Wir wollten den Film neu erfinden!
Thomas Schärer

Wir wollten den Film neu erfinden!

Die Filmarbeitskurse an der Kunstgewerbeschule Zürich 1967-1969

Mit einem Nachwort von Bernhard Lehner

200 Seiten, 115 Abb., gebunden, mit 1 DVD: Laufzeit 190 Min.
1., Aufl., Januar 2005
SFr. 34.–, 36.– €
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978-3-85791-472-0

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Schlagworte

Film Zürich Stadt
     

Was haben Markus Imhoof, Jacqueline Veuve, Luc Yersin, Tobias Wyss, Jürg Hassler oder Clemens Klopfenstein gemeinsam? Generell: mit vielen anderen zusammen prägten sie den 'neuen' Schweizer Film, der Anfang der 1970er Jahre seine Sprache und sein Publikum fand. Speziell: Alle besuchten die erste Filmausbildung der Schweiz – die so genannten Filmarbeitskurse, welche die damalige Kunstgewerbeschule von 1967 bis 1969 organisierte. Die Kurse waren einer der raren Schnittpunkte von 'altem' und 'neuem' Schweizer Film. Initiiert vom Cutter Hans Heinrich Egger, der Filmklassiker – u.a. 'Ueli der Knecht' – schnitt, schöpften Dozenten wie Kurt Früh aus ihrem Erfahrungsschatz. Viele junge Filmer dachten aber, sie könnten vom klassischen Schweizer Film nichts lernen, und hatten den Anspruch, den Film neu zu erfinden. Die grossen Themen der 68er wie Erziehung, Strafvollzug, Sexualität, Emanzipation, Multikulturalität wurden in den Filmen aus den Kursen mit mehr oder weniger Tiefgang aufgenommen und schlugen so eine Bresche für einen offeneren und pluralistischeren Zugang zum Medium Film in der Schweiz. Die in den Kursen entstandenen 35 Kurzfilme – dokumentarische, fiktionale und experimentelle auf 35 mm und 16 mm –, sind auf einer DVD dem Buch beigegeben.

Thomas Schärer
© Markus Frietsch

Thomas Schärer

Thomas Schärer, geboren 1968, Studium der Geschichte und der Filmwissenschaft in Zürich und Berlin. Mitarbeit bei Ausstellungen (u. a. «L’histoire c’est moi, 555 Versionen der Schweizer Geschichte», «Die andere Seite der Welt. Die Expo zur humanitären Schweiz»). Dozent an der Zürcher Hochschule der Künste und an der Universität Basel. Von 2007 bis 2010 Leitung des Forschungsprojektes «Cinémémoire.ch» an der ZHdK.

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Inhalt

Aufblende
Das Umfeld
Krise und cinéphiler Enthusiasmus
Die neue Generation
Ein Weg aus der Krise?

Eine Filmausbildung
Von der Idee zur Realisation
Vom dreiteiligen Lehrgang zu Einzelkursen

Die drei Filmarbeitskurse
Der erste Kurs 1967: Der Schwung des Anfangs
Filme und Reaktionen
Nach dem ersten Kurs: Tatendrang und Selbstvertrauen

Der zweite Kurs 1968: Veränderungen
Schulzimmer, Strasse und Politik
Filme und Reaktionen
Nach dem zweiten Kurs: Die «aufsässigen Gesellen»
Die Filmarbeitskurse zwischen Geld und Politik
Kulturbegriff im Wandel: Die Klasse Form und Farbe

Der dritte Kurs 1969: Umstrittene Aufträge
Filme und Reaktionen
Ende eines Anfangs

Filme und Zeit(geist)

Betrachtungen und Einordnungen
Abbruch eines Experiments
Rahmenbedingungen als Ausdruck einer Mentalität
Der beschränkte Markt
Kursmodell zwischen Fiasko und Erfolg
Die politische Dimension
Das Alte und das Neue: Ästhetik, Haltungen, Perspektiven

Auswirkungen
Beziehungsnetze, Arbeitsgemeinschaften
Die Filmarbeitskurse und Filmgeschichte: Zäsur oder Fussnote?
Ausblick

Den Film erfinden: immer und immer wieder

Anmerkungen
Literatur
Quellen
Liste der Studierenden und Dozenten
Filmliste
Chronologie
Personenregister

