Giacometti hinkt
Isolde Schaad

Giacometti hinkt

Fünf Wegstrecken, drei Zwischenhalte. Erzählungen

288 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
März 2019
SFr. 34.–, 34.– € / eBook sFr. 19.90
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978-3-85791-870-4

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Schlagworte

Literatur Erzählungen
     
«Ein Lesegenuss!» SRF 2 Kultur

Giacometti? Das ist doch der mit den baumlangen Elendsgestalten, dem die Kunstwelt weltweit zu Füssen liegt? Bloss nicht der Student Luis K., der seine liebe Mühe damit hat. Der Sohn einer alleinstehenden Mutter, die diesen Alberto G. anhimmelt, macht sich seinen eigenen Reim auf dieses Werk und seine ungezählten Publikationen. Er gerät dabei auf eine abenteuerliche Fährte, die ihn bis nach Paris lotst; schliesslich mischt er mit einer kühnen These über G. die einheimische Kunstwelt gehörig auf.

Auch die andern Heldinnen dieses Buches sind mit einem unkonventionellen Lebensentwurf zugange, für den sie kein soziales Wagnis scheuen. Helen G., Nationalrätin der Grünen, durchmisst die halbe Stadt, um die verhassten Militärschuhe ihres Mannes loszuwerden. Laura M., die gewitzte Anwältin, die nach einer gescheiterten Passion den Rollator zum Lebenspartner ernennt, macht mit einer Entführung aus einem Alters und Pflegeheim Furore. Und der plötzliche Abgang der beliebten Dozentin Claire H. setzt eine Hausgemeinschaft in Aufruhr.

Rasant und packend erzählt Isolde Schaad von den modernen Gangarten in der grossen Kleinstadt und würzt sie mit Betrachtungen aus der Fussgängerpassage.

Isolde Schaad

Isolde Schaad, geboren 1944 in Schaffhausen, lebt seit 1967 in Zürich und gehört zu den namhaften Schweizer Autorinnen der 68er Generation. Ihre Spezialität ist die kritische Gesellschaftsbetrachtung, die sie mit Scharfsinn, Humor und hohem sprachlichen Können der nahen und fernen Umgebung widmet. Schon ihre Buchtitel zeugen davon: «Knowhow am Kilimandscharo», erschien 1984 und wurde vom heissen Eisen zum Ethnoklassiker. 1986 folgte die «Zürcher Constipation», 1989 «KüsschenTschüss», die beide zu helvetischen Bestsellern wurden. «Body & Sofa», die Erzählungen aus der Kaufkraftklasse, 1994, «Mein Text so blau» 1997, dann der Roman  «Keiner wars» 2001, der den Schillerpreis der ZKB erhielt, sowie die Porträtsammlung «Vom Einen. Literatur und Geschlecht», 2004. Es folgten der Roman «Robinson & Julia», 2010, dann die Erzählungsbände «Am Äquator», 2014, sowie « Giacometti hinkt», 2019, von der Presse mit grosser Anerkennung bedacht. 2023 erschien «Das Schweigen der Agenda. Geschichten vom Innehalten und Aufhören – Im Auge des Grossen Duden, neudeutscheste Fassung».

Isolde Schaad hat neben ihrer schriftstellerischen Arbeit stets auch publizistisch gearbeitet, bis zum Millenium war sie für renommierte Zeitschriften im In- und Ausland tätig, Unter anderen für «Transatlantik», für das legendäre «Kursbuch», für «Geo», «literaturkonkret», die «Frauenoffensive», oder «Text und Kritik», herausgegeben von Heinz Ludwig Arnold. Ab 1974 bis in die Nullerjahre schrieb sie u.a. für das «Tages-Anzeiger-Magazin», die «NZZ am Wochenende», schwerpunktsmässig für die Wochenzeitung «Woz» und die Kulturzeitschrift «Du».

Von ihren Studienreisen nach Indien, Ostafrika und dem Nahen Osten stammen ihre lebendigen, mit dem ethnologischen Blick geschärften Reportagen, Essays und Kolumnen, für die sie den Schweizerischen Journalistenpreis erhielt. Im Frühjahr 1997 war sie Gast der renommierten Washington University in St. Louis, Missouri. Zu dieser Zeit entstand auch eine Dissertation der amerikanischen Germanistin Julia Scheffer: «Die Sprache aus dem Bett reissen: Feminist Satire in the Works of Elfriede Jelinek and Isolde Schaad» (Washington DC 2000).

