Wunschbrüchig /vàgy-zavar
Agnes Mirtse

Wunschbrüchig /vàgy-zavar

Gedichte und Prosa. Deutsch und Ungarisch

Herausgegeben von Christine Tresch, Elisabeth Wandeler-Deck

144 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
April 2004
SFr. 38.–, 38.– €
vergriffen
978-3-85791-452-2
     
«Ich konnte mit dem Wort ‹fremd› lange nichts anfangen. Es berührte mich nicht. Dass ich von anderen Menschen meiner Umgebung als fremd angeschaut wurde, wurde mir erst nach und nach bewusst. Zunächst war ich ja nur eine Asyl suchende junge Frau, ein politischer Flüchtling. Nicht ich war mir fremd, sondern meine Umgebung. Nicht die Menschen, sondern ihre Sprache.»

Agnes Mirtse begann in dieser fremden Sprache zu schreiben, Gedichte, Kurzprosa und Theatertexte, sie probierte sie aus wie eine zweite Haut über der Muttersprache. Und liess das Ungarische nie ganz sein, bis zu ihrem Tod nicht. Ein Sprachwechsel, den sie sich abringen musste und der Texte hervorbrachte, die unbewusste (Sprach-)Heimaten ausloten, Nachtlandschaften und Tagträumereien.
Agnes Mirtse
© Limmat Verlag

Agnes Mirtse

«Die vor allem als Lyrikerin bekannte Agnes Mirtse verstarb Mitte Juli 2000 in der Nacht nach dem Tag ihrer Rückkehr aus Ungarn. Agnes Mirtse war Lyrikerin, sie war aber auch Verfasserin von Kurzprosa wie von – nie gespielten – Theatertexten; und sie übersetzte aus dem Ungarischen und ins Ungarische. 1938 in Budapest geboren, 1956 in die Schweiz geflüchtet, später hin und her gereist, in den letzten Jahren niedergelassen in ihrem kleinen Haus in Lajosmizse eine Stunde von Budapest entfernt. Das Zickzack, so empfand sie es, bestimmte ihr Leben. Innerlich blieb sie hin- und hergerissen zwischen ihrer Herkunft aus Ungarn und ihrem Dasein in der Schweiz, mit schweizerischem Bürgerrecht, das war ihr wichtig. Ein herzlicher, ein schwieriger, ein herausfordernder Mensch, wenn sie im Moment, ganz und gar, da war.

Zwischen den Sprachen bewegte sie sich leichter, schien es, doch war auch dieser Wechsel nicht selbstverständlich. Auf ihre Arbeit an den Gedichten wandte sie denn auch ein Vorgehen an, das sie Zickzack-Verfahren nannte, ein Verfahren, das ihr auch beim sporadischen Übersetzen zupass kam. Sie begann dabei einen Text auf Deutsch oder auf Ungarisch, bewegte sich von der einen zur anderen Sprache und zurück, bis dann schliesslich ein Gedicht auf Deutsch oder eines auf Ungarisch stand, bis manchmal zwei Gedichte da standen, keines die Übersetzung des andern und doch wie Zwillinge einander ähnlich und etwas von der anderen Sprache weitertragend.

Nach bibliothekarischer Tätigkeit studierte Agnes Mirtse Psychologie, Psychopathologie und Religionsgeschichte und promovierte mit «Das schöpferische Zusammenspiel von Bewusstsein und Unbewusstem». Schon sehr jung begann sie ihre Auseinandersetzung mit lyrischen Formen und schrieb erste Gedichte und Prosastücke. Zweisprachig erschien 1981 «Erwachen und Auflösung», nur ungarisch 1988 «Madárlány» in Budapest. 1997 veröffentlichte sie «Fluchtversuche – Skurrile Skizzen und Geschichten», 1997 «Der sechseckige Mond» wiederum zweisprachig. Es sind manchmal ins Groteske gehende, manchmal eher nachdenkliche und sehnsüchtige Geschichten, geschrieben in einer knappen, unpathetischen Sprache. Der Band «Küsse und eilige Rosen» (Limmat Verlag 1998) enthält drei Beispiele von neuerer Kurzprosa. Anderes ist in Zeitungen und weiteren Anthologien gedruckt. Der CD «Klangtransfer – Sprachtransfer» (2000) liegt eine Lesung mit Agnes Mirtse und Elisabeth Wandeler-Deck zugrunde. Sie dokumentiert das Wechseln von einer Sprache zur andern, aber auch und vor allem den Wechsel der Sprachklänge, der Töne im Hin und Her der beiden Stimmen und der zwei Sprachen. Gerade im stimmhaften Lesen ihrer Lyrik zeigt sich ein präziser Reichtum der Rhythmik und der oft stolpernden, aufhorchen machenden Bilder, die dann und wann vor dem Pathos nicht zurückschrecken, besonders schön.» (Elisabeth Wandeler-Deck)

Erstmals liegt mit «wunschbrüchig – vágy-zavar» ein Band mit zum Teil unveröffentlichten Gedichte (deutsch und ungarisch) und Prosatexte, der einen umfassenden Einblick ins Schaffen von Agnes Mirtse ermöglicht.

mehr...