Das Umfeld

Krise und cinéphiler Enthusiasmus

In welchem Umfeld entstand die Idee zu einer Schweizer Filmausbildung? Eine kurze Bestandesaufnahme drängt sich auf: Die sechziger Jahre erscheinen im filmhistorischen Rückblick wie eine lange Ab- und Aufblende: Vom verblassenden klassischen Schweizer Film, der einst dank Werken wie Die letzte Chance von Leopold Lindtberg oder Ueli der Knecht von Franz Schnyder populär war, über eine längere «Schwarzphase» – die Krise in der Mitte der Dekade – zu einem neuen Film, der seine Konturen im «Untergrund» tastend erprobte, bis zur Aufblendung Anfang der siebziger Jahre, als der Schweizer Film eine neue Sprache, ein neues Publikum – und internationales Ansehen fand.

Die Blüte des europäischen Autorenfilmes und die legendäre Ausstellung «Der Film» im damaligen Kunstgewerbemuseum Zürich 1960 begeisterte viele Schweizer Cinéphile und Filmschaffende und animierte zu neuem Engagement für den Film. In fast allen grösseren Städten entstanden neue Filmclubs. Die Kunstgewerbeschule Zürich organisierte breit angelegte, von Referaten und mitunter von Ausstellungen begleitete Filmzyklen mit Titeln wie «Polnische Nachkriegsfilme», «Tschechische Filmwoche», «Deutscher Expressionismus» oder «Dänische Filme». Diesem neu belebten Interesse an Film allgemein und im Speziellen der Filmgeschichte stand eine ernüchternde Realität des Schweizer Films gegenüber. Die institutionelle Errungenschaft dieser Jahre, das ab 1963 gültige «Bundesgesetz über das Filmwesen», das erstmals die Möglichkeit einer (Dokumentar-)Filmförderung vorsah, zeigte noch keine unmittelbare Wirkung.

Die «alte Garde des Schweizer Films», die an überkommenen Stoffen und Formen festhielt, war nicht nur weit von der Schweizer Realität entfernt, sondern verlor mit schwindendem Publikum auch zusehends ihre wirtschaftliche Basis. Die Pflege eines idealisierten Selbstbildes, das sich in der Darstellung einer ländlichen, traditionellen Schweiz manifestierte, erwies sich in den sechziger Jahren als definitiv überholt. In dieser Dekade geriet auch in der Schweiz vieles in Bewegung. Entscheidend war weniger die Konkurrenz des aufkommenden Fernsehens als vielmehr der Verlust jeglicher Zeitgenossenschaft und gesellschaftlicher Relevanz der Schweizer Produktion. Der Modernisierungsschub (Automobilisierung, Zersiedelung), der tief greifende gesellschaftliche Wandel (Individualisierung, Medialisierung, Populärkultur) und nicht zuletzt die innovativen Filme aus dem Ausland liessen die Erstarrung und Konfektionierung des einheimischen Filmes offen zu Tage treten. Fast alle bedeutenden Kinematografien der westlichen Welt gerieten bereits Ende der fünfziger Jahre ebenfalls in eine künstlerische und ökonomische Krise. Neue cineastische Bewegungen wie die Nouvelle Vague gewannen aber schneller an Einfluss und waren besonders in Frankreich und Italien auch an der Kinokasse erfolgreich.