Als Künstlerstochter hat Isolde Schaad ihrer Liebe zur Kunst in zahlreichen Künstlerinnenporträts Ausdruck verliehen, vor allem aber hat sie mit ihrer intensiven kunstsoziologischen Studie über ihren Vater Werner Schaad (1905– 1979) «Wie der Kunstmaler sich in der Provinz einrichtet» (Schaffhausen 1980), der Schweizer Kunstgeschichte der Nachkriegsjahre einen wesentlichen Beitrag gestiftet, ganz im Sinne des von Paul Nizons entfachten «Diskurs in der Enge».

Isolde Schaad war immer auch gesellschaftspolitisch aktiv, sie ist Mitbegründerin der selbstverwalteten Genossenschaft Neuland in Zürich Wipkingen, in der sie noch heute lebt. Ihre mehrfach preisgekrönten Bücher erscheinen seit 1984 im Limmat Verlag. Im Frühjahr 2014 erhielt Isolde Schaad sie für ihr literarisches und publizistisches Schaffen die Goldene Ehrenmedaille des Kantons Zürich.

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Inhalt

7 Losgeworden. Los geworden

49 Zwischenhalt: Der ökologische Fussabdruck

53 Beiläufig, dann hin und weg

98 Der Rollator, letzter Lebensgefährte

141 Zwischenhalt: In der Fussgängerpassage

152 Sohlengänger – aus der Sie+Er-Serie

187 Zwischenhalt: Das Alphabet der Füsse

192 Giacometti hinkt

Giacometti hinkt

An einem wolkigen Nachmittag in der Innenstadt rechts der Limmat. Das erste Restaurant am Platz, der neu Bührle-Platz heisst, ist halb leer.

Das Problem mit unserm Meister ist, dass er nicht mehr von heute ist und noch nicht von gestern. Deshalb, mein Freund, brauchen Sie ein verblüffendes Zwischenstück, das als Verbindung dient. Das möchte ich Ihnen deutlich machen, bevor sie Ihre Stunde vergeuden, die, soweit mir bekannt ist, nächste Woche ansteht.

Der Sammler, im sichtbaren Status der Bedeutung, als Bedeutungsträger im grauen Nadelstreifenanzug mit Dreiecktuch in der Brusttasche, schlägt die Nadelstreifenbeine übereinander und süffelt an seinem Aperol Spritz. Sein Gesprächspartner,von dem wir nicht wissen,ob er ein Direktor eines renommierten Kunstinstitutes ist oder ein Ganove aus deutschem Adelsgeblüt, genehmigt sich einen Schluck Hugo, indem er den Ellbogen aufstützt, was besonders salopp aussieht. Das ist die Haltung der Gelassenheit, die sich der Überblicker, im Unterschied zum Überflieger, leistet: Sehen Sie, bei uns geht es um Hugo,nicht um den Aperol Spritz, Hugo ist das Spitzengetränk von gestern, das wir zum Klassiker unter den Happy-Hour-Getränken machen werden, wenn die Credit Suisse genügend Dividenden ausschüttet. Sie wissen, die Credit Suisse ist unser Hauptsponsor.

Der Mann gegenüber lächelt, Lächeln ist das Markenzeichen von steinreichen Sammlern, die die Zukunft auf ihrer Seite wissen.

Und Sie halten Giacometti also für Ihren Hugo? Es ist noch nicht allzu lange her … Sein Gesprächspartner unterbricht, leicht nervös: Genau fünfzig Jahre ist es her, mein Freund.
Nun ja, damals sträubte sich die Stadt Zürich, die Kleinigkeit von 250 000 Franken für die gesamte Sammlung Thompson zu reiben, und wenn nicht private Gönner dafür gesorgt hätten, gäb’s in dieser Gegend nicht mal einen «L’homme qui marche». Wenn der helvetische Giacometti-Schwerpunkt in ein Bündner Bergtal abwandert,wo jüngst in Stampa ein Museum eröffnet wurde, laufen wir Gefahr, dass der Meister zum Tourismusmaskottchen verkitscht wird. Sie verstehen, Doktor, was ich andeuten will. Ein Giacometti im Bergell ist für den Weltmarkt verloren.

