Alexander Xaver Gwerder
Gesammelte Werke und Ausgewählte Briefe
Nach Mitternacht
Herausgegeben von Roger Perret
Januar 1998
978-3-85791-314-3
«Utopische Dichtung, Vorschein einer anderen Welt»
«Bevor gedacht wurde, ist gedichtet worden – nun neigt sich der Balken auf die andere Seite: Wir denken, bis wir es nicht mehr aushalten, ohne zu dichten.»
Die dreibändige Werkausgabe im Schmuckschuber, herausgegeben von Roger Perret, stellt Alexander Xaver Gwerders (1923–1952) Schaffen erstmals umfassend vor: Der erste Band, ‹Nach Mitternacht›, trägt die veröffentlichten und die nachgelassenen Gedichte zusammen, der zweite Band, ‹Brief aus dem Packeis›, enthält gesammelte Prosa von 1946–1952 und ausgewählte Briefe von und an Gwerder zwischen 1949–1952. Der dritte Band, ‹Dreizehn Meter über der Strasse›, versammelt Dokumente zu Leben und Werk und den Kommentar zur Werkausgabe.
© Erik Bruehlmann
Roger Perret
Roger Perret, geboren 1950 in Zürich. Studium der Philosophie, Literaturkritik und Komparatistik in Zürich. Er befasst sich publizistisch vor allem mit Aussenseiterfiguren in der Schweizer Literatur. Herausgeber der Werke von Franco Beltrametti, Nicolas Bouvier, Alexander Xaver Gwerder, Annemarie von Matt, Hans Morgenthaler, Annemarie Schwarzenbach und Sonja Sekula. Herausgeber des Hörbuchs «Wenn ich Schweiz sage … Schweizer Lyrik im Originalton von 1937 bis heute» (mit Ingo Starz) und von «Moderne Poesie in der Schweiz. Eine Anthologie» (Limmat Verlag).© Limmat Verlag
Alexander Xaver Gwerder
«Autobiographisches: Ich hasse die Kulturschnorrer, die Richtungsrichter, das Militär incl. Patrioten und Kunsstückler – zu lieben bleiben noch: Frauen, Gifte und ihre Erscheinungen, wie Kinder oder Bücher; Pflanzen mit ihrem Anhang darunter vornehmlich die Wolken ... Im graphischen Gewerbe tätig schlägt man sich durch, sofern man nebenbei noch ein gut Teil Indifferenz aufbringt für unabänderliche Machenschaften.»
Alexander Xaver Gwerder
Alexander Xaver Gwerder, geboren am 11. März 1923 in Thalwil, Freitod am 14. September 1952 in Arles. Der Lyriker, Prosaist, Essayist und Maler lebte und arbeitete in Zürich als Offsetkopist. Neben dem Broterwerb gab er sich einer intensiven schriftstellerischen Tätigkeit hin. Er veröffentlichte zu Lebzeiten praktisch nur in Zeitungen und Zeitschriften, es erschienen lediglich drei schmale Gedichtsammlungen. Die nach seinem Tod herausgegebenen Lyrik- und Prosabände begründeten den Ruhm Gwerders und belegten seine Bedeutung für die Nachkriegsschweiz und die deutschsprachige Literatur.
«Ein Schaudern wie beim Anblick eines Gewitters.» Tages-Anzeiger
«Eine Entdeckung.» Die Zeit
«Stil: melodiös, elegant, unglaublich rhythmisch.» Die Weltwoche
«Was vom Schneiden handelt, Verse als willkürlich zerschnittene Teile eines wie auch immer gearteten Ganzen, hat er zerschnitten.» Neue Zürcher Zeitung
Réveille
Ich sah, wie man einer Fraumit scharfem Messer den
Kopf abschnitt. Genau dort, wo es
normalerweise duftet nach
Orangen – zwischen Perl-
kette und dem Keimflaum kommender
Küsse – dort
setzten sie an.
