Maus im Kopf
Sandra Hughes

Maus im Kopf

Roman

200 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
August 2009
SFr. 29.80, 29.80 €
vergriffen
978-3-85791-584-0

Schlagworte

Literatur
     

Finn Linder ist ein einfacher Mensch. Er lebt allein in einem kleinen Haus, Kreuzworträtsel sind seine Leidenschaft, und das Internet öffnet ihm Welten, zu denen er in der Realität nie Zugang hätte. Denn Finn Linder ist verklemmt, übergewichtig und auf Ordnung bedacht.
Aber da gibt es diese kleinen Störungen: fehlende Chips im Küchenschrank, die einen nächtlichen Gang zum Lebensmittelgeschäft nötig machen, das Kratzen einer Maus, das ihn in seiner Konzentration am Bildschirm stört. Und dann die Kündigung, die ihn aus dem Alltagstrott wirft.
Finn Linders Leben gerät aus dem Takt. Heimgesucht von Erinnerungen an seine Kindheit und Jugend, als er sich mit übermässigem Essen und Brechen über Wasser halten konnte, an Bruna, mit der er glücklich war, verfolgt von realen und irrealen Mächten, die ihm nach dem Leben trachten, bewegt er sich auf einen Abgrund zu. Um sich zu retten, schreckt Finn Linder vor nichts zurück.

Sandra Hughes
© Nic Kaufmann

Sandra Hughes

Sandra Hughes, 1966 geboren und aufgewachsen in Luzern, Studium der Kunstwissenschaft, Geschichte des Mittelalters und der Humangeografie an der Universität Basel. Sandra Hughes arbeitete als Kunstvermittlerin in den Kunsthäusern Zürich und Zug. Nach einem kurzen Abstecher in die Bieler Ideenfabrik «Brainstore» ist sie seit 1998 bei den Museumsdiensten Basel für Bildung und Vermittlung tätig. Sandra Hughes lebt mit Mann und Sohn in Allschwil BL.

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Wer hat Herz und Fuß ...

Wer hat Herz und Fuß hinter sich, die Angst aber vor sich?

Er blinzelt. Seine Augen brennen, seit zwei Stunden starrt er auf den Bildschirm. Mit Mühe nur findet er passende Worte, er sitzt vor leeren Feldern, über der fünf und neun hat er lange gebrütet.

Herz und Fuß hinter sich?

Hasenherz und Hasenfuß. Angsthase. Hase passt. Er tippt vier Buchstaben, sie springen von selbst mitten ins Feld, fett und schwarz leuchten sie auf weißem Grund.

So wie die Amsel eine schwarze Drossel, so ist der ein bunter Rabe.

Nach Vögeln fragen sie, meinen aber keine Tiere, er kennt den Trick, sie wollen einen in die Irre führen, eine falsche Spur legen, aber er wird den bunten Raben finden, der keiner ist. Die Buchstaben zersetzen sich, werden zu Gebilden mit ausgefransten Rändern, kein Blinzeln hilft, die Risse bleiben. Er steht auf, bewegt die Schultern, geht ein paar Schritte. Viel lässt sein Arbeitszimmer nicht zu, es misst drei auf drei Meter, der Boden unter dem grauen Teppich knarrt. Vor dem Bücherregal bleibt er stehen, fährt mit dem Finger darüber. Ein schmaler grauer Streifen bleibt an seiner Haut kleben, der Finger hinterlässt eine blanke Spur. Sie endet vor dem Duden.

«Das große Kreuzworträtsel-Lexikon. Mehr als 220 000 Fragen und Antworten».

Er schnippt den Staub vom Finger, die kleinen Partikel, die seine Nase quälen und seine Augen beleidigen. Sie zwingen ihn, mit einem Lappen durch das Haus zu gehen, das Büfett im Wohnzimmer abzuwischen, den niedrigen Holztisch beim Sofa, den Fernseher, dessen metallene Hülle den Staub magnetisch anzuziehen scheint, das Treppengeländer zum ersten Stockwerk, den Schrank im Schlafzimmer, die Nachttischlampe und das braune Tischchen, die Regale hier beim Computer. Die grauen Flusen schüttelt er zum Fenster hinaus, diese Anhäufungen von Hautschuppen, Kleinstabfälle der menschlichen Hülle, die ihm täglich vom Leib fallen. Sie enden im Vorgarten oder Staubsaugersack, falls sie nicht vorher von Milben gefressen werden, den kleinen achtbeinigen Spinnentieren, die sein Haus beleben. Er schüttelt sich und öffnet das Fenster, um die plötzliche Übelkeit zu vertreiben. Tief einatmen, ausatmen. Die Luft ist kühl und angenehm, blasse Sterne stehen am Himmel, er zählt sie, eins, zwei, drei, vier, tief einatmen, ausatmen. Unten geht Frau Bader von der Nummer neunzehn vorbei, schnell tritt er einen Schritt zurück, damit sie ihn nicht sieht. Er hört ihre keifende Stimme tagsüber, wenn er bei mildem Wetter die Fenster zur Straße offen lässt. Frau Bader trifft Frau Gilgen, Frau Gilgen trifft Frau Andermatt, dann stößt die Alte mit dem Wägelchen dazu. Schrill dringt das Geschwätz in sein kleines Haus, es lässt ihn beim Schreiben innehalten, vergeblich sucht er weiter nach Buchstaben, die in vorgegebene Felder passen, sich auf wundersame Weise zu Worten reihend, sinnvoll und lesbar in alle Richtungen. Wütend zwingt er seine Gedanken auf den Bildschirm vor sich, in seinem Schädel kreisen die Wortfetzen der alten Frauen.