Der Mann, von dem wir nicht wissen, ob er ein Ehrenmann oder ein Erstklassganove ist, legt seine Stirn in gepflegte Falten, er besucht vermutlich jeden Monat einen Beautysalon, um im Geschäft zu bleiben, das heute von einer Führungspersönlichkeit manches fordert, was ausserhalb des Fachbereichs liegt.

Ich meine, es geht darum, an diesem Künstler, den ich zweifellos für Weltklasse halte, neue Aspekte zu erschliessen, ja, vielleicht lässt sich sogar an ihm entdecken, was bisher noch kein Experte entdeckt hat.

Also doch kein Hugo?

Nennen Sie’s, wie Sie wollen, ich verrate Ihnen eines, wir kommen voran.

Sie meinen die Gipse, ich weiss, Doktor, dass Sie die Gipse restaurieren lassen, doch diese Gipse sind ein reines Insidergeschäft. Ich sage Ihnen, aus Giacometti einen Ausstellungsrenner zu machen, wo doch in jedem Museum von Rang ein paar seiner Hungergestalten herumlungern, von denen der Löwenanteil vermutlich Fälschung ist, das wird ein Sisyphus für Sie werden.
Hören Sie, Ihr Angebot in Ehren, ich weiss es zu schätzen, aber verhandeln lässt sich in dieser Phase nichts. Sie wissen, dass ein Kunsthaus keine Verkaufsausstellung machen kann, ohne seinen Ruf zu gefährden.

Und was ist dann mit Merzbacher und den Arabern, die Sie letzthin brachten?

Das ist eine andere Geschichte, darüber kann ich jetzt nicht reden. Auf jeden Fall wurde diese Sache in der Presse verzerrt dargestellt.

Wie auch immer, mein Freund, das Angebot gilt für Sie bis zu meiner Abreise nach Shanghai. Heute in sechs Wochen, und ich sage Ihnen, dann ist die Sache für Sie gelaufen. Die Chinesen sind auf alles Europäische scharf, und sie zahlen verdammt gut und pünktlich.

Ich fürchte, wir werden uns nie einig werden, mein Lieber. Ich sehe unsern guten Alberto längst nicht mehr als Sammelgut. Meiner Ansicht nach gibt es für sein Werk, oder sagen wir für seine Vita, was in diesem Fall ein und dasselbe ist, nur eine Möglichkeit.

Und die wäre?

Nehmen wir an, er sei der gemachte Klassiker der Bildhauerei in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, also eine einwandfreie, moderne Grösse. So weit, so gut. Doch wenn man nicht der Louvre ist, wo die indiskutablen Klassiker sozusagen aufgebahrt sind, kann man sich nicht leisten, ihn als den globalisierten Nationalchampion einzumotten. Er muss am Leben erhalten werden, und das geht nur, indem man ihn immer wieder neu entdeckt.

Das hatten wir schon. Was genau wollen Sie eigentlich an ihm entdecken?

Das werden wir sehen.

Dann rate ich Ihnen eins, Doktor, gewinnen Sie Warren Buffett als Investor, dann garantiere ich den Erfolg, sonst nicht. Auf geht’s, zu den Chinesen, ich sage Ihnen, Doktor, Sie verpassen eben einen grossen Moment der globalen Museumsgeschichte.

Nun, ich habe verstanden, doch das ist der Preis der Seriosität.

Der Sammler hebt die linke Augenbraue, dann zuckt er bloss die gut gepolsterten Schultern, und aus der Antwort wird ein blasses Ach.

Sehen sie, meint genussvoll gedehnt der andere, das ist der Unterschied zwischen dem Sammler und dem Bewahrer von Kulturgut. Ich hoffe, Ihnen damit nicht zu nahe zu treten, mein Freund.
Ihr Wort in Gottes Ohr, Doktor, machen Sie’s gut. Auf einen Hugo, das nächste Mal. Tschüss.

