Giovanni Orelli
Der lange Winter
Übersetzt von Charlotte Birnbaum / Mit einem Vorwort von Alice Vollenweider
Neuausgabe, August 2018
Originalausgabe: «L’anno della valanga», Mondadori, Milano 1965
978-3-85791-868-1
«Ein super Buch!» Raoul Schrott im Literaturclub SRF
Giovanni Orellis Erstling «Der lange Winter» wurde 1964 noch im Manuskript mit dem Premio Veillon ausgezeichnet und machte den Tessiner Autor mit einem Schlag bekannt. Nüchtern und präzis schildert Orelli die Bedrohung eines kleinen Dorfes im Bedrettotal durch gewaltige Schneemassen und zeigt, wie «die vordergründige Realität sich allmählich in Versatzstücke auflöst und das Vertraute dem Unheimlichen weicht» (Alice Vollenweider). Die Bewohner müssen entscheiden, ob sie im Dorf bleiben wollen oder ob sie ins sichere Tal ziehen. Unter dem Druck der Lawine verlieren die Alten Einfluss, die Jungen setzen sich durch, voller Neugier auf das, was sie erwartet.
Mit «Der lange Winter» verabschiedete sich Giovanni Orelli vom Bedrettotal, wo er aufgewachsen ist, ebenso wie von der Tessin-Idylle. Der Ich-Erzähler beschwört sich denn auch selber: «Schwöre, dass du niemals rührende Elegien auf dein Dorf schreiben wirst.»
© Yvonne Böhler
Giovanni Orelli
Giovanni Orelli (1928–2016) geboren in Bedretto, studierte in Zürich und Mailand und war Lehrer in Lugano. Seine literarische Karriere begann 1965 mit dem Roman «L'anno della valanga/Der lange Winter», welcher mit dem Premio Veillon ausgezeichnet wurde. Neben seinen Publikationen auf Italienisch, zu denen Gedichte, Erzählungen aber auch Literaturkritiken gehören, hinterlässt er auch Übersetzungen im Dialekt des Bedrettotals. Orellis Gesamtwerk wurde 1997 mit dem Gottfried Keller-Preis und 2012 mit dem Grossen Schillerpreis ausgezeichnet. Er zählt bis heute zu den herausragenden Schriftstellern der Schweiz.
«Giovanni Orelli gehört gewiss zu den kühnsten, doch auch zu den heitersten Poeten dieses Landes. Ärmer wäre die italienische Literatur und wären die Literaturen der Schweiz ohne die melancholische Anarchie seiner Gedichte und seiner Prosa.» Neue Zürcher Zeitung
Charlotte Birnbaum
Charlotte Birnbaum (1903–1986) war Literaturübersetzerin und -Vermittlerin aus dem Italienischen, sie übersetzte Werke u.a. von Cesare Pavese, Giuseppe Tomasi di Lampedusa, Raffaele La Capria, Ippolito Nievo und Giovanni Orelli. Sie lebte in Göttingen und wurde für ihre Arbeit u.a. mit dem Tukan-Preis (1975) ausgezeichnet.© Limmat Verlag
Alice Vollenweider
Alice Vollenweider (1927–2011), geboren in Zürich, Studium der Romanistik in Zürich, Paris und Neapel. Übersetzte Natalia Ginzburg, Luigi Malerba, Eugenio Montale und Giacomo Leopardi. Literaturkritische Aufsätze zur zeitgenössischen italienischen Literatur. Verschiedene Publikationen zur Kochkunst, zuletzt erschienen «Italiens Provinzen und ihre Küche» und «Die Küche der Toskana».
