Johannes und Hans Meiner. Fotografiertes Bürgertum von der Wiege bis zur Bahre
Meiner, Johannes, Meiner, Hans

Johannes und Hans Meiner. Fotografiertes Bürgertum von der Wiege bis zur Bahre

Herausgegeben von Fritz Franz Vogel / Mit Texten von Paul Hugger

FotoSzeneSchweiz [2]

120 Seiten, 137 Abb., gebunden
1., Aufl., Dezember 2005
SFr. 48.–, 31.50 €
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978-3-85791-491-1

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Schlagworte

Fotografie
     

Der Sachse Johannes Meiner (1867–1941) und sein in der Schweiz geborener Sohn Hans (1897–1963) waren auf bürgerliche Fotografie spezialisiert. Zehntausende von Glasplatten zeigen die Lebenswelten des urbanen Bürgertums von Zürich, und zwar von der Geburt bis zur Heirat und über standesgemässes Wohnen, Sinn stiftendes Vereins- und Theaterleben zu Sterben und Tod mit dem Totenbildnis als würdigem Epitaph.
Daneben haben die Fotografen zwei Leben lang die Errungenschaften und Produkte schweizerischen Schaffens fotografiert. Das Alphabet von Sachaufnahmen – Armaturen, Badewannen, Frisuren, Krawatten, Lingerie, Medizinaltechnik, Polstersessel, Schreibmaschinen, Stoffe, Uhren und Zahnräder – repräsentiert den Geist solider Schweizer Produktion, der in der Landesausstellung 1939 in Zürich, deren offizieller Fotograf Hans Meiner war, einen visuellen Höhepunkt feierte.
Der vorliegende Band zeigt feine Leute und filigrane Sachen, beides Ausdruck und Selbstdarstellung einer Welt, deren visuelle Präsenz ein heute fast verschwundenes Lebens- und Arbeitskonzept untermauert, nämlich Kostbarkeiten und Wohlstand, Tugend und Stolz zu vereinen.

Paul Hugger
© Yvonne Böhler

Paul Hugger

Paul Hugger, 1930–2016, Studium der Volkskunde, Ethnologie und Romanistik, em. Ordinarius für Volkskunde an der Universität Zürich. Zahlreiche Publikationen über Schweizer Fotografen, zur Alltagsfotografie, Herausgeber u. a. des Handbuchs der Schweizerischen Volkskultur, «Kind sein in der Schweiz. Eine Kulturgeschichte der frühen Jahre», Herausgeber der Reihe «Das volkskundliche Taschenbuch» und Mitherausgeber «FotoSzene Schweiz» im Limmat Verlag.

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Feine Leute - filigrane Sachen

Der Beitrag der Fotografen Meiner zur Genese des Zürcher Bürgertums

von Fritz Franz Vogel

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Bürgerliche Fotografie

Bürgerliche Fotografie ist, wie da und dort unterstellt, nicht eine Fotografie, die traditionelle Werte hochhält, sondern die durchaus das Neue in der bürgerlichen Lebenswelt sichtbar machen will. Das Neue ist selbstredend von bester Qualität und damit teuer, respektive der Klientel angemessen. Die Qualität wurde über den Preis bestimmt; es gab kaum Produkte von bester Qualität zu günstigen Preisen (wie das heute durchaus möglich ist).

Die Fotografie des Bürgertums hat eine Affinität zur Moderne, also zum Fortschritt. Das abgebildete Produkt ist Ausweis bürgerlicher Leistung und Wertschätzung. Der Besitz eines Produkts wird vermehrt als Merkmal der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gesellschaft gewertet. Dass die schönen und guten Produkte gekauft wurden, lag weniger an der suggestiven Kraft der Bilder als an der Exklusivität der Materialität, welche die bürgerliche Fotografie präzis abzubilden wusste.

