Wendepunkt
Emil Zopfi, Gisela Widmer, Isolde Schaad

Wendepunkt

Ein Buch zum zehnjährigen Bestehen des Limmat Verlages

200 Seiten
September 1985
vergriffen
978-3-85791-099-9

Schlagworte

Literatur
     
Die Übersetzer und Übersetzerinnen, Autoren und Autorinnen, Illustratoren und Illustratorinnen des Verlages wurden um eine Geschichte gebeten, zu einem Ereignis, zu einer Person, die – erlebt oder erdacht – in einem Leben etwas ausgelöst, verändert, angestossen haben, zu einem Wendepunkt.
Emil Zopfi
© Marco Volken

Emil Zopfi

Emil Zopfi, geboren 1943, studierte nach einer Berufslehre Elektrotechnik und arbeitete als Computerfachmann und Erwachsenenbildner für Informatik und Sprache. Autor von Romanen, Hörspielen, Kinder- und Jugendbüchern. Er lebt heute als Schriftsteller in Zürich. Sein Werk wurde vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Schweizer Jugendbuchpreis, dem Kulturpreis des Kantons Glarus und dem Albert Mountain Award.

 

Peter K. Wehrli

«...das Eine und das Andere...»

und beides bei Emil Zopfi

 

Als Emil Zopfi mit dem King Albert Mountain Award ausgezeichnet wurde, stand in der Preisbegründung: «Emil Zopfi sei DER deutschsprachige Bergschriftsteller der Gegenwart». Und tatsächlich gibt es von ihm nicht nur zahlreiche Bücher, in denen die Bergwelt ein oder das Thema ist und ebenso tatsächlich kann man diesen Autor als Begründer einer eigenen literarischen Gattung betrachten, des «Bergkrimi». In ihrem Zentrum steht die junge Bergführerin Andrea Stamm, die sich angesichts von fürchterlichen Unfällen am Berg unfreiwilligerweise zu einer Art Kommissarin entwickelt, weil sie nicht so voreilig wie andere an Unfälle zu glauben bereit ist. «Spurlos», «Steinschlag» und «Finale» sind Andreas abenteuerliche Felsszenerien.

Aber Emil Zopfi ist nicht einfach nur Bergbuchautor, er ist selber ein begeisterter oder begnadeter Kletterer, der die Herausforderung durch den Berg mit Leidenschaft annimmt. Und wenn man ihn in Interviews (und gar im Fernsehen) von seinen kühnen Klettererfahrungen berichten hört (und sieht), dann drängt sich uns unweigerlich die Frage auf, was und wieviel wohl das Bergsteigen mit dem Schreiben zu tun habe (und beileibe nicht nur mit dem Schreiben über das Bergsteigen). Und Zopfi lässt dabei bald erkennen, dass beide Bedürfnisse gewissermassen einen Ursprung haben. Er erlebt den Kopf, den man zum Schreiben braucht, und den Körper, den man zum Klettern braucht als eine harmonisch funktionierende Art von Mechanismus. So wie in der Geschichte – oder im Krimi – der Kopf einen Weg zum Ziel ersinnt, so gelangt am Berg der Körper selbst zum angestrebten Ziel. Nicht ohne, dass der Geist dabei Machbarkeit und Risikofaktoren fortlaufend zueinander in Beziehung bringt. Und mit Überzeugtheit bringt Zopfi so auch die Tätigkeit des Schriftstellers und jene des Bergsteigers in so enge Beziehung zueinander, dass wir vermuten dürfen, die beiden ergänzten sich gegenseitig, vereinen sich zu einem Dritten, für das man – wäre man Germanist – eine Bezeichnung wie «Sprachwerdung des Empfundenen» erfinden müsste.

Und heute führt uns der Schriftsteller Zopfi vor Augen und vor Ohren, dass er eben nicht nur ein Bergschriftsteller ist. Er lese diesmal nicht über Berge, sagte er in der Ankündigung, er lese über Zürich. Und Zürich ist bekanntlich eine Stadt, – also ziemlich genau das Gegenteil vom Hochgebirge.

