Exil Schweiz Tibeter auf der Flucht
Christian Schmidt, Manuel Bauer

Exil Schweiz Tibeter auf der Flucht

12 Lebensgeschichten

256 Seiten, 130 Abb., gebunden mit Schutzumschlag
1., Aufl., Februar 2009
SFr. 44.–, 48.– €
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978-3-85791-574-1

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Migration Tibet Flucht Exil
     

Wie kann man existieren, wenn die Heimat keine Heimat mehr ist? Was heisst es, zu flüchten und ein Leben lang Flüchtling zu bleiben? Und wie kann man aushalten, dass es kein Zurück in das eigene Land gibt? Diese Fragen beschäftigen Tibeter und Tibeterinnen, die nach der Besetzung ihrer Heimat aus dem Land geflüchtet sind.
Fünfzig Jahre nach dem Volksaufstand gegen die Besetzer erzählen zwölf Tibeter und Tibeterinnen erstmals die Geschichte ihrer Flucht. Wir erfahren, wie sie in der unbesetzten Heimat aufwachsen, die chinesische Invasion erleben, unter Lebensgefahr flüchten, den Weg in die Schweiz finden und sich eine neue Existenz aufbauen – Männer und Frauen, Bauern und Nomadinnen, Händler und Mönche, die aus der Stille des tibetischen Hochlands mitten in eine industrialisierte Leistungsgesellschaft geraten.

Christian Schmidt
© Manuel Bauer

Christian Schmidt

Christian Schmidt, geboren 1955, freischaffender Journalist. Studium der Publizistik. Texte für den Bildband «Dalai Lama – Unterwegs für den Frieden» von Manuel Bauer (2005). Interviews mit dem Dalai Lama. Reisen zu den Exilaufenthaltsorten der Tibeter in Indien. Arbeitet und lebt in Zürich.

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Manuel Bauer

Manuel Bauer, geboren 1966, freischaffender Fotograf. Nach seiner Ausbildung zum Werbefotografen wandte er sich dem Fotojournalismus zu. Seit 1990 fotografiert er in Indien, der tibetischen Diaspora und Tibet. Internationale Bekanntheit erlangte er 1995 durch seine Reportage «Flucht aus Tibet». Seit 2001 persönlicher Fotograf des Dalai Lama. Zahlreiche Ausstellungen und Auszeichnungen im In- und Ausland. Lehrtätigkeit am Medienausbildungszentrum MAZ Luzern. Lebt und arbeitet in Winterthur.

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Hommage an Tibet

Dickie Yangzom Shitsetsang
1946 bei Shigatse (Ü-Tsang) geboren, 1956 nach Indien geflüchtet, seit 1964 in Littenheid (Thurgau); verheiratet, drei Kinder

Tashi Gampatshang
1941 in Chungpo Meri (Kham) geboren, 1958 geflohen, seit 1963 in Jona (St. Gallen); verheiratet, zwei Kinder

Lhamo Ba-Serkhang
1949 in Ba Sumdo (Amdo) geboren, seit 1992 in Thun; vier Kinder, geschieden

Takhang Chundak
1947 bei Lhasa (Ü-Tsang) geboren, 1959 geflüchtet, seit 1970 in Turbenthal (Zürich); verheiratet

Khedup Thupten Thokang
1932 in Lhasa (Ü-Tsang) geboren, 1959 nach Indien geflüchtet, seit 1963 in der Schweiz, seit 1969 in Rikon (Zürich)

Pema Meier
1941 in Bja Khjung (Amdo) geboren, 1963 in die Schweiz gekommen, heute in Gais (Appenzell); geschieden, ein Sohn

Tsering Dolma Khrigya
1938 bei Shigatse (Ü-Tsang) geboren, 1961 geflohen, seit 1970 in Flawil (St.Gallen); verwitwet, fünf Kinder

Rakra Thupten Choedhar Tethong
1921 in Shigatse (Ü-Tsang) geboren, 1948 nach Indien ausgereist, 1960 in die Schweiz gekommen, heute in Jona (St. Gallen); verheiratet, fünf Kinder

Doma Manee
1935 in Gyerge (Ü-Tsang) geboren, 1959 nach Indien geflüchtet, seit 1973 in Linthal (Glarus); verheiratet, eine Tochter

