Meier 19
Paul Bösch

Meier 19

Eine unbewältigte Polizei- und Justizaffäre

300 Seiten, Broschur, Dok.
September 1997
SFr. 38.–, 42.– €
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978-3-85791-290-0

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Politik 1968 Sachbuch
     

Vor dreissig Jahren hat «Meier 19» Polizeiskandale aufgedeckt, die 68er Rebellion beflügelt und den Zürcher Kripo-Chef öffentlich des Diebstahls bezichtigt. Die Behörden setzten Himmel und Hölle in Bewegung, um ihn zu bodigen und eigene Fehler zu kaschieren. Doch der Detektivwachtmeister der Stadtpolizei Zürich glaubte an das Recht, setzte alles aufs Spiel und verlor alles – Stelle, Vermögen, Ehe und Beziehungen.

Paul Bösch legt die Hintergründe dieser grössten Polizei- und Justizaffäre Zürichs offen und schildert die Wechselwirkungen zwischen ihr und den 68er Ereignissen. Der Fall Meier 19 ist ein Lehrstück, das aufzeigt, wie weit ein Mensch geht, wenn er in seinem Gerechtigkeitsgefühl verletzt wird. Er ist eine Kriminalgeschichte um ein perfektes Verbrechen, das Sittenbild einer Zeit, wo Prominente vertrauensvoll an ihre Freunde bei der Polizei gelangten, wenn sie eine Busse eingefangen hatten. Bekannte Persönlichkeiten spielen hier eine Rolle, so der Schriftsteller Peter Alexander Ziegler, die früheren Bundesanwälte Hans Walder und Rudolf Gerber, die Feministin Gertrud Heinzelmann, Ex-Stadtpräsident Sigmund Widmer und der Kabarettist Alfred Rasser.

Paul Bösch
© Limmat Verlag

Paul Bösch

Paul Bösch (1946–2020), geboren in Zürich. Germanistik- und Geschichtsstudium, freier Journalist. 1982 begann er als Redaktor beim «Tages-Anzeiger», ab 1991 gehörte er der Lokalredaktion an. Er veröffentlichte mehrere Beiträge über Meier 19, unter anderem ein Porträt im «Magazin».

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Volksheld und Rufmörder (Vorspiel)

Am 26. August 1967 war Thomas Held in Fahrt. Der spätere Ringier-Verlagsdirektor und heutige Unternehmensberater beteiligte sich im Zürcher Niederdorf an einer Kundgebung, die klein begann und dann zu einer der grossen Demonstrationen der 68er Unruhen ausartete. «Zürcher Jugend probte den Aufstand», meldete der «Blick» hernach in fetten Lettern.

Thomas Held war nach jenem turbulenten Samstagabend in den Zeitungen mehrfach abgebildet, denn der 21jährige Soziologiestudent zählte zu den führenden Köpfen der aufbegehrenden Jugend. Der «Blick» zeigte ihn, wie er einen Polizistenhelm in die Höhe hält und der Menge etwas zuruft. Die Bildlegende liefert die Erklärung. Der umgekehrte Helm diente als Sammelbüchse, und Helds Ruf lautete: «En Zweier für de Meier!»

Mit Meier war Kurt Meier gemeint, ein Detektivwachtmeister der Stadtpolizei Zürich; für ihn war die Geldsammlung gedacht. Ausgerechnet einem Polizisten galt die Sympathie der Menge, die sich im übrigen alles andere als polizeifreundlich gebärdete. «Nieder mit der Polizei!» brüllten die Sprechchöre und gleichzeitig immer wieder: «Bravo Meier•19!»

«Meier•19» war der polizeiinterne Name des Beamten, dem die Bravo-Rufe galten. Meier•19 hatte sich am Mittwochnachmittag jener Woche vor Gericht verantworten müssen, und die Zeitungsberichte über den Prozess hatten den unbekannten Detektivwachtmeister von einem Tag auf den andern zum Volkshelden gemacht.

Meier•19 hatte wiederholt erlebt, wie seine Vorgesetzten mit ungleichen Ellen massen. Der Fall eines Obersten, der als Verkehrssünder dreimal mit Samthandschuhen angefasst worden war, bewegte ihn zum Handeln. Weil er der Gerechtigkeit zum Durchbruch verhelfen wollte, gab er geheime Akten über diese Privilegierung an eine Juristin weiter, und diese sorgte dafür, dass der Skandal in die Zeitung kam. Wegen dieser Amtsgeheimnisverletzung wurde Meier•19 an jenem Mittwochnachmittag vom Bezirksgericht Zürich zu einer Busse von 400 Franken verurteilt.

