Lautmalerei und Wortbilder III
Mariantonia Reinhard-Felice (Hg.)

Lautmalerei und Wortbilder III

Autoren schreiben über Kunstwerke aus dem Römerholz

Mit Texten von Dorothee Elmiger, Wilhelm Genazino, Ernst-Wilhelm Händler, Rolf Lappert, Ilma Rakusa, Wolf Wondratschek / Anmerkungen von Wolfgang Drost / Herausgeber Sammlung Oskar Reinhart "Am Römerholz", Winterthur

128 Seiten, 12 Abb., Broschur mit Schutzumschlag, 12 Abb., 6 vierfarb. auf Ausklapptafeln
Januar 2013
SFr. 44.–, 44.– €
vergriffen
978-3-85791-703-5
     

Schläft sie oder wacht sie? Sind Naturgewalten auf der Leinwand verhandelbar? Welche Realitäten malt ein Maler des Realismus? Sozialstudie oder verhülltes Selbstporträt? Wie malt der Maler eine Geschichte ins Bild? Sechs Autoren, vier Maler, sechs Bilder – der dritte bibliophile Band der Reihe 'Lautmalerei und Wortbilder' versammelt einmal mehr höchst eigenwillige Reflexionen zeitgenössischer Schriftstellerinnen und Schriftsteller zu einem von ihnen ausgewählten Meisterwerk aus der Sammlung Oskar Reinhart 'Am Römerholz'. Sie stellen Fragen an die Bilder und an sich selbst. Sie begnügen sich nicht mit einfachen Antworten, sondern schöpfen kreativ aus der auratischen Unfassbarkeit der Bildwerke neue, 'buchstäbliche' Sprachwerke. Im vorangestellten Essay spürt der Romanist Wolfgang Drost der Tradition dieser Alliance der Künste nach und vergleicht die jeweiligen Bildannäherungen der nun vorliegenden drei Bände.

Mariantonia Reinhard-Felice

Mariantonia Reinhard-Felice

Die Sammlung Oskar Reinhart «Am Römerholz» in Winterthur gehört zu den bedeutendsten Privatsammlungen des 20. Jahrhunderts. Mit hohem ästhetischem Qualitätsanspruch sammelte Oskar Reinhart (1885–1965), der Spross einer Winterthurer Handelsdynastie, Meisterwerke der europäischen Kunst vom 14. bis zum frühen 20. Jahrhundert. Er legte dabei den Akzent auf die französische Kunst des 19. Jahrhunderts, insbesondere aber auf den Impressionismus. Diesen Sammelschwerpunkt ergänzte er durch einzelne Beispiele älterer Malerei. Sein Wohnhaus und die angebaute Gemäldegalerie mitsamt den Beständen, die heutige Sammlung Oskar Reinhart «Am Römerholz», vermachte er der Schweizerischen Eidgenossenschaft.

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Dorothee Elmiger

Dorothee Elmiger

Dorothee Elmiger, geboren 1985 in Wetzikon, studierte Literatur am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel/Bienne und am Deutschen Literaturinstitut Leipzig sowie Geschichte, Philosophie und Politikwissenschaft an der Universität Luzern und der Freien Universität Berlin. Für ihr Werk erhielt Elmiger zahlreiche Auszeichnungen. 2022 wurde Elmiger in die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung aufgenommen.

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Wolfgang Drost : Gedanken zum Bildgedicht. Verrat, Apotheose oder Neuschöpfung?

 

Dorothee Elmiger: Die Sichtverhältnisse im Atelier des Malers. (Tatsachen, Vermutungen) courbet.steinklopfer Gustave Courbett: Die Steinklopfer
Wilhelm Genazino: Erniedrigte und Enteignete.
Eine Annäherung an Honoré Daumier
daumier.heimkehr Honoré Daumier: Rückkehr vom Markt
Ernst-Wilhelm Händler: Der Maler am Meer.
(Ein anderer Courbet)
courbet.woge Gustave Courbet: Die Woge
Rolf Lappert: Vom Leben gezeichnet daumier.wagen Honoré Daumier: Ein Waggon dritter Klasse
Ilma Rakusa: Schneefall und Gleichmut brueghel.koenige Pieter Breugel d. Ä.: Die Anbetung der Heiligen Drei Könige im Schnee
Wolf Wondratschek: Renoir redet nicht renoir.maedchen Pierre-Auguste Renoir: Schlafendes Mädchen

Gedanken zum Bildgedicht: Verrat, Apotheose oder Neuschöpfung?

