Iwan E. Hugentobler
Iwan E. Hugentobler. 6000 Kilometer durch den Balkan
Herausgegeben von Nada Boskovska, Anna P Maissen
FotoSzeneSchweiz [4]
108 Seiten, Pappband, Fadenheftung, 76 Duplexfotografien1. Aufl., Oktober 2006
vergriffen
978-3-85791-510-9
Ausgerüstet mit einem Auto und einer Leica, brach der Zürcher Zeichner, Maler, Grafiker und Fotograf IwanE. Hugentobler am 2. Juli 1936 zu einer Reise in den Balkan auf, die ihn über sechstausend Kilometer durch neun Länder führte. Er gehört zu den bekanntesten Pferde- und Tiermalern der Schweiz. Um geeignete Sujets zu finden, unternahm er zahlreiche Studienreisen in die wichtigsten Pferdezuchtgegenden Europas.
Der Balkan war damals ein für Westeuropäer praktisch unbekanntes Gebiet, Touristen gab es kaum, schon gar nicht verirrten sich Ausländer in abgelegene Gebiete. Hugentobler war denn auch fasziniert von der fremden Welt, die er fand. Mit dem Blick des Malers fotografierte er neben Landschaften vor allem Menschen: Garben schleppende Frauen in Dalmatien, Eiswasserverkäufer in Albanien, Lastenträger im Hafen von Saloniki, staunende Romakinder in Bulgarien, festlich gekleidete Jugend in Rumänien. Hugentoblers Fotografien gehören zu den wenigen, die es zum Balkan aus dieser Zeit gibt.
Iwan E. Hugentobler
Iwan E. Hugentobler, geboren 1886 in Degersheim SG, aufgewachsen in St.Gallen. Von 1905 bis 1909 absolviert er die Zeichnungsschule für Industrie und Gewerbe St.Gallen. Anschliessend wird er bei einem Stickereiunternehmen Entwerfer. Rekrutenschule und Aktivdienst im Ersten Weltkrieg bei der Kavallerie. Aus dieser Zeit stammen mit markantem Strich Studien von Mensch, Tier, Natur und Architektur. Im grafischen Schaffen wird das Pferd zum Mittelpunkt. Er arbeitet über viele Jahre für die Zeitschrift «Der Kavallerist». Ab 1920 lebt er in Zürich, wo er 1972 im Alter von 86 Jahren stirbt.Iwan E. Hugentobler (1886–1972)
Zeichner, Grafiker, Maler und Fotograf
von Anna Pia Maissen
Zur Geschichte des Balkans in der Zwischenkriegszeit
von Nada Boškovska
25 6000 Kilometer durch den Balkan
Fotografien von Iwan E. Hugentobler
Die Balkanreise 1936
Iwan E. Hugentobler (1886–1972)
Anna Pia Maissen
Nach seiner Reise durch die ungarische Puszta im Jahr 1935 beschloss Hugentobler, auch die Balkanländer für einen genaueren Augenschein zu besuchen. Am 2. Juli 1936 brach er in Hittnau bei Zürich mit seinem Freund, dem Webereibesitzer Emil Spörri, und Edwin Hofmann, einem Reitkollegen aus Weisslingen, zu einer dreiwöchigen Balkanreise auf ÿ ausgerüstet mit dem Ford V8 von Spörri und der damals modernsten Kamera, der Leica III. Rund 6000 Kilometer wollten die drei Männer auf ihrer Reise durch das damalige Jugoslawien, durch Albanien, Griechenland, Bulgarien, Rumänien und die Tschechoslowakei zurücklegen.