Tsultrim Netsang
1941 geboren in Deyang (Ü-Tsang), seit 1967 in Turbenthal (Zürich); verwitwet, eine Tochter

Pema Lamdark
1951 in Yari (Ü-Tsang) geboren, 1963 in die Schweiz geflüchtet, seit 1999 in Winterthur; verheiratet, drei Kinder

Jigme Sangpo Takna
1929 in Lhasa (Ü-Tsang) geboren, 36 Jahre inhaftiert, 2002 entlassen, seither in Rikon (Zürich)

Hommage an Tibet

Das eigene Land ist besetzt. Der Glaube bleibt verboten. Es gibt kein Recht auf freie Meinungsäusserung. Das Oberhaupt lebt im erzwungenen Exil. Seit fünfzig Jahren.

Wie kann man existieren, wenn die Heimat keine Heimat mehr ist? Was heisst es, zu flüchten und ein Leben lang Flüchtling zu bleiben? Und wie kann man aushalten, dass es kein Zurück in das eigene Land gibt?

Diese Fragen beschäftigen mich, da ich selbst ein tibetisches Flüchtlingskind bin, und ich weiss, dass diese Fragen auch alle meine Landsleute beschäftigen, die wie ich dank der Grosszügigkeit der Schweiz hier Aufnahme gefunden haben. Wir sind inzwischen viertausend, wir haben ein gutes Leben, wir sind integriert und bezeichnen die Schweiz als unsere Heimat, aber noch immer erwachen wir jeden Tag im Bewusstsein, dass wir auf der Flucht sind und unsere Sehnsucht einem Land in weiter Ferne gilt.

Dieses Buch sucht nach Antworten auf diese Fragen. Es sucht sie bei den älteren und ältesten Tibetern und Tibeterinnen unter uns. Jene, die sich an diese Zeit erinnern. Mit diesem Buch will ich ihnen eine Stimme geben. Sie sollen aus ihrem damals noch unbesetzten Land erzählen können. Sie sollen die Vergangenheit aufleben lassen; denn sie sind die letzten, die das alte Tibet noch kennen und wissen, was das Wort «Freiheit» bedeutet. Damit die Ursache dieser Sehnsucht nicht vergessen geht.

Zwölf Lebensgeschichten zeichnen nach, wie die noch jungen Tibeter und Tibeterinnen in der Heimat aufwachsen, wiesie die chinesische Invasion erleben und den anfänglich noch freundlichen Besetzern begegnen, wie sie älter werden und unter Lebensgefahr nach Indien, Nepal oder Bhutan flüchten, von da den Weg in die Schweiz finden und sich hier als Erwachsene eine neue Existenz aufbauen – Männer und Frauen, Händler und Nomadinnen, Arbeiterinnen und Mönche, Intellektuelle und Bäuerinnen. Sie alle geraten aus der Stille des tibetischen Hochlands mitten in eine industrialisierte Leistungsgesellschaft.

Da die meisten der porträtierten Menschen für mehrstündige Interviews zu wenig gut Schweizerdeutsch sprechen, übersetzte ich bei Bedarf. Ausgewählt habe ich die Gesprächspartner aufgrund von Merkmalen wie Alter, Geschlecht, gesellschaft liche Zugehörigkeit und Geburtsort. Entscheidend waren allein soziodemografische Faktoren. Was sie erlebt hatten, wusste ich – mit Ausnahme von Rakra Tethong und Jigme Sang po Takna – nur ansatzweise oder gar nicht.

Obwohl mir das Schicksal meines Volkes in jedem Detail bewusst ist, war ich bei jedem Treffen zutiefst berührt. Ich hörte von monate-, ja jahrelangen Märschen, verbunden mit schmerzhaftesten Entbehrungen. Ich hörte von Erniedrigungen, die bis heute die Seele peinigen. Ich sah Menschen weinen, aus Trauer um ihr Land und aus Trauer um ihre getöteten Angehörigen, ich sah, dass sie erleichtert waren, endlich erzählen zu können, was sie erleben mussten, und ich wurde mir einmal mehr bewusst, dass tausende, ja zehntausende andere Tibeter und Tibeterinnen genau das Gleiche durchgemacht haben.