Vorwortvon Alice Vollenweider Mit dem Buch «L’anno della valanga» hat nicht nur Giovanni Orellis Schriftstellerkarriere begonnen, sondern auch ein neuer Abschnitt in der Tessiner Literatur. In diesem kurzen Roman ist es ihm gelungen, ein Thema der Heimatliteratur aus genauer Beobachtung ohne Pathos oder Sentiment in mythische Erfahrung zu verwandeln. Ein Bergdorf wird eingeschneit und nach fast zwei Monaten wegen drohender Lawinengefahr evakuiert. Der Stoff ist autobiografisch: Orelli hat den schlimmen Lawinenwinter 1951, der in der Schweiz 98 Todesopfer forderte, als 23jähriger Lehrer in seinem Heimatdorf Bedretto erlebt. Zehn Jahre wartete er, bis er sich daranmachte, das traumatische Erlebnis zu exorzieren, zehn Jahre, während denen er in Zürich und Mailand Italianistik studierte, promovierte und sich als Lehrer ans Gymnasium in Lugano wählen ließ, wo er heute noch lebt. Die literarische Qualität des Buches fand in der Schweiz und in Italien Beachtung: 1964 wurde es als Manuskript mit dem Charles-Veillon-Preis ausgezeichnet, 1965 erschien es bei Mondadori in Mailand und ein paar Monate später – im Frühjahr 1966 – kam die deutsche Übersetzung beim Rascher Verlag in Zürich heraus. Seltsamerweise blieb die erste Orelli Anerkennung in der deutschen Schweiz ohne Folgen. Die beiden weiteren Titel, die auf Deutsch erschienen, waren unsorgfältig übersetzt oder nachlässig betreut, so dass sein Name bis heute nur für hartnäckige Liebhaber der Tessiner Literatur ein wichtiger Bezugspunkt geblieben ist. Trotzdem hat Giovanni Orelli vor zehn Jahren als einziger Tessiner Schriftsteller seinen Nachlass dem Literaturarchiv in Bern geschenkt. Aus kulturpolitischen Motiven und aus der Lust, Sprachgrenzen in der Literatur zu überwinden. Und vielleicht war auch die Erinnerung an den frühen Erfolg seines ersten Buches mit im Spiel. Heute kann man festellen, dass der Erstling auch nach 48 Jahren von seiner ursprünglichen Faszination und Frische nichts verloren hat. Die Chronik der beiden Monate im Schneegefängnis wird vom IchErzähler polyphon erzählt; er kennt seine Dorfgenossen, vor allem die jungen Mädchen und Burschen, so gut, dass er sie in Gesprächen und Begegnungen auf der Straße, in der Kirche, in Stall, Küche und Wirtsstube auftreten lässt, ihnen zuhört, ihre lebendige Gegenwart in einem Netz von Beziehungen, Begegnungen und Empfindungen festhält. Konkret und präzis wird die Bedrohung durch den unaufhörlichen Schneefall geschildert: Die Wahrnehmung bleibt durchwegs auf den alltäglichen Erfahrungsbereich bezogen. Kein Wort fällt über die Landschaft: Nur der hohe Berg wird erwähnt, von dem die Lawine droht, und der Wald, der das Dorf vor der Lawine schützen soll. Den Schnee beobachtet man auf der Straße, auf den Fensterbrettern und auf dem Rücken der Kühe, die von der Tränke kommen. Giovanni Orelli kennt die Magie des Genaunehmens: Der lautlose Schneefall, der alle Konturen verändert und das Dorf langsam unter einer weißen Decke verschwinden lässt, erzeugt untergründige Spannung. Fast unmerklich wächst aus dem Vertrauten das Unheimliche. Die Familien rücken in den Häusern des Dorfkerns zusammen, die immer tiefer hinter Schneemauern versinken. Die Firstbalken biegen sich unter der Last, und der Gedanke an den Tod lässt manche Dorfbewohner nachts keinen Schlaf mehr finden. Gleichzeitig wächst aber auch die Lust am Leben, der Hunger nach Liebe, man bleibt länger auf, in der Osteria wird mehr Wein getrunken und die jungen Leute nutzen, trotz strenger Mütter und Priester, ihre Zeit für Liebesbegegnungen. Die tödliche Umklammerung durch den Schnee weckt Zweifel, Auflehnung und