Kein Schrei – kein
Grau! Still zischend erlosch, wie eine
Kerze lischt – erst brandig und
schwelend, zuletzt mit einem
staunenden Rauch …
Es roch entsetzlich
nach Militär, nach ledernem
Frühstück zu Hunderten und eine
Sehnsucht nach Geschlecht
krümmte sich zusammen über der
grausamen Kindheit, die aus
Taktschritten blühte –
Nach Mitternacht
Die Luft ist voll seltsamer Lieder.Aber nur blindlings hören wir sie
eine Stunde nach Mitternacht –
Zum Beispiel die Stimme des grossen Fliegers;
und die zu Hause blieb, während er ging,
welche schrie und meinte, er kehre nicht wieder;
dieweil er am Lächeln der Stewardess hing –
Aber denk dir nichts weiter dabei,
das Leben ist unentwirrbar!
Und selbst das Lied, das endet im Schrei,
ist manchmal nicht wahr.
Weltwoche, 02. Dezember 1998
WochenZeitung WoZ, 03. Dezember 1998
Basler Zeitung, 11. Dezember 1998
Tagblatt St. Gallen, 11. Dezember 1998
Neue Zürcher Zeitung, 24. Dezember 1998
Tages-Anzeiger, 23. Januar 1999
Süddeutsche Zeitung, 27. Januar 1999
«Im Widerstand gegen den Sog der Verzweiflung hat Gwerder ein Werk geschaffen, dessen Rang erst postum erkannt worden ist. Nun ist, fast ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod, die Hinterlassenschaft eines der bedeutendsten Schweizer Lyriker erstmals in ihrem Zusammenhang überblickbar: eine eminente editorische Leistung für ein herausragendes Werk.» Roman Bucheli, Neue Zürcher Zeitung
«Eine dreibändige Werkausgabe stellt nun erstmals Gwerders Schaffen umfassend und in einer philologisch zuverlässigen Edition vor. Die von Roger Perret herausgegebenen und mit grosser Umsicht kommentierten ‹Gesammelten Werke und Ausgewählten Briefe› enthalten neben teilweise unveröffentlichter Lyrik und Prosa auch umfangreiche Materialien aus dem Nachlass Gwerders. Sollten noch Zweifel bestanden haben an Bedeutung und Rang von Gwerders Werk: diese Werkausgabe räumt sie nicht nur aus, sondern macht das Singuläre dieses überragenden Œuvres sicht- und fassbar.» Roman Bucheli, Neue Zürcher Zeitung
«Gwerder wurde zum Inbegriff des tragischen Schweizer Autors. Gwerder-Leser, die lange darben mussten, werden nun mit einer dreibändigen, kritisch kommentierten Werkausgabe belohnt. Enthalten sind in dieser sorgfältig edierten Gesamtausgabe auch unveröffentlichte Texte, Materialen aus dem Nachlass sowie Gwerders Korrespondenz. Wer noch Zweifel an der Bedeutung dieses Schweizer Autors hegte: Nun dürften sie ausgeräumt sein.» Sonntagszeitung
«Keinem Autor der deutschsprachigen Schweiz gelingen um 1950 nur annähernd so aufregende Gedichte wie Alexander Xaver Gwerder, trotzdem bleibt er ein nur von wenigen erkannter, marginal publizierter Geheimtip.» Julian Schütt, Weltwoche
«Nach dem Tod wird Alexander Xaver Gwerder von den einen als hochpoetischer, von den andern als hochpolitischer Rebell reklamiert, und damit wird die unhaltbare autonomieästhetische Distinktion bewusst oder unbewusst zementiert. Wie unzertrennbar beide Seiten zusammengehören und erst ‹das Unverwechselbare und Herausragende dieses Autors ausmachen›, legt Perrets kluges Nachwort dar. Auf ‹poésie pure› liess sich Gwerder nicht verpflichten. Anderseits wusste er, dass Lyrik ‹den Mut zu einer anderen Stimme› verlangt und über direkte Reaktionen und Interventionen auf gesellschaftliche Missstände hinausgehen muss. Klingen seine Gedichte heute, wo der Umgang mit der eigenen Kriegsvergangenheit zur Debatte steht, deshalb so aktuell?» Julian Schütt, Weltwoche
