Gebrüder Wehrli. Pioniere der Alpin-Fotografie
Wehrli, Gebrüder

Gebrüder Wehrli. Pioniere der Alpin-Fotografie

Herausgegeben von Paul Hugger / Mit Texten von Johannes Vogel

FotoSzeneSchweiz [1]

108 Seiten, 61 Abb., gebunden
1., Aufl., Mai 2005
SFr. 44.–, 48.– €
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978-3-85791-475-1

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Schlagworte

Fotografie Fotografie
     

Das Archiv der Gebrüder Wehrli umfasst mehrere Tausend Fotos, die Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden. Unter grössten Strapazen stiegen die drei Fotografen ins Hochgebirge und brachten beeindruckende Bilder zurück. Der klassische Wehrli-Look zeichnet sich aus durch sattes Schwarz-Weiss-Kolorit bei grosser Liebe zu Schärfe und Genauigkeit. Die Bedeutung der fotografischen Leistung der Brüder Wehrli liegt aber ebenso in der Popularisierung der Gebirgsfotografie und ganz generell der Aufnahme von Landschaften und Siedlungen. Die Ansichtskarten der 'Gebr. Wehrli' waren bald überall in der Schweiz erhältlich. Der vorliegende Band konzentriert sich auf jene Fotografien, die den alpinen Traum ins Bild rücken, dazu gehören auch die Bilder von den Menschen, die in den Bergen leben, seien es die echten 'Bergler' oder die saisonalen Touristen, zu denen die Alpinisten gehören.

Paul Hugger
© Yvonne Böhler

Paul Hugger

Paul Hugger, 1930–2016, Studium der Volkskunde, Ethnologie und Romanistik, em. Ordinarius für Volkskunde an der Universität Zürich. Zahlreiche Publikationen über Schweizer Fotografen, zur Alltagsfotografie, Herausgeber u. a. des Handbuchs der Schweizerischen Volkskultur, «Kind sein in der Schweiz. Eine Kulturgeschichte der frühen Jahre», Herausgeber der Reihe «Das volkskundliche Taschenbuch» und Mitherausgeber «FotoSzene Schweiz» im Limmat Verlag.

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Aus der Einleitung von Paul Hugger

Die Gebrüder Wehrli – Pioniere der Alpin-Fotografie, und weit mehr

Mit den Gebrüdern Wehrli assoziiert der Kenner die Vorstellung von Landschaftsfotografien aus der Schweiz, die sich teilweise zu Stereotypen verdichtet haben. Den Wehrlis kommt bei der fotografischen Erschliessung der alpinen Welten ein besonderer Rang zu, sei es durch die Kühnheit ihrer Motive, die fast landesweite Streuung der Aufnahmen und das mediale Echo, das sie in ihrer Zeit fanden. Allerdings beschränkte sich ihr fotografisches Schaffen nicht auf den alpinen Raum; aber die alpinen Motive stechen durch ihren Stellenwert und die besondere Ausdruckskraft hervor. Die Wehrlis waren Alpinisten. Wir können uns heute zur Zeit der Kleinstkameras und des Digitalen kaum mehr vorstellen, welche Strapatzen das Fotografieren im Hochgebirge damals bedeutete – mit der schweren Ausrüstung und den Glasplatten. Umso mehr stehen wir mit Respekt vor der technischen Perfektion und der Strahlungskraft der entsprechenden Aufnahmen.

Doch zunächst ein Wort zum heutigen Stellenwert des Alpinen.

Die Alpen – ein wissenschaftliches Modethema

In den letzten Jahren ist die «Landschaft» als Ergebnis kultureller Vermittlungsprozesse wissenschaftlich intensiv diskutiert und zum eigentlichen Modethema geworden. Philosophen, Historiker, Ethnologen, Humangeografen, generell die Kulturwissenschaftler trafen und treffen sich zu Tagungen. Dabei nehmen die alpinen Landschaften eine besondere Stellung ein. Noch im 18. Jahrhundert wurden die Hochalpen trotz Haller und Rousseau kaum als «Landschaften» wahrgenommen, nicht als «paysages», sondern höchstens als «pays», obwohl Maler und Kupferstecher bereits Ansichten der Gebirgswelt vermittelten.1 Es sollten letztlich die Fotografen und ihre neue Kunst ab Mitte des 19. Jahrhunderts sein, die eine realitätsnahe Anschauung der hochalpinen Eis- und Felswelt ins Bewusstsein breiter Schichten trugen. Erstaunlicherweise erwähnen die beiden Übersichtswerke zur Geschichte der Schweizer Fotografie, die auf Veranlassung der damaligen Schweizerischen Stiftung für die Fotographie Zürich entstanden, die Gebirgsfotografie kaum.2 Die zweite Publikation, 1992 erschienen, bringt zwar unter dem Thema «Natur und Umwelt» eine Serie von Bildern, aber ein entsprechender Text fehlt. René Perret dagegen widmet der «Photographie im Gebirge» ein kurzes Kapitel, worin er die wichtigsten Namen der Pioniere aufzählt.3