Ich bin die Klebestreife
Deutschsprachige Lyrik

ri ki ki

Gangart

Chiffre (2-

Anders – anders

Lilien – Lächeln

Untreffen

Glitz

Via Nia

Selbstbegegnung

Selbstgespräch

Dreierpalette

I. Augenweide
II. Tour
III. Irrsal


Bildwechsel

Erhörung

Himmel-Los

Losgelöst

Lückenhaft

Nachtgewächse

Wort – Wende

Au-Au

Tao – Tau

Hopp-Hopp

Übungen nach der Sprachnacht

Nach-Sprachnacht

Herbstsplitter

I Ging

Selbstsuche

Zweigang

Unkenntlichkeiten

Unverbindlichkeiten oder Tanaka tanzt

Miniatur

S

Minis 1–5

Karibik

I. Einmaligkeit
II. Agonie
III. Naturpur
IV. Zerreissprobe
V. Schiffbrüchig
VI. Rückzug

Anti-Globen-Bekenntnis

Vernetzungen

Wunsch-Los

 

Csigaháztaktika | Schneckenhaustaktik
Zweisprachige Lyrik

leltár – Inventar

hangzavar – Gewirr

kö-ember – Stein-Mensch

víz-vándor – Wasserwanderung (das Gedicht fehlt in der Datei)

kettös-lét – Zwei-Sein

túlfütottség – Herzüberschwänglich

meddig? – Als …

madártalan – Vogel-Los

elöre – Vorwärts

hullám-han-látvány –Wellen-Ton-Sichtig

felbomlás – Auflösung

csomag – Bündel

elidegenedés – Entrückung

villágpolgárok – Exil-Weltbürger

sétány – Limmatquai

végek – Weltenden

világok – Gedanken-Los

 

Prosamen
Über das Schreiben

Zurede

Das Unerklärliche – oder – Konkreter bitte

Martimoniere – Seefahrt zum Schreiben

Prosamen

Segmente ohne Grenzen / oder Erfragen der Fraglichkeiten

Zugabe

 

Oh, Descartes
Prosatexte

Fraglichkeiten

Weltreise eines multikulturellen Igels

Die unerschrockene Schnecke

Der Aus-Flug eines Baums

Idyll – tropfenweise

Die Tür, die mir entgegenkam

Das neue System

Der Ritter und das goldene Ei

Don Quijote zieht sein Schwert

S. P. und der Kran – oder Sanzo Panza erhält einen neuen Namen

Selbstporträt: Die Frau vom 1. August

Lamentation

Denk dich –

Krebse – Menschen – Babylon

Die Alte

Streifzüge

Der Dichter und die Worte

 

Eine Zwergin unter den Riesen
Nachwort von Christine Tresch und Elisabeth Wandeler-Deck

ELÖRE | VORWÄRTS

ELÖRE VORWÄRTS
aki elindul

örökre megy – megy el?re

aki még hallgat

éjjel sír fel

álom ráz fel emlékeket

trombitaszó hívna már vissza

az a hang ami hordoz

hajít elöre
Wer einmal geht

ist für immer gegangen

wer hier noch schweigt

schreit in der Nacht

Traum weckt Erinnerungen

Trompeten blasen zum Rückzug

seltsam schleudert dich vorwärts

der Klang der dich trägt
25. Oktober 1998
St. Galler Tagblatt, 26. April 2004

«Im Zickzack zwischen den Sprachen hat Agnes Mirtse auch geschrieben. Deutsches steht neben Ungarischem in diesem Band ‹wunschbrüchig›, den Christine Tresch und Elisabeth Wandeler-Deck aus dem Nachlass zusammengestellt haben. Das Gedicht ‹Gewirr› verwirrt gar die beiden Sprachen. Im Zustand des ‹Zwei-Seins› kreisen viele Texte Agnes Mirtses um das Bewahren seiner selbst und die Offenheit zum Anderen. (…) Auch in der Prosa blüht in diesem Werk eine wunderbar poetische Phantasie, aus der die Dichterin schöpft, denn: ‹Ganz konkret erfasst uns etwas Unerklärliches.›» St. Galler Tagblatt