die Sehnsucht nach einem größeren Horizont. Orellis Bericht vom langen Winter endet mit dem Regierungsentscheid, das Gebirgsdorf zu räumen, bis die Lawinengefahr vorbei ist. Menschen und Tiere finden unten im Tal provisorisch Unterkunft. Die Dorfgemeinschaft löst sich auf; die Jungen suchen sich eine Arbeit und die Alten kehren allein ins Dorf zurück. Das wird auf ein paar Seiten so sachlich und nüchtern berichtet, wie es der neuen Alltagssituation entspricht. Nur ganz am Schluss lässt Orelli für einen Augenblick Pathos aufkommen, wo der IchErzähler mit einem sizilianischen Arbeiter einen Schluck Wein trinkt und seine Erfahrung in dem stolzen Satz zusammenfasst: «Ich grüße den Winter und den Berg und die Lawine, die mich endlich zum Menschen gemacht haben.» |
Der Winter
Matten, Häuser, Bäume und Berg sind mit Schnee bedeckt; und die Raben bedeuten weiteren Schnee. Oben in einem Haus, gerade unter dem Giebel, öffnet sich ein Fenster; aber man kann nicht sehen, wer es ist, die Höhlung bleibt finster. Zwei Jungen, die auf der Straße vorüberkommen, blicken hinauf, ich höre sie sagen: «Was willst du?» «Ich habe den Schnee in den Knochen, ich wußte es genau.» Die alte Frau schließt das Fenster wieder. Unter dem Schnee erscheint unser Wald noch dichter. Ab und zu wird der pulvrige Schnee, der sich still auf den oberen Zweigen der Lärchen und Fichten aufhäuft, schwerer und biegt den Ast; dann fällt er ab, schüttelt weiteren Schnee von anderen, niedrigeren Ästen und verwandelt den Baum in eine weiße Wolke. Die von der Schneelast befreiten Äste schwanken eine Weile in der Luft und beginnen durch den weiter fallenden Schnee langsam wieder weiß zu werden. Unter den Bäumen, zwischen dem einen und dem nächsten Stamm, ist alles schwarz. Einmal stand hinter der zweiten Lärche ein Wolf ruhig auf gespreizten Beinen und blickte auf den Schnee und das Dorf. Jetzt ist unter meinem Fenster nur eine Katze, die sich mit vorsichtigen Schritten bewegt, schnuppert und fortläuft. Unten in der Küche sagen sie mir, es werde um vier Uhr begonnen haben. Mag es nun Schicksal sein oder nicht – aber es fängt immer morgens um vier Uhr an. Serafinos Maria, die um diese Zeit aufsteht, hat, ohne zu warten, dass vom Tal der Klang des Ave-Maria heraufkommt, die Jalousie geöffnet: Und da fing es an, feinkörnig zu schneien. Als die jungen Burschen noch den Mut hatten, sich unter den Decken auf die andere Seite zu drehen, schickte sie schon ihre Kühe zum Brunnen. «Ich sage euch, nach der Zeit, in der sie das Maul in das Brunnenwasser tauchten, kehrten sie schon mit gut drei Finger hoch Schnee auf dem Rücken in den Stall heim.» Auch tagsüber beginnt es nach vier Uhr wieder zu schneien. Vorher wird der Himmel höher, wohl wegen der schwachen Sonne, die, wenn auch unsichtbar, dort über den Nebelstreifen scheint. Dann, um die Zeit, da die Sonne gewöhnlich hinter dem hohen Berg verschwindet, senkt sich das Grau des Himmels bis zur Grenze der Dächer, und der Schnee beginnt wieder zu fallen. Vielleicht wird das Wetter die Nacht über geregelt von dem Gesetz, das, wie es heißt, die Geburt bei den Kühen lenkt: Vielleicht ist es eine Wirkung des Mondes, auch wenn man den Mond über den dichten Nebelstreifen nicht sieht; die Bauern wachen bei den Kühen bis Mitternacht, und wenn diese bis dahin nicht gekalbt haben, können sich die Männer getrost drei, vier Stunden auf die Streu werfen – das Kalb wird am frühen Morgen geboren werden. Wenn ich um Mitternacht zu Bett gehe, hört auch der Schnee auf zu fallen, man sieht nur das Schwarz des Himmels. Abends um vier Uhr beginnt es damit, dass die Luft weicher wird, und dann