«Unerhört», sagt die eine, «wer hätte das gedacht.»

«Kein Wunder», sagt die andere.

Er steht dann vor der Wahl, auf frische Luft in seinem kleinen Arbeitszimmer zu verzichten, was ihm schwer fällt, oder sich Oropax in die Gehörgänge zu stopfen, diese rosaroten Wachspfropfen, die den Herzschlag quälend laut in seinem Hirn dröhnen lassen und ihm den unermüdlichen Fleischkloß vor Augen führen, der sich krümmt und dehnt im Bemühen, Blutströme in seine Fingerspitzen zu jagen. In dieser Abendstunde aber ist es still, Frau Bader geht weiter, den Blick auf den Gehsteig gerichtet. Die frische Luft hilft, die Übelkeit ist vorbei. Er schließt das Fenster und setzt sich wieder an den Computer.

Braucht der Leib, wenn der Geist Stille und die Seele Friede.

Vier Buchstaben senkrecht, er ist bei Frage zwanzig, die fünfzehn waagrecht bleibt ungelöst, so wie die Amsel eine bunte Drossel, allenfalls muss er doch nach Tieren suchen, er lässt sich in die Irre führen, seine Gedanken kreisen. Wenn der Geist Stille und die Seele Friede. Braucht der Leib.
Basler Zeitung, 4. September 2009
20 Minuten, 29. September 2009
WochenZeitung WoZ, 1. Oktober 2009
Neue Zürcher Zeitung, 22. Oktober 2009
Surprise, Oktober 2009
Ekz Bibliotheksdienst, 29. Oktober 2009
Tages-Anzeiger vom 25. November 2009
Kulturnews.de, 11. Dezember 2009
Lesen im Tirol, 15. Dezember 2009
Strapazin 97 12/09

«Raffiniert verschränkt Sandra Hughes die Welt der Online-Games und der Internet-Angebote mit Linders Gedanken. Man erfährt die Lebensgeschichte eines Bulimikers, dem die Kontrolle über sein Leben an dem Tag entglitt, an dem er nicht mehr erbrechen konnte. Seither ist er schwer übergewichtig, weil er den Chipstüten und Süssigkeiten nicht widerstehen kann. Doch nicht Finn Linders trauriges Schicksal ist es, das einen dazu bringt, dieses Buch gebannt zu lesen. Es ist sein Blick.» Tages-Anzeiger

«Dieser geniale, kleine Roman ist für mich die Überraschung der Saison, Schweizer Autorinnen und Autoren betreffend. Wieso, ums Himmels willen reissen sich Kritik, Buchhandel und Publikum diese brillant erzählte Geschichte – um den einfachen Menschen Finn Linder, der allein in einem kleinen Haus lebt, Kreuzworträtsel löst und im Internet Zugang zu Welten hat, zu denen er in der Realität nie Zugang hätte – nicht aus den Händen?! Selber schuld, wer sich dieses Vergnügen entgehen lässt.» Ricco Bilger

«Sandra Hughes erzählt die Geschichte dieses körperlich wie seelisch mit denkbar schlechten Karten ausgestatteten Menschen ganz aus dessen subjektiver, zunehmend verzerrter Perspektive, wahrt aber zugleich ein Minimum an Distanz. So erspart sie dem Leser peinliches Mitleid und herablassende Erklärungen.» Basler Zeitung

«Hughes beweist auch mit ihrem zweiten Roman ein Flair für verschrobene Figuren, nachdem sie bereits in ihrem Début mit dem Überlebenskünstler Lee Gustavo einen abenteuerlichen Sonderling zum Leben erweckt hatte. Und wie auch in «Lee Gustavo» flicht Hughes ihre Geschichte des Verlierers Finn – eines potenziellen Amokläufers, der sich selbst bis zum Überdruck in seiner kleinen ängstlichen Welt einsperrt – in verschiedene Zeitebenen, die mit zunehmendem Wahn der Figur immer mehr verschmelzen.» Neue Zürcher Zeitung

«Der zweite Roman von Sandra Hughes, die in Allschwil bei Basel lebt, ist ein riskantes Stück Literatur. Die Figur des fress- und rachsüchtigen Finn Linder macht schon ziemlich Eindruck, aber auch die anderen Protagonisten des Romans sind vorzüglich charakterisiert. Eindrücklich werden die Vereinsamung und der Untergang eines Menschen beschrieben.» 20 Minuten

«Eine szenische Reise in die klaustrophobischen Hirnwindungen eines verhinderten Amokläufers.» WochenZeitung WoZ

«Die Figur dieses Unglücksraben Finn Linder jedoch ist eindrücklich gezeichnet: Ein trostloser, verzweifelter Luftballon, den die hässlichen Leibesausdünstungen der ihm nächsten Menschen duirch eine verbohrtbetonierte Stadt treiben.» Strapazin

«Sandra Hughes seziert die Hirnwindungen eines verklemmten Losers. Der Roman ‹Maus im Kopf› ist eine gnadenlos durchgezogene Reise durch die klaustrophobischen Hirnwindungen Finn Linders, die im Strassenlabyrinth von Basel-Allschwil ihre topographische Entsprechung finden.» Surprise

«Herb, gut, ab mittleren Beständen empfohlen.» Ekz Bibliotheksdienst

«Ein fesselnder Ausflug in die Innenwelt eines Menschen, der um einiges mehr mit Zahlen anfangen kann als mit seinesgleichen.» kulturnews.de

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