Wolfgang Drost

Aus der Geschichte des Bild-Gedichts – Giambattista Marinos Galeria

Das Unternehmen der Direktorin der Sammlung Oskar Reinhart «Am Römerholz», Frau Dr. Mariantonia Reinhard-Felice, Schrift- stellerinnen und Schriftsteller zu einer kreativen Auseinander- setzung mit Gemälden des Museums einzuladen, ist der Initiative des Cavalier Giambattista Marino ( 1569 – 1625 ) in einigen Punkten vergleichbar. Der italienische Barockdichter war ein leidenschaftlicher Liebhaber der Bildenden Künste. Er hatte die Idee, eine Galerie einzurichten, und da er, im Gegensatz zu Oskar Reinhart, ohne finanzielle Mittel dastand, verfiel er auf den Gedanken, Maler anzubetteln, ihm doch eines ihrer Gemälde zu überlassen. Selbstbewusst bot er ihnen als Entschädigung an, ein Gedicht auf das geschenkte Werk zu verfassen und damit literarisch zu ihrem Ruhm beizutragen. So entstand die Galeria, eine Sammlung von über sechshundert Ge- dichten auf überwiegend zeitgenössische Gemälde und Skulpturen, die im Jahr 1619 publiziert wurde.1 Das ursprüngliche Konzept sollte eigentlich Radierungen oder Stiche von den bedichteten Kunst- werken einschließen, ein Vorhaben, das aus Kostengründen nicht durchgeführt werden konnte. Grundüberzeugung Marinos war die Mimesis, die Nachahmung der gegenständlichen Welt in der Bildenden Kunst wie in der Poesie. Aber der Dichter entfernte sich von einem strikt realistischen Konzept, indem er die Imitation auch als «Variation» auffasste und sich nicht scheute – «scherzando intorno» 2, – die Kunstwerke für ein concetto, eine amüsante Pointe zu benutzen. Das Bildwerk war weniger ein zu respektierendes Vor-Bild als ein Vorwand 3 für eine subtile, manchmal sophistische Wortakrobatik mit Antithesen und Oxymora. Mit einiger Arroganz
vereinnahmte der Dichter das Werk für sich, ungeachtet seines Angebots einer Dienstleistung für den Künstler. Ihm ging es nicht darum, ein Gemälde nachzuempfinden und ein ästhetisches Erleben im Geist des Lesers erstehen zu lassen. Seine Gedichte sind auch kein Kommentar oder der Versuch einer Interpretation: Marino wollte ein Wortkunstwerk im Sinne des Manierismus schaffen. So mündet Lavinia Fontanas Gemälde Salome mit dem Haupte des Täufers in ein sophistisches Hin und Her über die Treue zum Eid, den die Tänzerin dem liebesgierigen Herodes abverlangt hatte: … Oh più perfida assai, che ciò concede, d’ogni perfidia altrui, perfida fede! 4 Gehen wir einen Schritt zurück in der Geschichte des Bild- gedichts. Der Italiener konnte sich bereits auf eine reiche Tradition der Emblematik berufen, auf das Emblematum libellus eines Alciatus (Augsburg 1531), auf Otto van Veens Amorum emblemata (Antwerpen 1608) oder Christoph Weigels Ethica naturalis (Nürnberg um 1700) und viele andere. Die Emblembücher setzten sich aus kleinen in sich geschlossenen Einheiten zusammen von jeweils einer Seite mit einer Überschrift oder einem Titel, unter dem das Icon erscheint, meist ein Holzschnitt oder ein Kupferstich. Einige wenige Verse erläutern den allegorisch oder symbolisch verschlüsselten Inhalt, ein Sprichwort oder ganz allgemein eine Lebensweisheit, wie «festina lente» – «eile mit Weile» –, wobei ein Delphin und ein Anker den Gedanken illustrieren. Solche moralischen Ermahnungen und Ratschläge nüchterner Klugheit suchte Marino durch geistreiche Einfälle zu ersetzen.

(...)
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1 Giambattista Marino, La Galeria, ausgewählt und übersetzt von Christiane Kruse und Rainer Stillers unter Mitarbeit von Christine Ott, Mainz 2009. – Für vielfältige und kompetente Unterstützung danke ich meiner Mitarbeiterin, Dr. Ulrike Riechers, Halle/Saale. 2 Zitiert nach Hugo Friedrich, Epochen der italienischen Lyrik, Frankfurt/Main 1964, S. 730. – Auf folgende grundlegenden Arbeiten und Anthologien von Gisbert Kranz sei nachdrücklich verwiesen: Das Bildgedicht in Europa, Paderborn 1973; Gedichte auf Bilder. Anthologie und Galerie, München 1975; Das Bildgedicht. Theorie – Lexikon – Bibliographie, Band I und II, Köln/Wien 1981. – Siehe auch Wolfgang Tenzler, Meine süße Augenweide. Dichter über Maler und Malerei, Gütersloh 1978 (ausschließlich Beiträge in Prosa).

3 Siehe auch Wolfgang Drost, «Das Kunstwerk als Vorwand. Über die Verfügbarkeit von Kunst in französischen Bildgedichten des 19. Jahrhunderts oder Die verlorene Einheit der Künste», in: Recherchen eines Dilettanten zur Kunst und Literatur. Vom Manierismus bis zum fin de si cle, Siegen 2005, S. 139 – 160.

4 Gian Battista Marino, Sonette und Madrigale, übertragen und herausgegeben von Edward Jaime, Berlin 1964, S. 49. – Siehe auch Marianne Albrecht-Bott, Die bildende Kunst in der italienischen Lyrik der Renaissance und des Barock. Studie zur Beschreibung von Portraits und anderen Bildwerken unter besonderer Berücksichtigung von G. B. Marinos Galleria, Wiesbaden 1976.

5 «In wie fern Kunstwerke beschrieben werden können?» ( 1788/89 ) in : Karl Philipp Moritz, Werke in zwei Bänden, Bd. 2 : Popularphilosophie. Reisen. Ästhetische Theorie, hrsg. von Heide Hollmer und Albert Meier, Frankfurt/Main 1997, S. 1002 f.
saiten, Ostschweizer Kulturmagazin 2013

«Ein sanftes Werk.» saiten

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