Hugentobler bereitete sich seriös auf die Reise vor; er holte zahlreiche Informationen über die zu bereisenden Länder ein und plante ei ne genaue Strecke. Während der Fahrt legte er Notizen über alle Reisestationen an und beschrieb jede einzelne Fotografie. Die Route führte über die Dolomiten nach Triest und Rijeka, dann entlang der dalmatinischen Küste bis nach Montenegro. Weiter nach Albanien: ein Land der Esel, wie Hugentoblers Fotografien zeigen. Von dort aus ging es über Nordgriechenland nach Thessaloniki, wo ihn besonders der lebhafte Hafen faszinierte. Bulgarien war die nächste Station: die Hauptstadt Sofia, das berühmte Rosental. Die Donauüberquerung bei Ruse führte die Reisenden nach Rumänien, wo Hugentobler vor allem in Siebenbürgen fotografierte. Über die Slowakei gelangten sie nach Prag, von wo aus sie über Österreich und Deutschland am 25. Juli in die Schweiz zurückkehrten.
Über den konkreten Verlauf der Reise selbst wissen wir nicht viel. Hugentobler führte kein Reisetagebuch, und alle Informationen, die wir haben, stammen aus seinen kurzen Beschreibungen zu den Tagesprogrammen, die er mit Kilometerangaben ausstattete, und den Legenden zu seinen Fotos. Im Schnitt legten die drei Schweizer pro Tag rund 250 Kilometer zurück: Das hiess bei den damaligen Strassenverhältnissen etwa sechs bis sieben Stunden Autofahrt. Ruhetage gönnte man sich einzig in Thessaloniki und in Sofia. Der eintägige Aufenthalt in Sofia scheint aber eher ungeplant gewesen zu sein, denn dort hatten die Mühsale der Reise Edwin Hofmann eingeholt, wie Hugentobler am 14. Juli notierte: «Herr Hofmann liegt krank darnieder ...» Und am nächsten Tag: «Weiterreise ohne unsern Freund Hofmann, der, sobald hergestellt, per Flugzeug die Heimreise antritt.» Zu zweit setzen Hugentobler und Spörri die Reise fort. Aus den Notizen erfahren wir weiter, dass die Schweizer wo auch immer möglich Strandbäder besuchten, obwohl es meist einen Sonnenbrand absetzte: so in Split, Dubrovnik und Thessaloniki. Die Reisenden übernachteten möglichst im besten Hotel am Platz. Die Nacht im Hotel Continental in Tirana kommentiert Hugentobler lapidar: «Primitives, aber gutes Hotel in Tirana». Eine Stadtbesichtigung gehörte immer dazu. Über interessante Begegnungen mit Menschen machte Hugentobler Kürzesteinträge. In Split besuchten sie einen Bekannten, den «Ingenieur Wachter» und «seine Damen», der in einer Wohnung mit Aussicht auf den malerischen Hafen lebte. Es fällt auf, dass den drei Schweizern mit militärischem Grad der Kontakt zu Militär- und Polizeipersonal speziell leicht fiel. In Turnovo (Bulgarien) freundeten sie sich während des Mittagessens im Hotel Prinz Boris mit einem Hauptmann namens Ognjaev an, im Hotel in Tirana mit einem albanischen Oberleutnant. Am Grenzübergang zwischen Albanien und Griechenland in Bilishtë tranken sie Schnaps mit der Polizei. Zum Schluss der Reisenotizen resümiert Hugentobler: «Es war eine unvergessliche Reise».
Hugentoblers Aufnahmen belegen sowohl die Faszination des Fotografen von den Einheimischen und den Landschaften als auch die Umstände der Reise. Die lange Strecke führte zum allergrössten Teil über Staub- und Schotterstrassen, über unwegsame Pässe und Wasserläufe. Flussüberquerungen konnten nicht immer über Brücken bewältigt werden; oft musste der Ford auf eine Fähre verladen werden. Wir erfahren indirekt auch, dass die drei Freunde für ihre Stadtbesichtigungen zeitweise Führer engagierten, so zum Beispiel in Shkodra. Mehrere Aufnahmen zeigen Spörri und Hofmann in lebhaftem Gespräch mit Einheimischen. Zigaretten scheinen schon damals ein universales Mittel zur Kontaktaufnahme gewesen zu sein ÿ so ist Spörri beispielsweise mit einem albanischen Hirten zu sehen, dem er eine Zigarette anzündet. Hugentobler interessierte sich keineswegs nur für Reittiere. Die meisten Aufnahmen haben Menschen zum Sujet, häufig von ganz nah fotografiert.