Der Fall des Obersten war nicht die einzige Sonderbehandlung, die Meier an seinem Prozess ans Tageslicht förderte. Man vernahm von einer äusserst schonungsvoll behandelten Regierungsratsgattin, von verschwundenen Rapporten und von einem angetrunkenen Polizeikommissär, dem erstaunlicherweise die Blutprobe erlassen worden war. Die Gerichtsberichterstatter informierten auch über die harten beruflichen Konsequenzen, die Meiers Tat hatte: Der 42jährige Vater von zwei schulpflichtigen Kindern war vom Amt suspendiert worden, erhielt seit fünf Monaten keinen Lohn mehr und musste auf Ende September den städtischen Dienst verlassen.

«Zürcher Detektiv-Wachtmeister glaubte an Rechtsgleichheit und wurde enttäuscht» – «Misst die Stadtpolizei mit zweierlei Ellen?» – «Skandalöse Zustände in der Führung der Zürcher Stadtpolizei» – so lauteten die Titel in den Zeitungen.

Die Berichte über den Prozess erregten Aufsehen und Empörung – weit über Zürich hinaus. Berner Gewerbeschüler zum Beispiel richteten, angeleitet durch ihren Staatskundelehrer, ermutigende Briefe an den verurteilten Detektivwachtmeister. Eine angehende Grafikerin schrieb zwei Tage nach der Gerichtsverhandlung: «Es ist eine Schande und Ungerechtigkeit, ein solches Urteil gegen einen Mann, der sich für Gerechtigkeit einsetzt. Mit unserem Beitrag möchten wir Ihnen zeigen, dass Sie nicht allein dastehen und es sicher noch viele gibt, die Ihnen zur Seite stehen werden. Ich hoffe, dass Sie den Willen, an Gerechtigkeit zu glauben, nicht verlieren werden!» Und in einem andern Brief hiess es: «Es imponiert uns, dass Sie sich moralisch verpflichtet fühlten, Ihrer Eidespflicht getreu zu handeln. Wir sind mit Ihnen einig und dankbar, dass es noch Leute gibt, die nicht alles schlucken!»

Für Thomas Held und andere linke Studenten waren die Zeitungsberichte über Meier•19 ein Startsignal. Schon am Freitag verbreiteten sie ein eng beschriebenes Flugblatt. Hier wurde der «aufrichtige Detektivwachtmeister K. M.» flugs zum Kronzeugen des Klassenkampfes gemacht.

Im Flugblatt werden die Skandale geschildert, die an Meiers Prozess publik geworden waren, und es wird gefragt: «Wird jetzt der Oberst und Fabrikdirektor bestraft? Aber nein, im Gegenteil: Der kleine Polizist wird vom Dienst suspendiert und muss jetzt sehen, wie er sein Geld verdient. Aber damit nicht genug: Er wird vom Bezirksgericht Zürich (wegen ‹Verletzung des Amtsgeheimnisses›) noch zu einer Busse von 400 Franken verurteilt! DAS MASS IST VOLL!!! Alle solche Beispiele beweisen, dass die Reichen und ihre Handlanger in Behörden und Regierung von Gesetz und Richtern geschont werden, die normalen Arbeiter und Angestellten jedoch unterdrückt und bestraft werden. Wir haben eine Klassenjustiz: ‹Die Kleinen hängt man, die Grossen lässt man laufen!›»

Auf die Belehrung folgt der Aufruf zum Handeln: «Zürcher Arbeiter und Angestellte, alle aufrechten Bürger, wir müssen gegen diese Rechtsungleichheit protestieren! Kommt alle am Samstag, dem 26. August 67, um 20.30 Uhr auf den Hirschenplatz (im Niederdorf)! Dort wird gegen die korrupten Polizeichefs und ihre ‹sauberen Freunde› demonstriert!»

Zu den Organisatoren dieser blitzartig beschlossenen Demonstration gehörte auch der heutige Psychoanalytiker Emilio Modena; er hatte als Medizinstudent die «Fortschrittliche Studentenschaft Zürich» (FSZ) mitbegründet. Modena erinnert sich noch gut, weshalb die linken Studenten nach dem Prozess gegen Meier•19 so rasch schalteten. Der Prozess war der Anlass, auf den die Rebellen gewartet hatten – ein Anlass, um eine neue Strategie in die Tat umzusetzen: «In der FSZ gab es eine Gruppierung, die den Kampf aus den Mauern der Universität hinaus in die Stadt tragen wollte. Zur gleichen Zeit hatten junge PdA-Mitglieder zunehmend Probleme mit ihren älteren Genossen. Zwischen der Jungen Sektion der PdA und jener FSZ-Gruppierung ergab sich eine Annäherung: Beide hatten dasselbe revolutionäre Anliegen. Der Prozess gegen Meier•19 war nun der erste Anlass, um unseren Kampf gemeinsam in die Stadt zu tragen.»

