am Ende im neuen Licht. Altermatt zieht eine nüchterne Zwischenbilanz der Generation der Mittdreißiger. ‹Was hält eine Beziehung zusammen?›, heißt es an einer Stelle. ‹Gewohnheit oder Trägheit›, lautet die lakonische Antwort. Dem klärenden Unwetter in den Bergen folgt dennoch ein Happy-End.» Südkurier

«Einfühlsames Debüt!» Wienerin

«Sabina Altermatt, bis anhin als versierte Krimiautorin bekannt, hat in ihrem neuen Roman das klassische Schema der ‹geschlossenen Gesellschaft› übernommen und neu belebt.» 20minuten

«Es ist geradezu ein reinigendes, kathartisches Gewitter, das über die Frauen und Männer niedergeht, die nun alte Geschichten auspacken, die sich endlich sagen, was sie sich immer schon hatten sagen wollen. In kurzen und von geschickt eingefügten Rückblenden durchbrochenen Sequenzen erzählt Sabina Altermatt diesen Tag der Wiederbegegnung, dem alle Beteiligten mit Lustangst entgegenfieberten.» NZZ

«Sabina Altermatt zeigte, dass ‹Fallhöhe› nicht nur mit feiner Klinge die Innenwelt der Darsteller seziert, sondern auch Spannung und Nervenkitzel für den Leser bereithält.» Obwalden und Nidwalden Zeitung