riecht man den Nebel, der von den Dachfirsten herunterkommt. Und dann fängt es an; im Anfang ist es ein dichtes Schneegestöber; feine Körnchen, die den Boden nicht berühren, drehen sich geschwind und verlieren sich in Wolken von Schnee. Von den Dachfirsten bläst der Wind weiteren Schnee vor die Haustüren; dann fällt der Wind. Wenn der Wind fällt, ist die Luft wie leer. Aber das dauert nicht lange: Die Leere füllt sich wieder dicht mit Luft und mit Schneeflocken, die in der nach Schnee duftenden Luft senkrecht und still herabkommen. Es gibt Menschen, die den ersten Schnee ohne Hass oder Furchtgefühle betrachten, von der Türschwelle aus oder oben an einer Steintreppe, oder hinter Fensterscheiben, während sie einen Vorhang beiseite schieben, oder unter dem Dachfirst. Der Schnee fällt auf andern Schnee mit einem feinen Knistern. Nach einigen Tagen gibt es nur noch das Fallen von Schnee. Er ist so weich, dicht, kalt und trocken, dass man keinerlei Geräusch hört. Die Schicht wächst ganz still; aber wenn man, ohne im Augenblick daran zu denken, an einer niederen Böschung zu Seiten der Straße vorübergeht und die Leichtigkeit schwer wird, kommt es vor, dass man im Schnee ein geringes Sichsenken bemerkt; eine obere Schicht setzt sich auf die untere, schon festere, und ist nun ihrerseits geeignet, eine neue Schicht Luft und Schnee zu tragen, jene festere immer mehr niederzudrücken, als wohne dieser ein Wille inne, Eis zu werden. Von Schicht zu Schicht, unwahrnehmbar immer höher, immer dichter zugedeckt, verschwinden die Kennzeichen der Pfade, die Grenzlinien, die Hecken auf den Wiesen, die Begrenzungen aus Stein oder Holz, die das Mein, das Dein, das Sein bezeichnen, an der Schwelle des jeweiligen Eigentums, die Erinnerung an den Zentimeter geraubter Erde, die Narben von strittigen Teilungen zwischen Menschen, die längst gestorben sind, die Feldkreuze, die ein Gebet an Gott richten: Alles verschwindet. Von Stunde zu Stunde, von Tag zu Tag wächst der Schnee, es sind Kristalle ohne Gewicht, die sich vereinen und bis zum Fensterbrett der untersten Fenster hinaufwachsen. Der Haufen kriecht hoch wie eine Hecke, eine Mauer, er verdunkelt die Küchen. Wenn ich vor Vandas Fenster vorübergehe, schaue ich immer, ob sie hinter den Scheiben steht. Ich hoffe es jedes Mal. Der Gussstein ist direkt vor dem Fenster; sie kämmt sich die Haare im hellen Tageslicht, wobei sie die Arme hebt und den Kopf etwas nach hinten wirft. |
Neue Zürcher Zeitung, 22. November 2003
www.altravita.de, 18. Dezember 2003
Basler Zeitung, 6. Februar 2004
Berliner Literaturkritik, 6. Februar 2004
P.S., 12. Februar 2004
Der Bund, 13. März 2004
SWR 2 Forum Buch, 8. November 2015
SRF-Literaturclub, 28. August 2018
Biel-Benkemer Dorf-Zytig, 28. September 2018
Salve, Dezember 2019
altmodisch : lesen, 31. Oktober 2022
Tages-Anzeiger Das Magazin, Ursina Haller, 1. März 2024
«Ich finde es wunderbar, wie Orelli in einer direkten Anschauung über Dinge sprechen kann und kaum in Romantizismus fällt. Er spricht nicht von der heilen Welt. Unglaublich eindrücklich!» Peter Zumthor, SRF-Literaturclub
«Ein super Buch! Das Schöne daran ist, dass die Sprache sehr poetisch ist, dass jeder Satz genau gesetzt ist und ein leuchtendes Detail hat, welches als pars pro toto für das Ganze steht.» Raoul Schrott, SRF-Literaturclub
«Es ist ein klarer starker Beitrag im ökologischen Diskurs der Schweizer Literatur von der Südseite her, ist ein grosses Plädoyer für die Schweizer Alpen.» Hildegard Keller, SRF-Literaturclub