Mir will scheinen, das sei Emil Zopfis listige Methode, dieses Spiel mit den Gegensätzen: Der Kopf und der Körper, das Gefühl und die Vernunft, die Elektronik und die Handschrift, die Schiefertafel und der Computer, die Stadt und die aufgewühlte Natur. Mir sagte einmal mein Lehrer: «Die Gesundheit musst Du dir von einem Kranken erklären lassen und die Krankheit von einem Gesunden»: Das Andere vor Augen haben wenn man vom Einen spricht, das Eine sehen, wenn man das Andere anschaut: Beides gehört zusammen: Eines allein wäre stets nur die Hälfte». Und Emil Zopfi ist wahrhaftig kein Schriftsteller, der es mit der Hälfte bewenden lässt: Das Eine und das Andere – die Stadt und das Land. Und das würde heissen: Wer seine Stadt neu und frisch sehen will, der muss sie sich von einem Bergkletterer zeigen lassen. Ich glaube, so Unrecht hatte mein Lehrer da nicht!

Also: Abgesehen vom Gegensatz Stadt – Land, den Emil Zopfi nicht nur lebt, sondern den er andauernd auch in Sprache hereinkippt, lebt und schreibt, verfügt Zopfi auch über ein erstaunliches Inventar von Arten, sich der Stadt anzunähern. Als gebürtiger Gibswiler lebte er 24 Jahre lang im Glarnerland und «eignete sich» Zürich so an, wie es ein Pendler eben tun kann. Er bewohnt die Stadt nicht, «noch nicht», sie hat ihn «noch nicht durchdrungen». Auch wenn es mir schwer fällt, Arbeit und Leben als ein Gegensatzpaar zu bezeichnen, Wohnort und Arbeitsort, auch das sind «zwei Arten von Zürich». Und eine weitere «Annäherungsart» hat er praktiziert: Er hat Zürich zu seiner Heimat gemacht. Ein Ort, eine Stadt kann nicht «einfach so» und beiläufig zur Heimat werden, man muss sie wollen, und Emil Zopfi will sie. Also ist es «sein Zürich» von dem er berichtet, «sein Zürich», das er in Sprache hereinbricht» und es solcherart zu «unserem Zürich» macht.

Da sind Abschnitte aus Zopfs Erstling, der 1977 erstaunliches Furore gemacht hat: «Jede Minute kostet 33 Franken». Vor fast vier Jahrzehnten schon führte uns Emil Zopfi da in ein Rechenzentrum, in eine Vorstufe zur heutigen vollelektronisierten Arbeitswelt. Das Rattern der Lochkarten macht die Romanfigur auf Widersprüche im sozialen Gefüge aufmerksam, auf die Abgründe im Machtgefüge, die auch heute, wo keine Lochkarten mehr rattern, noch immer nicht gelöst sind. Vergrössert eher, obschon doch – wie Zopfi tröstend fast schreibt – obwohl die Technologie doch «das Potential zur weltweiten Kommunikation und zur Verständigung trägt».

Vom Zürich-Bild des elektronischen Zeitalters dann anderthalb Jahrhunderte zurück ins Zürich des historischen «Züriputsch» von 1839. Im Roman «Schrot und Eis».

Doch Zopfi wäre nicht Zopfi, wenn er nicht Gegensätze zusammenführte: Das 21. Jahrhundert drängt beunruhigend ins 19. Jahrhundert hinein. Was Zeit gehabt hätte für Entwicklung, zeigt Anzeichen von Rückbildung: Das Damals und das Heute, der Fundamentalismus und die Aufklärung. Auf dem Umschlag steht zwar «Historischer Roman», das würde stimmen, wenn der Autor sein Thema nicht so eindeutig aus dem Geist von heute aus angehen würde, dass man die Jahre um 1839 als unsere aktuelle Zeit erleben muss.

«Spitzeltango», vollgesogen von hiesigem Lokalkolorit, praktiziert ein ähnliches Hin und Her zwischen Gegensätzen, die gar nicht so gegensätzlich sind, wie sie erscheinen: Das Jetzt und das Damals, als Aufbruch die Herzen und Hirne bewegte um 1968. Zopfis gelenkige Sprachkraft erzählt da nicht einfach von einem Aufbruch, der vor einem halben Jahrhundert war, sie weckt ihn, diesen Aufbruch, im Leser auch jetzt wieder, stösst ihn an, der eigenen Vorstellungskraft immer wieder neu zu vertrauen.

