Circolare
Anna Felder

Circolare

Prosa

Übersetzt von Ruth Gantert, Maja Pflug, Barbara Sauser, Clà Riatsch

144 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag,

Schweizer Grand Prix Literatur 2018

Februar 2018
SFr. 28.50, 28.50 € / eBook sFr. 19.90
vergriffen
Titel der Originalausgabe: «Liquida», Edizioni Opera Nuova, Lugano
978-3-85791-842-1

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Grand Prix Literatur 2018

Mit ihrem Prosaband nimmt uns Anna Felder mit auf Reisen an ferne und nahe Orte. Wir reisen mit ihr nach Lugano, Sizilien, Olten, Bern und Spanien und weitere Orte, und wir begegnen den unterschiedlichsten Menschen. Etwa einem Barmann in Italien, der die Worte rund und rein hervorbringt, einem pensionierten Versicherungsagenten beim Hundespaziergang, einer Frau, die sich beim Strei­chen eines Butterbrotes nicht stören lässt, oder Teresa, die barfuss in die Erzählung eintritt.

Über­all mit dabei ist Anna Felders Gespür für das Besondere im Alltäglichen. Sie beschreibt in ihren kurzen Texten das Leben zwischen Bewegung und Innehalten, zwischen Be­obachten und Weitergehen, und das alles in ihrer musi­kalischen, zerbrechlichen Sprache. Dabei entdeckt sie im­mer wieder im Fremden das Bekannte und im Bekannten das Fremde.

«Circolare» ist eine ganz eigene, innere, Geografie europäischer Orte und Unorte.

Anna Felder

Anna Felder, geboren 1937 in Lugano, gestorben am 15. November 2023. Literaturstudium in Zürich und Paris, Promotion über Eugenio Montale, danach Tätigkeit als Italienischlehrerin und Schriftstellerin. Lebte in Aarau und Lugano. 1998 Schillerpreis für das Gesamtwerk, 2004 den Aargauer Literaturpreis und 2018 den Schweizer Grand Prix Literatur.

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Ruth Gantert

Ruth Gantert

Studium der Geisteswissenschaften in Zürich, Paris und Pisa. 2004 bis 2011 Dozentin für französische Literatur an der Pädagogischen Hochschule St. Gallen. Leitet zurzeit die dreisprachige Literaturzeitschrift Viceversa.

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Maja Pflug
© Georg Pflug

Maja Pflug

Geboren in Bad Kissingen, Übersetzerausbildung in München, Florenz und London, übersetzt seit über dreissig Jahren italienische Literatur ins Deutsche, u.a. P.P. Pasolini, Cesare Pavese, Natalia Ginzburg, Fabrizia Ramondino, Rosetta Loy, Alberto Nessi, Anna Felder, Giovanni Orelli und Anna Ruchat. Als Autorin veröffentlichte sie 1995 «Natalia Ginzburg. Eine Biographie», die auch ins Italienische übersetzt wurde. Sie lebt in München und Rom. Sie wurde 1987 mit dem Premio Montecchio, 1999 mit dem Christoph-Martin-Wieland-Übersetzerpreis und 2007 mit dem Jane Scatcherd-Preis ausgezeichnet. 2011 erhält sie für ihr Lebenswerk den Deutsch-Italienischen Übersetzerpreis.

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Barbara Sauser
© AdS, Solothurner Literaturtage, Michal Florence Schorro

Barbara Sauser

Geboren 1974 in Bern, lebt in Bellinzona. Studium der Slawistik und Musikwissenschaft in Fribourg. Nach mehreren Jahren im Zürcher Rotpunktverlag arbeitet sie seit 2009 als freiberufliche Übersetzerin aus dem Italienischen, Franzö­sischen, Russischen und Polnischen.

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Clà Riatsch

Clà Riatsch

Studierte an der Universität Bern italienische Literaturwissenschaft, alte Geschichte und romanische Philologie. Professor für rätoromanische Sprache und Literatur an der Universität Zürich und Gastprofessor an der Universität Freiburg.

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Wer ruft mich

Wenn ihr sie zur Stosszeit durch die Fussgängerzone laufen seht, ein wenig unzeitgemäss gekleidet wie jemand, der von ausserhalb kommt, ohne Tourist zu sein, wenn ihr seht, wie sie im Hin und Her der Menschen stehen bleibt wie jemand, der jemanden sucht, niemanden sucht da im Staub, dann ist sie es, ganz bestimmt. Marisa.

Wer ruft mich?, fragt sie sich. Suchend dreht sie sich nach der Stimme um.

Beim Namen gerufen, Marisa: mit langgezogenem i, wie sie es hier machen; sie hatte es nicht vergessen, sie hatte einfach nicht mehr daran gedacht.

Dort, in der Stadt draussen, hatte sie sich nie so Marisa nennen hören, wie es sich gehört. Hier schon, hier beharren sie auf dem i: seit ihrer Geburt, heute wie damals.

Jemand hat sie gerufen, halt, Tante Lia auf der Veranda von damals.