«Das Besondere des Romans, der jetzt dank einer überarbeiteten Neuausgabe im Limmat Verlag wieder entdeckt werden kann, ist die nüchtern-skeptische Perspektive des Erzählers, der präzis die Zuspitzung der Lage registriert. Als Antidot gegen die Todesfurcht fungieren hier nicht etwas die tradierten katholischen Gebets-Rituale, sondern der hedonistische Liebeshunger des Erzählers, der sich bei jeder Gelegenheit in erotische Abenteuer mit den verbliebenen jungen Dorffrauen stürzt.» Basler Zeitung
«Auch vierzig Jahre nach der Erstveröffentlichung hat dieser Roman nichts an Frische eingebüsst, selbst wenn er deutlich das Ambiente und die Moralvorstellungen eines abgelegenen Tals in den Fünfzigerjahren mit sich führt. Aber Orellis Sprache, klar und präzis, ist von jener verhaltenen Schönheit, der man sich willig hingibt.» Der kleine Bund
«Im Gegensatz zu den damaligen Schriftstellerkollegen Piero Bianconi, Plinio Martini und Alberto Nessi ist Giovanni Orelli in den folgenden Werken nie mehr auf das Thema seiner Jugend im Bergdorf zurückgekommen, ein Thema, das die Literatur der italienischen Schweiz seit ihren Anfängen bei Francesco Chiesa und Giuseppe Zoppi fast uneingeschränkt beherrschte. Orellis Erstling ist in seiner einfachen lyrischen Intensität so gelungen, weil er als Abschied von der Jugend konzipiert war, als Distanznahme von der prekären Idylle der Bergbauernwelt, was auf den letzten Seiten des Buchs in fast didaktischer Weise zum Ausdruck kommt: Die jungen Leute bleiben in der Stadt und lassen die Alten allein ins Dorf zurückkehren. Der Ich-Erzähler seinerseits verabschiedet sich vom naiven Schreiben: ‹Du wirst nie pathetische Idyllen über dein Dorf schreiben; du wirst nie die Elegie der Erinnerung zelebrieren, welche am Ende jenen nützt, die schlecht regieren und daran schuld sind, dass dein Dorf zerstört wird.›» Neue Zürcher Zeitung
«Der Schnee und die drohende Lawinengefahr lassen im wahrsten Sinne die Realität in einem anderen Licht erscheinen. Mit jeder Lage Neuschnee wird die Isolation greifbarer und die Dorfgemeinschaft wird - metaphorisch wie ganz real - auf Ihre Existenzgrundlagen zurückgeworfen. Der Jahrhundertwinter hebt diese auf und so wird hier in wenigen Wochen ein Prozess metaphorisch auf die Spitze getrieben, dem sich so oder ähnlich alle Bergdörfer der Südalpen stellen mußten. Zunehmende Industrialisierung, Tourismus und der Wunsch nach gesicherten und weniger entbehrungsreichen Lebensbedingungen veranlassen eine Landflucht, die rasch zur Entvölkerung ganzer Regionen führt. Auch die Bewohner müssen entscheiden, ob sie im Dorf bleiben wollen oder ob sie ins sichere Tal ziehen. Voran gehen die Jungen, voller Neugier auf das Neue.
Orellis wunderschönes Buch zeugt von einer vergangenen Welt hinter den Fassaden heutiger Ferienhäuser und Pensionen und ist so ein zeitgeschichtlich ungemein wichtiges Dokument. Darüber hinaus und viel mehr noch ist es aber eine Metapher auf die Grundlagen menschlichen Zusammenseins, die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Veränderungen in der Moderne und ein phantastisch beobachtetes kleines Werk über eine von der Umwelt abgeschlossene Gemeinschaft, die - auf sich gestellt und durchaus basisdemokratisch - über das wo und wie ihrer Zukunft entscheiden muss. Und dabei gar nicht entscheiden kann, die Veränderungen sind stärker als das Dorf.
Ein einfühlsamer Roman, den ich jedem ans Herz legen möchte, der sich für die Alltagskultur und die Lebensumstände der alten Tessiner interessiert. Eigentlich für jeden Urlauber. Sofern er keinen Marco-Polo-Reiseführer vom Lago Maggiore besitzt.» Kai Tippmann, www.altravita.de
«Eine Ausnahmeerzählung in ihrer Intensität, etwas wirklich Kostbares.» Michael Mittelhaus, altmodisch : lesen