 

So reden die, die drauskommen, die am Born der Weisheit sitzen, elitär sind die, und horten alles Wissen. Da versteht dann einer wie er nur Bahnhof. Der Jungspund nebenan, schmal, fast bedürftig sieht er aus, kratzt sich am spärlich spriessenden Flaum ums Kinn. Nun stützt er den Kopf in beide Hände und starrt auf die Speisekarte, die quasi aus Japanpapier und wie handkoloriert wirkt, passend zu dieser Umgebung, die aus Kunst besteht, l’art pour l’art, lalala. Und dabei ist das Ganze eine Baustelle, nicht nur was den Ort angeht, nein, eine Baustelle ist auch die gesamte Innenwelt der Mitmacher, lauter Mitmacher hier, die sich smarte Pöstchen zuschanzen, sagt man. Aber was weiss er schon, der Novize an der Uni, der seine erste Semesterarbeit angehen sollte, ausgerechnet über das Werk von jenem Typen, den die beiden Lackmeier besprachen, bekam er leider wenig mit, obschon er seine Lauscher mega offen hielt. Nicht mal einen Fünfliber im Hosensack findet er. Eine Pleite ist er, Krattiger Luis, das Greenhorn. Sitzt am lätzen Ort, ist ein falscher Fuffziger der Kunstgeschichte, zu der er sich mehr schlecht als recht durchgerungen hat. Nun studiert er also die Figuren von Giacometti, der Mutter zuliebe, die ein Fan ist, ihr Alberto, ja, sie nennt ihn tatsächlich so …

Literatur & Kunst, März 2019
SRF 2 Kultur, 9. April 2019
St. Galler Tagblatt, 17. April 2019
Viceversa Literatur, 23. April 2019
Neue Zürcher Zeitung, 15. Mai 2019
Schweizer Buchjahr, 20. Mai 2019
NZZ am Sonntag, 26. Mai 2019
WOZ, 20. Juni 2019
Buchkultur, 27. Juni 2019
Tages-Anzeiger, 30. Juli 2019
Viceversa 14, 2019


«Mit grimmigem Witz und schönem Scharfsinn nimmt Isolde Schaad in ihren Erzählungen die Gegenwart aufs Korn. Mit bewundernswerter Schärfe und Hellsicht kommentiert sie den Weg ihrer Figuren. Schaads Prosa besticht durch eine sarkastische Nüchternheit beim Blick auf die letzten Dinge.»  Neue Zürcher Zeitung

«Ein Lesegenuss ist das Buch auch wegen der Sprache. Die Erzählungen sind leichtfüssig und dicht, zugleich voll von Metaphern und Anspielungen. Isolde Schaad, dieser scharfsinnigen und kritischen Gesellschaftsbetrachterin, gelingt es, ungewohnte Perspektiven zu entwickeln.»  SRF 2 Kultur

«Die Erzählungen in ‹Giacometti hinkt› sprühen nur so von Einfällen, Frechheit und Humor. Mutig und widerständig nennt Isolde Schaad die Dinge beim Namen und wirft Fragen zu unserem Zusammenleben auf.»  Viceversa Literatur

«Scharfzüngig, abgründig, humorvoll.»  St. Galler Tagblatt

«Schaad hat ein untrügliches Gespür für die Widersprüche der ruhigen, reichen Schweiz – und für Ironie. Auch in ihrem neuen Erzählband bleibt niemand vor ihrem entlarvenden Blick verschont. Die Erzählung ist nicht nur eine schräge, kriminalistische Geschichte und Satire auf den Kunstbetrieb, sondern auch eine Reflexion darüber, was Kunst uns heute bedeuten kann.»  NZZ am Sonntag

«Eine fantastisch real-surreale burleske Komödie entwirft Isolde Schaad in ihrer Story ‹Giacometti hinkt›. Der Band enthält weitere neue meisterliche Erzählungen der namhaften Schweizer Autorin. Ein amüsantes, süffisantes sowie tiefgründiges Lesevergnügen!»  Literatur & Kunst

«Schaad präsentiert eine kritische Bestandesaufnahme der inzwischen älter gewordenen 68er-Generation und eine Satire auf den Kunstbetrieb, die man mit maliziösem Vergnügen verfolgt.»  St. Galler Tagblatt

«Isolde Schaad ist für ihren gesellschaftskritischen Blick bekannt, der mit Witz besticht, ohne dafür Ernsthaftigkeit einzubüssen. Auch in ihrem neuen Erzählband hält sie uns den Spiegel vor.»  Schweizer Buchjahr

«Klug und lustig.»  Buchkultur