Aber über all diesem Leid spürte ich auch eine unglaubliche Kraft, einen tief verankerten inneren Halt und einen un beug samen Willen, dieses Schicksal zu meistern. Quelle dieser En er gie sind der Glaube in den Buddhismus und das unerschütterliche Vertrauen in Seine Heiligkeit, den 14. Dalai Lama.

Herausgegeben wird dieses Buch zum fünfzigsten Jahrestag des 10. März 1959. An diesem Tag begann in Lhasa der grosse Aufstand, der in den folgenden Wochen 87 000 Menschenleben orderte, zur Flucht des Dalai Lama führte und die endgültige Unterwerfung des Landes zur Folge hatte. Das Buch soll das schweizerische Publikum wie auch die hierzulande aufwachsenden jungen Tibeter und Tibeterinnen an ein souveränes, unabhängiges Tibet erinnern. Es soll der Leserschaft den Wert der Freiheit und den Wert des Friedens unmissverständlich vor Augen führen. Das Buch ist in diesem Sinne gleichzeitig Vermächtnis wie auch Hommage. Es hält die Erinnerung wach und ehrt jene Menschen, die sich nicht unterdrücken lassen.

Diesen Zeitzeugen gilt auch in erster Linie mein Dank. Ohne ihre Bereitschaft, noch einmal in die schwierigsten Phasen ihres Lebens einzutauchen, hätte dieses Buch nicht entstehen können. Ich danke ihnen für das Vertrauen, das sie mir und dem Autorenteam geschenkt haben.

Danken möchte ich weiter Claudia Froelich, die von Anfang an meine Idee unterstützte, danach als Managerin das Projekt umsetzte und auch für die Finanzierung sorgte; Wangpo Tethong für das kritische Lektorat der Texte; Sigrid Arnd Joss für ihr Hintergrundwissen; Nechung Engeler für die Unterstützung bei den Übersetzungen; sowie allen Gönnerinnen und Gönnern, ohne deren Grosszügigkeit die Realisierung dieses Buches nicht möglich gewesen wäre.

Tsering Chagotsang

Dickie Yangzom Shitsetsang

1946 bei Shigatse (Ü-Tsang) geboren, 1956 nach Indien geflüchtet, seit 1964 in Littenheid (Thurgau); verheiratet, drei Kinder

shitsetsang

Mein Herz gehört heute noch Tibet

Dickies Mann Tempal wird uns während des Interviews einen Zettel zustecken. Darauf steht: «1. Frau im Vorstand des Vereins Tibeter Jugend in Europa», «1. Frau im Vorstand der Tibeter Gemeinschaft in der Schweiz & Liechtenstein», «1. Tibeterin mit Autoprüfung in der Schweiz» und «1. tibetische Abteilungsleiterin in einer psychiatrischen Klinik». Tempal ist stolz auf seine Frau. Sie ist erfolgreich und in vielen Bereichen eine Pionierin, aber zu bescheiden, um selbst darauf aufmerksam zu machen. Sie wird keinen dieser Punkte von sich aus ansprechen.

Die Fahrt zu Dickie Yangzom Shitsetsang führt durch ein Tal mit sanft geschwungenen Hügeln und einem versteckten Weiher. Mäusebussarde segeln im Wind. Nach einer letzten Kurve taucht eine Ansammlung von Häusern auf, mit Post, Café und Bibliothek. Die Häuser bilden ein Dorf, das keines ist: Littenheid ist eine – private – psychiatrische Klinik. Dickie Shitsetsang arbeitet hier, als Ergotherapeutin; hier wohnt sie auch, in einer Personalwohnung zusammen mit ihrem Mann Tempal und einem tibetischen Hund, der singen kann. Und hier ist sie auch aufgewachsen, als Pflegekind der Eigentümer der Klinik. «Ich hatte eine unbeschwerte Jugend», sagt sie. Davon zeugt das Familienbild in der Wohnwand. E s zeigt im Vordergrund die Pflegeeltern, links dahinter den Sohn Hans mit Frau Marianne und Tochter, rechts Dickie mit ihren Angehörigen – eine tibetisch-schweizerische Grossfamilie.