Im Unterschied dazu haben z. B. die französischen Fotohistoriker wichtige Arbeiten zur Gebirgsfotografie publiziert. Ich erwähne stellvertretend Françoise Guichon mit ihrem eindrücklichen Bildband fotografischer Meisterwerke. Hier sind die grossen Pioniere vertreten, wie der Elsässer Adolphe Braun (1812–1877), der Franzose Aimé Civiale (1821–1893), der Engländer William Donkin (1845–1888), die Brüder Louis-Auguste Bisson aus Frankreich (1814–76, resp. 1826–1900) usw. Aus der Schweiz finden sich nur zwei, drei Namen, die Brüder F. und Georges Charnaux (ohne Angabe von Lebensdaten) und später Fred Boissonas (1858–1946), beide in Genf. Daneben sind zwei Phototypien der Firma Schroeder & Cie, Zürich wiedergegeben, ohne dass dieses Atelier im biografischen Anhang aufgeführt würde, wohl weil keine entsprechenden Daten zur Verfügung standen. Dieser Mangel charakterisiert das allgemeine Bild der Forschungslage in der Schweiz, wonach man sich immer wieder auf die gleichen arrivierten Fotografen beschränkt und kaum etwas zur Sicherung biografischer Daten weniger bekannter Vertreter dieses Berufs unternimmt. Dahinter steht neben geistiger Trägheit auch eine lange bestehende offizielle Geringschätzung für diese Art Fotografie.

Die meisten aufgeführten Namen gehören der ersten und zweiten Generation der Alpinfotografen an. Eines ist ihnen gemeinsam: Ihr fotografisches Schaffen richtete sich an ein elitäres Publikum, an Vertreter gehobener Schichten, die Verständnis für den künstlerischen Wert und die technischen Schwierigkeiten einer solchen Fotografie hatten, aber auch die wirtschaftlichen Möglichkeiten besassen, solche Bilder zu erwerben. Das gilt vor allem für die erste Generation, die gleichzeitig mit den frühesten Hochgebirgstouristen in die Gipfelwelten stiegen, Engländern und Franzosen, die sich eine Reise in die Schweiz und die Kosten für Führer und Träger leisten konnten. Sie gehörten dem Adel, der gehobenen Bourgeoisie und dem frühen Industriekapitalismus an. Oft waren sie Mitglieder nationaler Alpenclubs, deren Bedeutung für die fotografische Erschliessung der Hochwelten bisher kaum gewürdigt worden ist.

Die Gebrüder Wehrli aus Kilchberg bei Zürich sind der dritten Generation dieser Landschaftsfotografen zuzurechnen.4 Zwei der Brüder, Bruno und Artur, waren selber Alpinisten, die sich auf höchste Gipfel hinaufwagten, um zu fotografieren. Zum Teil geschah dies zusammen mit Freunden aus der Region Kilchberg, wie aus dem Beiblatt eines Albums des Bäckers Baumann in Wollishofen hervorgeht. Dieser schreibt: «Die Bilder im Album stammen von Gebrüder Wehrli in Kilchberg bei Zürich; Arthur Wehrli, der durch unsere Mont-Blanc Tour (1902) mein Freund wurde, hatte mit ein paar Kilchberger Herren vor ein paar Jahren die Jungfrau-Besteigung unternommen und hat Er mir auf meinen Wunsch und Bestellung hin seine Bilder von derselben in mein Album aufgenommen, da wir den gleichen Weg gemacht hatten. Sie hatten nur die Jungfrau-Tour hin und zurück ausgeführt, die andern Bilder meiner weiteren Tour [es handelte sich um den Gang über das Aletschhorn bis zur Grimsel] hat Er mir auch besorgt, weil ich selbst nicht photographiere.» Aus dem Text geht hervor, dass Wehrli seine Mont-Blanc Fotos 1902 machte und dass er bereits vorher die Jungfrau mit seiner Kamera bestiegen hatte.

Die Bedeutung der fotografischen Leistungen der Brüder Wehrli lag in der Popularisierung der Gebirgsfotografie, generell der Aufnahmen von Landschaften und Siedlungen. Diese Bilder wurden erschwinglich und brachten nun auch den wirtschaftlich bescheidenen Schichten die Schönheiten und Schrecken der Hochgebirgsregionen näher. In Form der Ansichtskarten fand diese Demokratisierung der Hochgebirgsbilder eine Erweiterung, wobei die Wehrlis im Gegensatz zu lokalen Kartenverlegern fast flächendeckend über die ganze Schweiz arbeiteten. Was gefragt und geboten wurde, waren realistische Bilder, die möglichst wirklichkeitsnahe den Eindruck von der Erhabenheit, der Schroffheit der Berge und der Kühnheit ihrer menschlichen Bezwinger vermittelten. Und hier liegen unglaubliche Bilddokumente im Archiv, wie jene Eis- und Gletscheraufnahmen, die eine Schweizer Gebirgswelt vorführen, von der wir in den Zeiten der globalen Klima-Erwärmung nur noch träumen können.