Noch am selben Freitag, an dem das Flugblatt erschienen war, taten sich die linken Studenten und die jungen PdA-Genossen zu einem Komitee «Zürcher für Polizeisäuberung» zusammen. Am Samstag liess das Komitee ein weiteres Flugblatt zirkulieren. Hier wurde nicht nur zum Protest gegen die Polizei, sondern auch zur Unterstützung für Kurt Meier aufgerufen: «HILFE FÜR MEIER•19!» lautete eine rotgedruckte Überschrift. «400 Franken Busse und Verlust einer in 20jähriger klagloser Dienstzeit aufgebauten Lebensstellung drohen Detektivwachtmeister Kurt Meier•19, weil er nicht glauben wollte, dass seine Dienstoberen laufend Rapporte über ihre besoffen autofahrenden Duzfreunde verschwinden lassen», war zu lesen, und an die Adresse von Stadtrat und Polizeivorstand Albert Sieber sowie von Kriminalpolizeichef Walter Hubatka gerichtet: «Statt ihre Vetterliwirtschaft einmal auszuräumen, stürzten sich die beiden mit doppeltem Fleiss auf Detektiv Meier•19, um ihm wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses den Prozess zu machen.» Das Flugblatt, das ebenfalls zur Demonstration im Niederdorf aufrief, forderte die Kassierung des Urteils gegen Meier•19, aber auch den Rücktritt von Sieber und Hubatka.

Dieser Mix von Empörung, Anklage und Mitleid zeigte unerwartet starke Wirkung, und auch die Stimmung jenes lauen Sommerabends war dem Happening, das nun folgte, förderlich. «Es war eine improvisierte Sache, mit nur wenig Organisation», erinnert sich Emilio Modena, damals Medizinstudent im 14. Semester. «Doch das Echo war sehr gross, die Demonstration entglitt uns, und wir hatten plötzlich alle Hände voll zu tun, den Ordnungsdienst aufrechtzuerhalten und die aufgebrachten Leute zu besänftigen.»

Viele Schaulustige mischten sich unter die Demonstranten. Auf dem Hirschenplatz wurde ein Holzgalgen aufgestellt. An ihm baumelte eine lebensgrosse Puppe, und ein Plakat verkündete: «Die Kleinen hängt man, die Grossen lässt man laufen». Erst symbolisierte die Puppe den «Polizeiwinkelried» Meier•19, dann wurde sie zum Sinnbild für die verhasste Polizei und wurde verbrannt.

Nach einer Brandrede gegen den «Polizeistaat in Zürich» sammelten Thomas Held und seine Kommilitonen Geld für den entlassenen Meier•19. Die Polizeihelme, welche als Sammelbüchsen dienten, hatte Roland Gretler, ein Mitglied der Jungen Sektion der PdA, in einem Kostümverleih beschafft. Laut einem Polizeispitzel, der ein paar Tage später eine Manöverkritik der jungen PdA-Leute aushorchte, kamen 330 Franken zusammen.

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«Nüchtern und eindrücklich legt Paul Bösch dar, wie ein korrekter Mann nach 19 Jahren unbescholtener Arbeit für die Polizei fertig gemacht und wie ein Hund davon gejagt wurde.» Züri Woche

«Das Buch schildert ausführlich die ganz normale Korruption jener Tage – und die Mechanismen, die sich Politik und Justiz ersonnen hatten, um Kritik an ihrem Tun im Keim zu ersticken.» Tages-Anzeiger

«Paul Bösch zeichnet mit viel Sympathie (meistens auch mit der nötigen Distanz) ein sehr detailliertes Bild der Handlungen und Motive des Gerechtigkeitsfanatikers Meier 19.» VPOD-Zeitung

«Das Buch rehabilitiert den Ex-Polizisten vollständig.» Beobachter

«Den Fall Meier 19 ad acta zu legen, ist angesichts dieses Buchs wohl noch für geraume Zeit unmöglich.» Vorstadt

«Liest sich streckenweise wie ein Krimi.» Basler Zeitung

«Erstaunlich sind die Bezugspunkte zur Gegenwart.» Der Bund

«Akribische Aufarbeitung einer Affäre.» Neue Zürcher Zeitung

«Das Buch ist ein Standardwerk über das politische Klima in Zürich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.» Züri Woche

«Ein Sitten- und Zeitbild der 60er und 70er Jahre.» Tages-Anzeiger

«Ein gewichtiges Buch.» Weltwoche

«360 Seiten spannende Lektüre.» Vorstadt

«Dem guten alten Meier 19 widerfährt jetzt wenigstens in einem Buch Gerechtigkeit.» Züri Woche

«Das Buch deckt einen wahren Sumpf an Korruption auf.» Züri Woche

«Kriminalgeschichte und Sittenbild.» Tagblatt der Stadt Zürich

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