Die Kamera gehörte für Iwan E. Hugentobler zu seinen Arbeitswerkzeugen. Mit ihr fotografierte er nicht nur auf allen seinen Reisen, sondern ganz allgemein, wenn er unterwegs war und keine Zeit zum Skizzieren fand. Viele seiner Bilder und Grafiken entstanden aus solchen Aufnahmen. Er benutzte seine Kamera wie einen Skizzenblock, den Sucher wie einen Pinsel.
Sein Sohn Hans Rudolf Hugentobler erzählt: «Iwan E. Hugentobler war stolz auf seine Familie und hielt ihr Leben bei jeder Gelegenheit mit seiner Kamera, der legendären Leica, fest. Er hatte den sicheren Blick für das ‹richtige› Bild, war sozusagen selbst eine Kamera und hätte ebenso gut Fotograf werden können.»
(...)
«Die Fotografien gehören zu den wenigen, die es zum Balkan aus dieser Zeit gibt.» Bündner Tagblatt
«Die Auswahl von 76 in diesem Band zum ersten Mal publizierten Schwarzweissbildern wurde direkt von den Negativen abgezogen, und sie zeigen so exakt jenen Bildausschnitt, den Hugentobler durch den Sucher seiner Leica III sah: eine faszinierende Kulturlandschaft Europas». NZZ
«Was beim Betrachten der eindrücklichen Schwarz-Weiss-Aufnahmen deutlich wird: Hugentober musste von der ethnischen, religiösen und kulturellen Vielfalt der Balkanregion überwältigt gewesen sein.» St. Galler Tagblatt
«Erstaunlich ist, wie rasch es dem Durchreisenden gelungen sein muss, Kontakte herzustellen. Die Bilder wirken unaufdringlich, die Fotografierten nehmen die Präsenz der Linse wahr, meist ohne ihr Tun zu unterbrechen; entsprechend selten sind eindeutig gestellte Szenen. Mit dem Fotografen stehen sie auf gleicher Augenhöhe.
Nur drei Jahre vor Hugentobler hatte der 21-jährige Max Frisch als freischaffender Reporter mehrere Monate in der Region verbracht. Seine Reisefeuilletons und noch expliziter der Briefwechsel mit seiner Mutter zeugten vom Freiheitsdrang des ‹fernesüchtigen Jünglings›, wie er sich selbst nannte. Mit fast gegensätzlichen Stilmitteln vermitteln der junge Journalist und der gestandene Fotograf ihren persönlichen Blickwinkel: Ersterer, indem er seine Befindlichkeit ins Zentrum rückt, und letzterer, indem er die eigene Person gänzlich zurücknimmt.» P.S.
«Der Balkan wird hier nicht als Ort religiöser Gegensätze inszeniert, sondern die Kamera fängt das ein, was einem reisewütigen Fotografen halt vor die Kamera kommt: Menschen auf der Strasse, die in der Regel unterwegs sind zum Markt. Dieses durchgängige Zufallsprinzip der Motivwahl führt dazu, dass die Fotosammlung unpolitisch und unprogrammatisch ist. Hugentobler hat keine vorgefertigte Meinung über die unterschiedlichen Völker, denen er mit derselben Sympathie begegnet und die wiederum frech, neugierig und selbstbewusst in die Kamera schauen. Die vorliegende Fotosammlung von Hugentobler «erfindet» den Balkan in keiner Weise – im Gegenteil, sie trägt sogar zu seiner Normalisierung und Trivialisierung bei.» SÜDOSTEUROPA Mitteilungen
Bilder aus diesem Buch sind auch als Postkarten erschienen.