Eine Frau macht Politik
Liselotte Lüscher

Eine Frau macht Politik

Marie Boehlen 1911-1999

240 Seiten, 35 Abb., gebunden
1., Aufl., Oktober 2009
SFr. 34.–, 40.– €
sofort lieferbar
978-3-85791-591-8

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Es ist ein lebenslanger Kampf, den Marie Boehlen nicht nur für die Rechte der Frauen, sondern auch für ihre eigenen führt: Geboren 1911 in Riggisberg im Kanton Bern, arbeitet die Juristin als Jugendanwältin, präsidiert das bernische Aktionskomitee für die Einführung des Frauenstimmrechts und die SP Frauen Schweiz. Als 1971 in der Schweiz das Frauenstimm- und -wahlrecht eingeführt wird, sitzt Marie Boehlen noch im gleichen Jahr für die SP im Berner Stadtrat, danach im Grossen Rat des Kantons Bern.
Wer war die oft schroff und distanziert wirkende Frau, die nicht davor zurückscheute, sich unbeliebt zu machen, und bis zu ihrem Tod 1999 aktiv blieb? Und wie beeinflusste sie die politische Entwicklung? Gestützt auf Marie Boehlens unveröffentlichte Lebensgeschichte, ihre Briefe und Artikel sowie Aussagen von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen zeichnet Liselotte Lüscher ein vielschichtiges Bild der unermüdlichen Frauenrechtlerin, die sich ganz einfach weigerte, an unveränderbare Realitäten zu glauben.

Liselotte Lüscher
© Limmat Verlag

Liselotte Lüscher

Liselotte Lüscher, geboren 1934, Erziehungswissenschaftlerin. Sie arbeitete u. a. als Lehrerin, als Mitarbeiterin des Schulamts der Stadt Bern und als Lehrbeauftragte am Pädagogischen Institut der Universität Bern. Von 1993 bis 2008 war sie für die SP im Stadtrat von Bern, seit 2004 ist sie Mitglied der Kantonalen Kommission für Gleichstellungsfragen.

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Die Abschiedsfeier für Marie Boehlen

Die Frauenrechtlerin
Geboren in einem Land ohne Frauen-stimm-recht
Der Einstieg im Frauenstimmrechtsverein
Die Petition an den Grossen Rat des Kantons Bern
Die kantonale Initiative für die Mitbestimmung der Frauen in der Gemeinde
Noch einmal Nein, dann endlich Ja zum Frauenstimmrecht

Die Juristin
Die berufliche Karriere einer Juristin nach dem Zweiten Weltkrieg
Die scharfkantige Juristin setzt sich ein für ein menschlicheres Jugendstrafrecht
Ein ganzes Buch für die Verteidigung der Erziehungsheime
Der Frauenstrafvollzug: das Thema von «Frauen im Gefängnis»

Die Sozialdemokratin
Eintritt in die SP Schweiz mit 34 Jahren
Aktivitäten an der SP-Basis
Der Aufstieg in den Frauenstrukturen der SPS
Glück und Pech bei den Parlamentswahlen

Marie Boehlens Leben in Bildern

Die Parlamentarierin
Unter den ersten Frauen in den Parlamenten von Stadt und Kanton Bern
Aktiv im Stadtrat von Bern
Politische Schwerpunkte im Grossen Rat
Abgang aus den beiden Parlamenten

International tätig und reiselustig
Das Amerikajahr
Mitglied der Unesco-Kommission
Im Internationalen Rat der sozialdemokratischen Frauen
Das Tor zur Welt soll nicht zu früh zugehen

Späte Würdigungen

Die Abschiedsfeier für Marie Boehlen

«Danke aber auch für deine Unnachgiebigkeit und deine Streitlust.»
Rote Spinne, Februar 2000

 

Es war ein kalter, aber schneefreier Tag, der 7. Dezember 1999, als eine grosse Zahl von Menschen in die Petruskirche im Elfenauquartier von Bern strömte, um von Marie Boehlen, die am 30. November gestorben war, Abschied zu nehmen. Hier in der Elfenau, an der Scharnachtalstrasse, hatte sie seit 1954 gewohnt, und hier, nicht weit von ihrem langjährigen Wohnort entfernt, verbrachte sie im ElfenauPark, einer recht kostspieligen Altersresidenz, die letzten zwei Jahre ihres Lebens. Marie Boehlen, in Riggisberg, einem Bauerndorf im Kanton Bern, geboren, Tochter eines Nagelschmieds und Landwirts, wurde in einem der «besseren» Berner Quartiere und in Anwesenheit von vielen bekannten Persönlichkeiten aus dem öffentlichen Leben verabschiedet. Ihren Namen schrieb sie schon sehr früh mit «oe», um eine erste Distanz zu ihrem ländlichen und eher bescheidenen Hintergrund zu schaffen. Sie entfernte sich während ihres Lebens zunehmend von ihrer ländlichen Herkunft. Das wollte sie so und unterstrich es mit ihrer Erscheinung und ihrer Wohnung in der Elfenau. Die Wohnung war mit Stilmöbeln eingerichtet, und sie selbst trug, wenn sie aus dem Haus ging, goldene Ringe, Armbänder und Broschen. Ihre Kleidung war elegant, und sie schminkte sich mit grosser Sorgfalt. Die Frauenrechtlerin Boehlen unterschied sich damit auch deutlich von den jüngeren Feministinnen, deren Markenzeichen Jeans, saloppe Pullover und Natürlichkeit waren.