Nein, diesmal will ich nichts über den Leisten der Gegensätze schlagen – oder höchstens den: Je mehr ich Zopfi lese, umso mehr wächst die Ahnung, Zürich liege am Fusse des Matterhorns oder in der Flanke der Denti della Vecchia. Kopf und Körper kommen auf gleiche Weise zum Zug!

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Isolde Schaad

Isolde Schaad, geboren 1944 in Schaffhausen, lebt seit 1967 in Zürich und gehört zu den namhaften Schweizer Autorinnen der 68er Generation. Ihre Spezialität ist die kritische Gesellschaftsbetrachtung, die sie mit Scharfsinn, Humor und hohem sprachlichen Können der nahen und fernen Umgebung widmet. Schon ihre Buchtitel zeugen davon: «Knowhow am Kilimandscharo», erschien 1984 und wurde vom heissen Eisen zum Ethnoklassiker. 1986 folgte die «Zürcher Constipation», 1989 «KüsschenTschüss», die beide zu helvetischen Bestsellern wurden. «Body & Sofa», die Erzählungen aus der Kaufkraftklasse, 1994, «Mein Text so blau» 1997, dann der Roman  «Keiner wars» 2001, der den Schillerpreis der ZKB erhielt, sowie die Porträtsammlung «Vom Einen. Literatur und Geschlecht», 2004. Es folgten der Roman «Robinson & Julia», 2010, dann die Erzählungsbände «Am Äquator», 2014, sowie « Giacometti hinkt», 2019, von der Presse mit grosser Anerkennung bedacht.

Isolde Schaad hat neben ihrer schriftstellerischen Arbeit stets auch publizistisch gearbeitet, bis zum Millenium war sie für renommierte Zeitschriften im In- und Ausland tätig, Unter anderen für «Transatlantik», für das legendäre «Kursbuch», für «Geo», «literaturkonkret», die «Frauenoffensive», oder «Text und Kritik», herausgegeben von Heinz Ludwig Arnold. Ab 1974 bis in die Nullerjahre schrieb sie u.a. für das «Tages-Anzeiger-Magazin», die «NZZ am Wochenende», schwerpunktsmässig für die Wochenzeitung «Woz» und die Kulturzeitschrift «Du».

Von ihren Studienreisen nach Indien, Ostafrika und dem Nahen Osten stammen ihre lebendigen, mit dem ethnologischen Blick geschärften Reportagen, Essays und Kolumnen, für die sie den Schweizerischen Journalistenpreis erhielt. Im Frühjahr 1997 war sie Gast der renommierten Washington University in St. Louis, Missouri. Zu dieser Zeit entstand auch eine Dissertation der amerikanischen Germanistin Julia Scheffer: «Die Sprache aus dem Bett reissen: Feminist Satire in the Works of Elfriede Jelinek and Isolde Schaad» (Washington DC 2000).

Als Künstlerstochter hat Isolde Schaad ihrer Liebe zur Kunst in zahlreichen Künstlerinnenporträts Ausdruck verliehen, vor allem aber hat sie mit ihrer intensiven kunstsoziologischen Studie über ihren Vater Werner Schaad (1905– 1979) «Wie der Kunstmaler sich in der Provinz einrichtet» (Schaffhausen 1980), der Schweizer Kunstgeschichte der Nachkriegsjahre einen wesentlichen Beitrag gestiftet, ganz im Sinne des von Paul Nizons entfachten «Diskurs in der Enge».

Isolde Schaad war immer auch gesellschaftspolitisch aktiv, sie ist Mitbegründerin der selbstverwalteten Genossenschaft Neuland in Zürich Wipkingen, in der sie noch heute lebt. Ihre mehrfach preisgekrönten Bücher erscheinen seit 1984 im Limmat Verlag. Im Frühjahr 2014 erhielt Isolde Schaad sie für ihr literarisches und publizistisches Schaffen die Goldene Ehrenmedaille des Kantons Zürich.

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