Alle rufen sich hier, grüssen von einem Bogengang zum anderen, schau sie an: Doch kaum drehst du dich um, verschwinden die Namen in den a der Strasse, in den i, in den Apfelsinen, auf den Stiegen, in den Sandalen.

Und Tante Lia? Hinter den Kamelien auf der Veranda rief sie, beobachtete die Passanten: die ausgestreckte Hand im Grün, eine grüssende Kamelie: Marisa … Dort, wo jetzt die frühere Gotthard-Bank von Botta rottet, man kann sie nicht verfehlen.

Erkennt man die Stadt noch, wenn man nach langen Pausen zurückkehrt?

Die Stimmen ja, die erkennt man, und die Kehren, den Lauf der Sonne, Osten Westen, See Gebirge: Niemand hat mit den Jahren postmoderne neue Berge, neue Seen, neue San Salvatori geschaffen.
Immer gleich geblieben unter dem Himmel, rufen sie sich zum Gruss ihre Namen zu: die in den Sandalen enden, ja klar, und unter Wasser, unter der Erde; auch heute werden die Gemüsehändler, die Architekten, die Neugeborenen wieder dafür sorgen, sie lebendig auf die Strasse zu werfen.

Eine altmodische Marisa ohne Gepäck fühlt sich ­sofort gerufen, blitzschnell erkennt sie den Appell. Ginge sie dann in die andre Welt hinüber, werden sie sie im Glitzern der kühn geschwungenen Brücken von morgen – Fussgängerbrücken werden sie heissen – dennoch weiter rufen wie einen Hausschatten, wie eine von ihnen, Mariisa, Mariisa: wie eine, die immer da war, seht ihr nicht, dass sie sich umdreht?

Aargauer Zeitung Online, 10. Februar 2018
Tages-Anzeiger, 15. Februar 2018
Luzerner Zeitung, 15. Februar 2018
St.Galler Tagblatt, 15. Februar 2018
Viceversa Literatur, 26. Februar 2018
Magazin active live, März 2018
Tessiner Zeitung, 9. März 2018
Schweizer Revue, Mai 2018
Wochenzeitung, 3. Mai 2018
SRF, 12. Mai 2018
Radio SRF 2 Kultur, 13. Mai 2018
Stadtzauber Kulturmagazin, Juli/August 2018
Literarischer Monat, Juli–September 2018
CarpeGusta, 30. August 2018

«Die kurzen Erzählungen, eher geschliffene Miniaturen, versammeln einige Qualitäten, die für Anna Felders musikalische Prosa typisch sind: Ein feinsinniger, oft melancholisch grundierter Humor verbindet sich mit einem irritierenden Blick unter die Oberfläche der Dinge und menschlichen Beziehungen; durch die ungewöhnlichen Perspektiven öffnet sich unversehens Abgründiges, Existentielles.»  Tages-Anzeiger

«Musikalität, Rhythmus und Klang zeichnen das Werk von Anna Felder aus. Es sind oft raffiniert poetisierte Alltagsbegebenheiten oder Momente, die Anna Felder stimmig und überraschend zu gestalten versteht.»  Wochenzeitung

«Anna Felder haucht dem unscheinbar Alltäglichen einen mystischen Zauber ein. Er ist getränkt von der Liebe zum Leben. Man spürt beim Lesen die achtsame Komponistin im Hintergrund, die kühl beobachtet und danach sorgsam abwägend Wort um Wort aufs Papier bringt, die Musikalität des Sprachflusses überprüfend.»  SRF

«Wie ihre früheren Werke zeichnen sich auch diese Erzählungen durch einen liebevollen Blick unter die Oberfläche des Alltäglichen aus.»  Aargauer Zeitung Online

«Die eindringlichsten Geschichten sind jene, in denen Felder Sehnsucht, Irritation, Überdruss und Gespaltenheit spüren lässt – ohne je das abgegriffene Wort ‹Heimat› zu verwenden.»  Luzerner Zeitung

«Wunderbar leicht erzählt, mit feinem Schalk unterlegt.»  Luzerner Zeitung

«Anna Felder mag keine Sensationen, es sind eher alltägliche Begebenheiten, die sie mit Schalk und Raffinesse erzählt. Ihre Texte lesen sich meist einfach und gut verständlich. Doch im Detail haben sie ihre Tücken.» Viceversa Literatur

«Die Autorin schreibt über eine Welt, die sie kennt und intensiv beobachtet. Das Alltagsgeschehen wird in kurzen Texten, immer durchzogen von feiner Ironie, ausgesponnen und oft sinnbildlich reflektiert. Jede Geschichte scheint in einem langen Prozess geschliffen zu sein, um am Ende in vielen Facetten zu funkeln.»  Schweizer Revue

«Felder führt Aussergewöhnliches an gewöhnlichen Menschen vor und macht daraus reinste Poesie.»  CarpeGusta

«Felder beschreibt in ihren kurzen Texten das Leben zwischen Bewegung und Innehalten, zwischen Beobachten und Weitergehen, und das alles in ihrer musikalischen, zerbrechlichen Sprache. Dabei entdeckt sie immer wieder im Fremden das Bekannte und im Bekannten das Fremde.»  Stadtzauber Kulturmagazin