Fast immer wird das fertige Produkt gezeigt, nicht aber der Arbeitsprozess. Die bürgerliche Ökonomie schätzte die Bedeutung des Konsums und nicht der Produktion als vorrangig ein. Funktionalität, Schlichtheit und Komfort sind die metaphysischen, im abgebildeten Gegenstand eingeschriebenen Leistungen. Die Kaufkraft ist im Foto materialisiert. Nur ausnahmsweise sind in den Fotos der Meiners, zum Beispiel bei einer Dokumentation von Lindt&Sprüngli aus dem Jahre 1943, Abläufe erkennbar, obwohl auch hier, einem Ameisenbau ähnlich, die Räume, die Materiallager, die gestapelten Produkte im Zentrum standen und nicht die herumwieselnden Arbeiterinnen. Diese Aura von Präzision und Überfluss ist charakteristisch für die bürgerliche Fotografie. Die bürgerliche Kultur ist innerhalb der eigenen vier Wände in den Objekten, in der Freude an der Oberfläche und im Design repräsentiert. Zwischen den schönen Sachen und den guten Menschen sind auf den Fotografien kaum Bezüge auszumachen. Beides steht für sich in Harmonie, Solidität und Eintracht.

Bürgerporträt

Eine Kamera konnten sich, trotz der weit verbreiteten Meinung, die mit einem Rollfilm bestückte Box der Firma Kodak hätte ab den 1890er Jahren das Fotografieren popularisiert und für alle Schichten möglich gemacht, nur wenige leisten. Das bürgerliche Porträt wurde also nach wie vor beim Berufsfotografen gemacht.

In Meiners Nachlass dürften achtzig Prozent Porträts von Männern und Frauen sein, zuweilen aufgenommen im familiären Kontext. Es sind versachlichte, selbstbeherrschte Porträts bürgerlicher Leute vor neutralem Hintergrund.

Die bürgerliche Fotografie des Gesichts zeigt ein objektiviertes Antlitz. Das Konterfei, das der Fotograf im Atelier vom Menschen machte, war ein ‹repräsentativer Stillstand›. Der Mensch, egal aus welcher Schicht er stammte, wurde sachlich kühl abgelichtet wie ein poliertes Objekt, und nicht wie ein lebendes Subjekt mit Kanten, Emotionen und Nerven. Die weich ausgeleuchteten Gesichter entstanden übrigens nicht zuletzt aufgrund der panchromatischen Filme, die Unebenheiten (wie Poren, Sommersprossen, Bartstoppeln, Hautunreinheiten etc.) im Vergleich zu orthochromatischen Filmen ausmerzen. Als eine Art optische Retusche durch die Wahl des Aufnahmematerials erschienen die bürgerlichen Porträts wie in sich ruhende Repräsentanten einer selbstbewussten Gesellschaft: Hochzeitsleute, Rollenporträts, Bürgerfamilien, Belegschaften, Vereine und das Gros von Junggesellen, Verbindungsmitgliedern, Geschäftsleuten, Ingenieuren, Architekten, Ärzten, Fabrikbesitzern, Professoren, Direktoren, Politiker- und Militärköpfen oder bekränzten Sportlern.

Bürgerliche Repräsentation beinhaltet eine Kultur des Kopfbildes. Die Moden zelebrierten und exemplifizierten sich am Kopf, das Individuum wurde in der (Re)präsentation des Gesichts gefeiert. So wie die Dinge abgebildet wurden, so auch die Köpfe. Nur wenn draussen im Garten fotografiert wurde, zum Beispiel Mehrgenerationenbilder, ist mehr vom Lebensraum und Alltag der Menschen zu spüren. Der Alltag selber wurde selten dokumentiert.

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Tages-Anzeiger, 23. Dezember 2005
Neue Zürcher Zeitung, 21./22. Januar 2006
Berner Zeitung, 7. Februar 2006
Infofax: Fotografie, 3. März 2006
NZZ am Sonntag, 7. Mai 2005

«Ein amüsanter Fotoband. Fotografie ist nicht nur Wahrheitsmedium, sondern potente Illusions- und Wunschmaschine. So denkt zumindest, wer den Fotoband in Händen hält. Idyll und Exotik - die Magie der Fotografie vermochte beides.» Tages-Anzeiger

«Zu entdecken gibt es den ganzen Kosmos bürgerlichen Lebens in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.» Tages-Anzeiger

«Der Band zeigt den Reichtum und die Komplexität der ‹bürgerlichen Fotografie›, die in der Wissenschaft nur allzu oft schnöde unter ‹Sachfotografie› subsumiert wird.» Neue Zürcher Zeitung

«Die Auswahl, die der Band aus den 90000 Negativen des Archivs vorstellt, zeigt den bürgerlichen Kosmos vom Feinkostladen bis zum Toten auf der Bahre. Ironie und Erotik inbegriffen. Eine Gesellschaft gefällt sich in ihren Wünschen und Illusionen.» NZZ am Sonntag

Johannes und Hans Meiner

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