Verabschiedet wurde sie von ihrem Bekanntenkreis und den Verwandten zwar hier, im Elfenauquartier, aber ihre Asche sollte an den Geburtsort zurückgebracht werden. Das war ihr Wunsch. In Riggisberg auf der Bühlern, einem erhöhten Punkt in der Umgebung, wohin sich Marie Boehlen schon als Kind oft mit einem Buch zurückgezogen hatte, wurde ihre Asche von einigen Menschen, die ihr nahe gestanden hatten, verstreut. Schon 1986 hatte sie mit den betreffenden Landbesitzern eine Vereinbarung unterzeichnet, mit der ihr dieses Vorgehen bewilligt wurde. Sie wollte damit sich selbst und ihrer Umgebung klarmachen, dass sie wusste, woher sie kam. Ihr Handeln zeigt, dass sie sich früh mit ihrem Tod auseinandergesetzt hat, nämlich bereits als sie sich aus dem Grossen Rat des Kantons Bern und damit aus der öffentlichen Politik zurückzog, und das war mehr als zehn Jahre, bevor sie starb. Die Vereinbarung zeigt auch ihre Korrektheit. Was geregelt werden konnte, wurde geregelt und nicht dem Zufall überlassen.

Die Abschiedsfeier in der Petruskirche leitete ein Enkel ihres Bruders, der heute Pfarrer in einer Landgemeinde des Kantons Bern ist. Sonst war kein Mann aktiv an der Feier beteiligt: Eine Frau sass an der Orgel, eine Frau spielte Flöte, und neben dem Pfarrer sprachen zwei Frauen: die damalige Präsidentin der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz, Ursula Koch, und Ruth Hamm, alt Grossrätin der SP und langjährige Weggefährtin von Marie Boehlen. Marie Boehlen hatte sich zeit ihres Lebens für Frauen eingesetzt, zuerst für das Frauenstimmrecht, später für die Frauen in der SP und zuletzt in ihrem Buch «Frauen im Gefängnis», das kurz nach ihrem Tod erschien, für die Frauen in der Strafanstalt Hindelbank im Kanton Bern. Es war richtig und in ihrem Sinn, dass an ihrer Abschiedsfeier vor allem Frauen das Sagen hatten.

Der Pfarrer zeigte im Lebenslauf auf, wie schwierig vor allem zu Beginn ihrer Laufbahn das Ausbrechen aus der Riggisberger Geborgenheit und Enge für sie gewesen war. Für ein Mädchen aus einfachen Verhältnissen und vom Land war das Lehrerinnenseminar noch knapp tolerierbar gewesen. Aber die meisten Leute im Dorf und auch der eigene Bruder konnten nicht verstehen, dass sie sich damit nicht zufrieden gab, sondern die Matura nachholte und studierte. Danach ging es sogar noch weiter bis zur Fürsprecherin, zum Doktorat und – nach Einführung des Frauenstimmrechts – bis zur Parlamentarierin auf städtischer und kantonaler Ebene und parteipolitisch bis zur Präsidentin der SP-Frauen Schweiz. In den Nationalrat schaffte sie es knapp nicht.

Was viele nicht wussten: Marie Boehlen hatte als sechsjähriges Kind, als sie beim Kühehüten mit einem Messer hantierte, ein Auge verloren. Sie ging von da an mit einem künstlichen Auge durchs Leben. «Darunter habe ich mein ganzes Leben gelitten», schreibt sie in ihrer Lebensgeschichte, die sie zwischen 1982 und 1985 verfasste, aber nicht veröffentlichte. Ihre Lebensgeschichte bildet die Grundlage dieses Textes, und Zitate ohne Vermerk stammen aus ihr.

Der Entscheid für ein Leben ohne Mann und damit auch ohne Kinder fiel früh und schien für eine Frau ihrer Generation, die eine berufliche und politische Karriere anstrebte, unausweichlich zu sein. Bis zu ihrer ersten Anstellung nach dem Fürsprecherexamen kämpfte Marie Boehlen mit finanziellen Problemen. Ein Erbe, ein Darlehen und relativ gut bezahlte Stellvertretungen als Lehrerin gaben ihr immer wieder die Möglichkeit, trotz ihren Ausbildungswünschen, für die sie selber aufkommen musste, durchzukommen. Zudem war sie sparsam, und sparsam blieb sie ihr Leben lang. Nach ihrem Tod war sogar ein kleines Vermögen da. Ein Teil davon kam der SP-Frauenbildung auf kantonaler und SP-Frauenprojekten auf schweizerischer Ebene sowie der Schweizerischen Vereinigung für Jugendstrafrechtspflege zugute.
DRS2aktuell, 7. November 2009
Der kleine Bund, 24. November 2009
Berner Zeitung, 24. November 2009
Elisabeth Kopp in NZZ am Sonntag, 29. November 2009
P.S.-Buchbeilage, 17. Dezember 2009
Rote Revue 4/2009
links, Mitgliederzeitung der SP Schweiz, November 2009
Berner Zeitschrift für Geschichte 2/2010