Doch damit ist der Umkreis des fotografischen Schaffens der Gebrüder Wehrli nicht abgeschritten. Erstaunlicherweise gibt es da auch hervorragende Bilder von 1910 von Reisen in das südliche Europa, nach Italien und den Balkan. Aber sie betreffen Fahrten nach Nordafrika und in den europäischen Norden. Solche Fotoexkurse der Wehrli waren bisher unbekannt. Häufig haben diese Bilder Volksszenen zum Gegenstand.

Zur Auswahl

Es hält schwer, unter den Tausenden von archivierten Fotos eine repräsentative Auswahl zu treffen. Wir haben hier eine gewisse Einseitigkeit bevorzugt und jene Bilder favorisiert, die den alpinen Traum näherrücken, in Landschaft, Siedlungen und Verkehrswegen. Aber auch die Bilder von den Menschen, die in den Bergen leben, haben es uns angetan, seien es die echten «Bergler» oder die saisonalen Touristen, zu denen auch die Alpinisten gehören. Die Fotografien fangen hier packende Gegensätze ein, wie etwa die Aufnahme von der Dorfstrasse in Zermatt mit der Konfrontation des wettergebräunten Maultiertreibers und der modebewussten Dame mit Sonnenschirm.

Trotzdem werden wir damit der Bedeutung der Fotografen Wehrlis nicht ganz gerecht, haben sie doch eine aussergewöhnlich breite Dokumentation der damaligen Schweiz geschaffen, wohl die topographisch umfassendste. Aber es geht hier letztlich darum, den Fotografen ins «rechte Licht» zu rücken, d. h. sein Können vor allem dort zu veranschaulichen, wo die Aufnahmebedingungen besonders rigoros waren. Und die Wehrli scheuten solchen Aufwand nicht.

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Anmerkungen

1 Vgl. dazu Claude Reichler: La découverte des Alpes et la question du paysage. Genève 2002.
2 Photographie in der Schweiz von 1840 bis heute. Teufen 1974, hg. von Hugo Loetscher und Walter Binder, und: Photographie in der Schweiz von 1840 bis heute. Bern 1992, hg. von Hugo Loetscher.
3 Frappante Ähnlichkeit. Pioniere der Schweizer Photographie. Bilder der Anfänge. Brugg 1991. S. 81–83.
4 Diese dritte «Generation» und auch die nachfolgend beschriebene vierte ist in einem prächtigen Bildband vereinigt: Hans Schmithals: Die Alpen. 2. Ausgabe Zürich 1927 mit einer längeren Einführung zur Geschichte der Erschliessung der Alpen.

Berner Zeitung, 30. Mai 2005
Kulturplatz, Schweizer Fernsehen, 1. Juni 2005
Neue Zürcher Zeitung, Sonntag, 5. Juni 2005
DRS2 aktuell, 7. Juni 2005
Der kleine Bund, 11. Juni 2005
Der Sonntagsblick, 12. Juni 2005
InfoFax: Fotografie, 15. Juni 2005
Mittelland Zeitung, 18. Juni 2005
du, Nr. 6/7, Juli/August 2005
Panorama, Nr. 6, Dezember 2005
Bündner Tagblatt, 4. März 2006

SRF Kulturplatz vom 1. Juni 2005:

«Ein Traum von den Alpen. Ihre Aufnahmen von Gebirgslandschaft und Bewohnern wurden als Postkarten über die ganze Schweiz verbreitet – und gerieten in Vergessenheit. Der schlanke Band macht das vielschichtige Werk wieder zugänglich» Neue Zürcher Zeitung

«Viele Bilder – das zeigt vor allem der kleine Bildband – zeichnen sich durch ein perfektes kompositorisches Licht-Spiel mit Schwarz und Weiss aus. Und durch einen Blick für dramatische, ja geradezu erhabene Bergformationen, Eisgebilde oder Felsstrukturen. Einige der Bilder reichen an Qualitäten heran, wie man sie vom kalifornischen Naturfotografen und Fotopionier Ansel Adams her kennt. Und dann taucht man wieder in ferne, verschwundene Welten ein. Man begegnet armseligen Wandermusikern, wundert sich darüber, dass damals noch Postkutschen fuhren, schaut bei den ersten Skispringen zu oder nimmt an einem archaisch wirkenden Alpsegen auf der Belalp teil. Auch diese historischen Ansichten zeigen, dass die Wiederentdeckung der Brüder Wehrli an der Zeit war.» Berner Zeitung

«Ein hervorragend gedruckter Bildband.» Infofax Fotografie

Bilder aus diesem Buch sind auch als Postkarten erschienen.

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