Nicht eine cineastische Erneuerung prägte die Schweiz in der ersten Hälfte der sechziger Jahre, sondern Agonie einerseits und verzweifelte Kopierversuche kommerziell erfolgreicher ausländischer Vorbilder andererseits. Die bescheidenen, aber bis dahin mehr oder weniger kontinuierlich funktionierenden Produktionsstrukturen waren in Auflösung begriffen. Schon Ende der fünfziger Jahre schloss die renommierte Produktionsfirma Praesens-Film, die als letzte regelmässig Spielfilme produzierte, ihr Zürcher Studio Rosenhof. Ihre Versuche, von der Schweiz aus mit internationalen Koproduktionen zu reüssieren – beispielsweise mit einem Musical unter der Regie des Deutschen Kurt Hoffmann mit Caterina Valente in der Hauptrolle, schlugen fehl. Andere Firmen wie Gloria, Condor, Neue Film AG, Central Film, Turnus Film, Atlantic Film realisierten kaum noch Spielfilme. Letzterer gelang 1965 allerdings unter der Regie von Niklaus Gessner, der sich mit Auftragsfilmen für Condor einen Namen gemacht hatte, mit Un Milliard dans un billard ein singulärer Publikumserfolg. Diese Erfahrung ermutigte die beiden Produzenten Peter und Martin Hellstern zu einem neuen Projekt, Zürich-Transit, für das Max Frisch nach einem Motiv seines Romans «Mein Name sei Gantenbein» (1964) das Drehbuch verfasste. Das hoch ambitionierte Vorhaben scheiterte jedoch im Herbst 1965 nach Erkrankung des ursprünglichen Regisseurs Erwin Leiser und seines Ersatzmannes Bernhard Wicki. Damit war auch die wohl letzte Chance einer Revitalisierung der Filmproduktion innerhalb der herkömmlichen Strukturen vertan. Die meisten Produktionsfirmen (unter anderem Dokumentarfilm AG, Pro Film, Standard, Condor, Turnus) beschränkten sich in den sechziger Jahren auf den Auftragsfilm, der 1966 gemäss Hervé Dumont 98% der einheimischen Produktion ausmachte. Eine Produktion, die im Hauptprogramm kaum mehr sichtbar war, 99,8% der Filme in den Kinos waren schon 1964 importiert. Allerdings war ein Grossteil der damals üblichen Vorfilme schweizerischer Provenienz, zumeist in Form von Auftrags- oder Werbefilmen. Eine freie schweizerische Dokumentarfilm-Produktion existierte hingegen praktisch nicht und «kann sich unter den bisherigen Voraussetzungen auch nicht entwickeln», stellte der Regisseur, Produzent und Auftragsfilmer August Kern im Katalog der Ausstellung «Der Film» fest.

(…)
Tagblatt der Stadt Zürich, 21. Februar 2005
Memoriav Bulletin, Nr. 12, März 2005
Filmbulletin, März 2005
Der Landbote, 16. April 2005
Neue Zürcher Zeitung, 29. April 2005
CINEbulletin 5/2005
Basler Zeitung, 27. Mai 2005
Neue Luzerner Zeitung, 14. Juni 2005
St. Galler Tagblatt, 29. August 2005
Tages-Anzeiger, 23. Februar 2008

«Die seit langem kurzweiligste Publikation zum Schweizer Film.» Filmbulletin

«Der Filmhistoriker Thomas Schärer (37) zeichnet in seinem fundierten, reich bebilderten Buch «Wir wollten den Film neu erfinden!» die Geschichte der ersten Filmklasse nach. Er macht deutlich, wie stark der cineastische Aufbruch der 68er von den gesellschaftlichen Umwälzungen und vom frostigen Klima des Kalten Krieges geprägt und begünstigt wurde. Schärer schreibt ein kleines Kapitel Schweizer Filmgeschichte fest, über ein Experiment am Übergang vom alten zum neuen Schweizer Film. Im Buch (mit DVD)) kommen viele der damaligen Teilnehmer zu Wort, auch Markus lmhoof, der sagt: ‹1967/68 lag eine Aufbruchstimmung und eine Euphorie in der Luft, die ich an den heutigen Filmstudenten nicht bemerke.›.» Basler Zeitung

«Das Resultat ist eine sehr lesbare Publikation.» Neue Zürcher Zeitung

«Ein formidables Buch. Thomas Schärer – Jahrgang 1968 – zeichnet in seinem fundierten, reich bebilderten Buch die Geschichte der ersten Filmklasse nach. Durch die Einbettung der Filmarbeitskurse in den damaligen sozialen und politischen Kontext zeigt er auf, wie stark der von Schulabgängern mit-initiierte cinéastische Aufbruch vom frostigen Klima des kalten Krieges geprägt und begünstigt wurde.» St. Galler Tagblatt

«Das Buch ist nicht nur lesenswert, es lässt auch die Zeit sehen und hören, denn beigelegt ist eine DVD im Originaltönen aus den Kursen, mit Interviews der Protagonisten und auch mit Abschlussfilmen.» Der Landbote

»Wir wollten den Film neu erfinden!«

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Filmkurs Klassenfoto

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Junge Schweizer Filmrebellen. Schweizer Illustrierte, 9. Mai 1968.

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Portraits

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