«‹Rede nicht so viel!›. Ein Buch von Lieselotte Lüscher über die Berner Sozialdemokratin Marie Boehlen dokumentiert, wie steinig der Weg war, als die ersten Frauen in der Schweiz eine politische Laufbahn einschlugen. Man wollte sie zum Schweigen bringen. Sekretärin ja, aber Juristin nie!» DRS2aktuell

«Ihre Biografin stützt sich auf eine Vielzahl Quellen, auch auf Gespräche mit Weggefährtinnen Boehlens. Das Buch gliedert sich thematisch, in Kapitel über die ‹Frauenrechtlerin›, die ‹Juristin› oder die ‹Sozialdemokratin›, was der Leserschaft ermöglicht, sich mit einzelnen Aspekten zu beschäftigen. Boehlens internationale Engagements, etwa bei der Unesco, runden ein Buch ab, das interessant und wichtig ist.» Der kleine Bund

«Auf Marie Boehlens unveröffentlichte Lebensgeschichte, auf sorgfältig recherchierte Fakten ebenso wie auf Erinnerungen von Zeitzeugen stützt sich Liselotte Lüscher in ihrer fotografisch illustrierten Biografie. In gut lesbaren thematischen Kapiteln erzählt sie mit respektvoller Anteilnahme und zugleich aus kritischer Distanz das exemplarische Leben und Wirken einer ungewöhnlichen Frau.» Berner Zeitung

«Die Biografie über Marie Boehlen ist weit mehr als die Lebensgeschichte einer Frau. Sie ist gleichzeitig eine Geschichte des Kampfs um Gleichberechtigung. Diese ist mit dem Namen Marie Boehlen untrennbar verbunden. Liselotte Lüscher ist es gelungen, mit ihrem Werk ein wertvolles Dokument der Zeitgeschichte zu schaffen. Das Buch ist ebenso bedeutend wie spannend und mit einer glücklichen Mischung von Empathie und kritischer Distanz geschrieben. Eindrücklich herausgearbeitet sind die bitteren Enttäuschungen, die Boehlen erlebte, Rückschläge und Ungerechtigkeiten, die wohl nur diejenigen in der persönlichen Tragweite ganz nachvollziehen können, die jene Zeit erlebt haben.» Elisabeth Kopp in NZZ am Sonntag

«Die Biografie von Marie Boehlen ist gleichzeitig ein Stück Schweizer Geschichte und die Schilderung einer starken, anspruchsvollen, gescheiten, aber nicht immer sehr klugen Frau, die auch als Person interessiert.» P.S.

«Liselotte Lüscher legt mit ‹Eine Frau macht Politik› ein eindrückliches Porträt einer Frau vor, die in einer Zeit, als das für Vertreterinnen ihres Geschlechts nicht selbstverständlich war, selbstbestimmt ihr Leben in Angriff nahm. Die Biografie ist sehr nahe an Marie Boehlens Auffassung der Dinge. Marie Boehlen kommt oft selbst zu Wort, wird aber zum Teil auch aus kritischerer Distanz beurteilt. Dennoch spürt man die Nähe und Empathie der Autorin zu Marie Boehlen. Das grosse Hintergrundwissen der Autorin zu den politischen Vorgängen in Bern kommt der Biografie sehr zu gute. Es macht es auch jüngeren Leserinnen und Lesern möglich, die Handlungen von Marie Boehlen nachzuvollziehen. Insgesamt ein wichtiges Buch, das einen weiteren Mosaikstein zur Geschichte der Frauen in der Schweiz bildet und das Porträt einer eindrücklichen Frau zeichnet, die trotz aller gesellschaftlicher Widrigkeiten versuchte, so zu leben wie sie es wollte und für richtig hielt.» Rote Revue

«Liselotte Lüscher, eine Weggefährtin Marie Boehlens, zeichnet in einer Biografie nach, wie Marie Boehlen gelebt, gekämpft und gelitten hat. Eine eindrückliche Frauenbiografie aus dem letzten Jahrhundert, die im November zu ihrem 10. Todestag erscheint.» links, Mitgliederzeitung der SP Schweiz

«Die vorliegende Biografie gibt einen interessanten, vielseitigen und faktenreichen Einblick in das Leben Marie Boehlens. Sie zeigt eindrücklich, dass es diese Frau nicht leicht mit ihrem Umfeld, ihrem Leben und nicht zuletzt auch mit sich selbst hatte. Damit schrieb Liselotte Lüscher in verdankenswerter Weise eine Biografie, die sich der ganzen Persönlichkeit Marie Boehlens annimmt, sie kritisch porträtiert und eine kluge und kämpferische Frauenrechtlerin nicht einfach beweihräuchert.» Berner Zeitschrift für Geschichte