Wenn ich heute auf meine Kindheit in Tibet zurückschaue, so empfinde ich sie wie einen kostbaren Schatz. Ich wusste damals ja noch nicht, wie wertvoll diese Zeit ist; denn wie sollte ich ahnen, was die Zukunft bringen würde. Und natürlich gehört mein Herz auch heute noch Tibet, aber unter den aktuellen Umständen kann ich mir nicht vorstellen, dort zu leben. Wie sollen Menschen glücklich sein, wenn sie weder ihre Meinung frei äussern noch ihre Überzeugungen leben können? Ich sehne mich nach der vergangenen Zeit in Tibet, aber nicht nach der Gegenwart. Deshalb habe ich auch kein Heimweh. Heimat gibt es nur zusammen mit Freiheit.

Ich wurde in eine wohlhabende Familie in Shigatse geboren. Unser Haus war gross, es verfügte über Terrasse, Altarraum und Gästezimmer, wir hatten mehrere Dienstboten, und ich hatte sogar ein Kindermädchen für mich allein. Nach dem frühen Tod meines Vaters erzogen mich meine Mutter und mein ältester Bruder. So durfte ich, wie damals unüblich für tibetische Mädchen, die Schule besuchen, und zwar die chinesische. Diese gefiel mir besser als die tibetische. Während in der tibetischen nur Wissen eingetrichtert wurde, durften die Kinder in der chinesischen Schule auch spielen und tanzen. Zudem lehrte man uns patriotische Lieder, in denen China gepriesen wurde. Aber das störte uns wenig. Mir gefielen auch die Uniformen mit dem roten Tuch um den Hals. Das sah sehr schön aus. Für mich gab es keinen Grund, die Chinesen zu verurteilen oder nicht zu mögen. Sie waren sehr freundlich und verteilten Bonbons.

(…)

St. Galler Tagblatt, 14. März 2009
Der Landbote, 7. März 2009
NZZ, 11. März 2009
Fotoinfo – Newsletter Fotografie, März 2009
swissinfo.ch, 10. März 2009
tibetfocus, April 2009
Aarauer Nachrichten, 9. April 2009
Appenzeller Volksfreund, 11. April 2
Schweizerischer Bibliotheksdienst SBD, Juli 2009
m comedia-Magazin 3/2010
Schweizer Monatshefte Juli/August 2010

«In Gesprächen erzählen zwölf Exilierte von ihrer Jugend, der brutalen chinesischen Unterdrückung, der oft sehr dramatischen Flucht nach Indien und vom ‹Sprung› in die unbekannte Schweiz, die sie ausgesprochen herzlich empfing.» Neue Zürcher Zeitung

«Wollte man unter der Flut von deutschsprachigen Büchern über das Schicksal des chinesisch besetzten Tibet und seiner Menschen nur ein einziges auswählen, um auf umfassende Weise zu erfahren, was am Himalaja geschehen ist und noch geschieht, so müsste es ‹Exil Schweiz. Tibeter auf der Flucht› sein. Manuel Bauers gleichzeitig erschienenes Buch ‹Flucht aus Tibet› mit 89 unkommentierten Fotoseiten gehört undbedingt dazu.» Schweizer Monatshefte

«Man liest gebannt, wie diese Menschen Gefahren und Kulturschocks überstehen.» Neue Luzerner Zeitung

«Christian Schmidt und Manuel Bauer ist eine sanfte Annäherung an die Erzählenden gelungen. Einfühlsam und ergreifend gibt das Buch in Wort und Bild wieder, was Autor und Fotograf in den Gesprächen mit den zwölf Protagonisten gehört, gesehen, miterlebt und mitgefühlt haben. Trotz so vieler herzzerreissenden Schilderungen über Demütigung, Angst, Verlust, Trennung und Tod gibt es auch Raum für amüsante, gar lustige Momente, für grosses Erstaunen und zu Tränen rührend Schönem. Das Buch ist eine Hommage an die Menschen, welche der Unterdrückung trotzen und es soll die Erinnerung wach halten an tragische Ereignisse von früher, welche zugleich tragische Ereignisse von heute sind.» tibetfocus

«Diese spannende und eindrucksvolle Lektüre ist für alle von Interesse, die sich mit dem Schicksal von Tibeter und Tibeterinnen im Exil befassen.» Schweizerischer Bibliotheksdienst

«Die einzelnen Texte sind so authentisch verfasst und die Fotos so feinfühlig aufgenommen, dass die Porträtierten beim Lesen lebendig werden.» m comedia-Magazin

Bilder aus diesem Buch sind auch als Postkarten erschienen.

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