«In drei wunderbaren Bänden mit insgesamt über tausend Seiten liegt nun endlich eine definitive Werkschau des Lyrikers vor, äusserst sorgfältig ediert und mit zahlreichen Photographien und Dokumenten versehen. Die Opulenz und Vielfalt des Textkorpus überrascht, entstand doch der Grossteil von Gwerders Werk in den wenigen Jahren zwischen 1949 und 1952, und nur in der ‹heilige(n) Stunde im Kerzenlicht›: Die Nacht war Gwerders ausschliessliche Schaffenszeit, mühsam dem bedrängenden Alltag abgerungen.» Hans Schill, Wochenzeitung WoZ
«Gwerders Lyrik ist utopische Dichtung, Vorschein einer anderen Welt.» Hans Schill, Wochenzeitung WoZ
«Dass Gwerder sich mit poetischer Überschreitung nicht mehr zufrieden geben konnte und statt dessen die totale Wahrheit der ästhetischen Form auch für sein Leben beanspruchte, ist seine Tragik. Denn im Moment des Klingens von Gwerders Gedichten wird bruchstückhafte Existenz getröstet, in der Schönheit der Sprachkreation funkelt der gelungene Augenblick.» Hans Schill, Wochenzeitung WoZ
«Dank der vorliegenden, von Roger Perret betreuten dreibändigen Ausgabe der Werke wird nun das ganze Oeuvre Gwerders überblickbar, einschliesslich der Briefe und mit vielen bisher unveröffentlichten Texten. Zudem bringt die Ausgabe einen auf Grund der Typoskripte erarbeiteten, hervorragend kommentierten kritischen Apparat, der wissenschaftlichen Ansprüchen zu genügen vermag.» Ernst Nef, Basler Zeitung
«Eine singuläre Stimme in der Schweizer Literatur (wie Hans Rudolf Hilty als einer der ersten erkannt hat) ist jetzt erstmals unverstellt und in all ihren Widersprüchen zu hören. Gwerder war ein Unbeugsamer. ‹Was habe ausgerechnet ich mit den Wölfen zu heulen, wenn ich den Mut zu einer anderen Stimme besitze›, schrieb er 1951 ins Tagebuch. ‹Zwei Gesänge gegen die Masse› heisst denn auch eines der lyrischen Hauptwerke, ein grosses Anklagelied in beinah alttestamentarisch (passagenweise auch hölderlinsch) gefärbtem Tonfall, das die ‹tödliche Krankheit› einer verfaulten Gesellschaft anprangert und der ‹lichtlosen, abfallgeborenen› Masse die Utopie einer angstfreien und wahrhaftigen Existenz entgegenhält. Mit seiner in Gedichte gebrachten Kritik am Staat und namentlich am Militär stiess Gwerder zu Lebzeiten in der bürgerlichen Presse auf Ablehnung. In Deutschland fand er, der sich selbst einmal als ‹Spezialist für Abgründe› bezeichnet hat, dagegen prominente Förderer. Seinen Freitod, zusammen mit einer Freundin, die aber überlebte, hat das nicht verhindern können. Sein letztes Wort sei ‹Ich will leben» gewesen.›» Tagblatt St. Gallen
«Die drei prächtig ausgestatteten Werkbände legen nicht nur erstmals alle wichtigen bis heute publizierten und unpublizierten Gedichtsammlungen in der Originalfassung vor, sondern versammeln auch sämtliche Prosatexte und präsentieren vor allem erstmals Briefe von und an Gwerder.» Pia Reinacher, Tages Anzeiger
«Die Literaturgeschichte ist eine so logische wie komische Veranstaltung. Heute wirft man der Literatur der fünfziger Jahre vor, sie habe das Vorkriegserbe vergessen. Sie sei vergleichsweise platt, ihre Perspektivenvielfalt vorgetäuscht. Gwerder hingegen, der sich an der Tradition der zwanziger Jahre zu orientieren versuchte, hatte das damals mit dem Verdikt ‹fehlende Werte›, ‹überlebt› zu büßen. Drei sehr kleine Lyrik-Bände sind zu Lebzeiten erschienen. Eindrücklich erfuhr Gwerder, was Albin Zollinger einmal ‹in Watte reden› genannt hat. Man hat so lange ‹Geduld› mit Widerspenstigen, bis sie von selber klein geworden sind. Die jetzt erschienene Werk-Ausgabe, nicht vollständig, ist die erste Möglichkeit zum genaueren Kennenlernen.» Hans-Peter Kunisch, Süddeutsche Zeitung