Soraja
Yusuf Yeşilöz

Soraja

Roman

224 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
Mai 2014
SFr. 34.80, 34.80 € / eBook sFr. 19.90
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978-3-85791-734-9

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Rückkehr ohne Ankommen?

Der Mathematiker Ferhad, 48, unverheiratet, beschliesst nach 24 Jahren in einer überschaubaren Schweizer Stadt, nach Ankara zu ziehen. Seine grosse Liebe Soraja, die er einst zwei Jahre lang heimlich traf, durfte er nicht heiraten, weil er vierzehn Jahre älter war als sie und nicht fromm. Auch zu dunkelhäutig, ein Erbe seiner Mutter, die von kenianischen Sklaven abstammte. Soraja ist Pharmazeutin geworden und leitet in der Stadt eine Apotheke. Damals hatte sie überstürzt den neureichen und gläubigen Murad geheiratet, der ihren Eltern genehm war. Die Ehe wurde ihr zur Qual, die fromme Muslimin Soraja orientiert sich an westlichen Werten, Murad bleibt den Vorstellungen seines anatolischen Heimatdorfes verhaftet. Aber sich aus der unglücklichen Ehe zu befreien, wagt sie nicht. Dann trifft sie ihre alte Liebe Ferhad. Einfühlsam und humorvoll zugleich erzählt Yusuf Yes¸ ilöz aus dem Leben zweier Menschen zwischen traditionellen Wertvorstellungen und ihrer Liebe.

Yusuf Yeşilöz

Yusuf Yeşilöz, geboren 1964 in einem kurdischen Dorf in Mittelanatolien, kam 1987 in die Schweiz. Heute lebt er mit seiner Familie in Winterthur und arbeitet als freier Autor, Übersetzer und Filmemacher. Seine Bücher wurden mehrfach ausgezeichnet und in mehrere Sprachen übersetzt. Sein Roman «Hochzeitsflug» wurde 2020 von Gitta Gsell unter dem Titel «Beyto» verfilmt.

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Nach dem reichlichen Essen ...

Nach dem reichlichen Essen saßen wir auf meinem alten Sofa, das ich mit einem farbigen Tuch bedeckt hatte. Das seidene Tuch mit den bestickten Ecken war ein Andenken, das mir von meiner verstorbenen Mutter geblieben war. Soraja war nervös wie eine aufgescheuchte Taube. Wir saßen einen langen Moment da, ohne etwas zu sagen. Zwischen uns lag irgendeine Mappe, in der ich meine Monatsrechnungen aufbewahrte. Ich betrachtete Sorajas unterdessen rot angelaufenen, runden Backen. Sie spielte mit ihren braun lackierten Fingernägeln.

Plötzlich berührte meine Hand ihr Gesicht, das mir bis anhin so weit, so unerreichbar wie die Sterne vorgekommen war, und meine Finger glitten hinauf zu ihren Haaren, unter das Tuch, worauf sie das farbige Tuch, das unter ihrem Kinn gebunden war, lockerte. Nach der ersten Liebkosung ihrer Haare nahm sie das Tuch gänzlich ab und befreite die Haare von der Spange. Das kastanienbraune Haar breitete sich im Nu über ihre Schultern wie die Federn eines Pfaus. Sie fragte mich, ob mir ihre Haare gefielen, ich sagte: «Oh ja, sehr.»

Sie brach aber in Tränen aus, ich wusste nicht warum, mir war es peinlich.

Erst Monate später sagte sie mir, dass sie geweint hatte erstens, weil sie gesündigt und ihre Haare einem fremden Mann gezeigt hatte, zweitens aus Angst, dass sie und ich nicht zusammenfinden würden, weil zwischen uns zu viele Barrieren stünden. An diesem Tag gab sie mir nur einen flüchtigen Kuss auf die Wange und betete danach, bat flüsternd ihren Gott um Vergebung, dass sie einen Mann berührt habe. Ich hielt ihre Hand, und mit leichtem Spott in der Stimme sagte ich, dass sie nichts Verbotenes gemacht habe. Sie müsse wissen, dass die Liebe schon vor der Erschaffung der Götter entstanden sei. Ich dürfe nicht sündigen, warnte sie mich ernsthaft, und ich wechselte das Thema, indem ich auf ihr kürzlich begonnenes Studium der Pharmazie zu sprechen kam. Da erzählte sie mir über ihre Lebensziele, sie war gesprächiger, offener, unverkrampfter. Sie wusste, dass sie, weil sie ein Studium machte, der Stolz ihrer Familie war, die selbst als Textilarbeiter in die Schweiz gekommen waren, und deshalb Freiheiten genoss, von denen auch wir profitierten, indem wir uns heimlich treffen konnten. Sie hatte zu Hause jeweils glaubhaft erzählt, dass sie bei einer Freundin lerne. Für ihre Lügen betete sie zusätzlich.

Zwei Tage später kam sie wieder zu mir, diesmal hatte ich nicht gekocht, nicht, weil ich keine Lust hatte, sondern weil mir vor Aufregung die Hände zitterten, wenn ich das Rüstmesser in die Hand nahm, und sie war damit einverstanden, dass wir für uns beide eine Pizza bestellten. Als hätten wir dies schon vorher abgemacht, kam sie herein, zog ihren grauen Mantel aus, den ich als Zelt, in dem ihr Körper versteckt war, bezeichnete, auch das Kopftuch faltete sie zusammen und legte beide Kleiderstücke auf die Ecke des Sofas, sie blieb stehen, schaute mich an und fragte, ob ich wisse, wann eine Frau dieses Tuch ablegen dürfe. Ich war von ihrem schlanken Körper, den ich zum zweiten Mal in einem engen Pullover sah, fasziniert und schaute sie an, wie wenn ich etwas ganz Fremdes, Unvorhergesehenes betrachtete.

Ich wusste keine Antwort, ich kam nicht aus einer religiösen Familie. Die einzige Frau, mit der ich aufgewachsen war, war meine zu mir äußerst strenge Stiefmutter, die nicht fromm war. Zudem hatte die Religiosität mich damals nicht interessiert, ich hatte als junger Mann nur die Schauspielerei im Kopf.

Als von mir keine Antwort kam, klärte Soraja mich auf: «Nur in der Familie. Nur in Anwesenheit des Vaters und des Bruders darf eine Frau das Tuch abnehmen.» Peinlich war es mir nicht, dass ich diese wichtigen Kenntnisse meiner Religion, oder sagen wir, meiner ursprünglichen Religion nicht hatte.

«Und was bin ich, in dessen Anwesenheit du dein Haupt entblößen darfst?», fragte ich sie lachend, während ich unser übliches Getränk, Tee, in den schmalen, tulpenförmigen Gläsern servierte.

Sie schaute mich an und murmelte vor sich hin, dass sie ihre Gedanken noch nicht ordnen könne und nicht wisse, was ich sei. Sie wisse mit aller Deutlichkeit, dass sie mit ihrem heimlichen Besuch bei mir sündige. Sie sei aber sonst ihrem Glauben gegenüber sehr loyal und zu ihrem Gott und zu den Menschen aufrichtig, sodass er ihr diesen einzigen Fehler, den sie leider nicht verhindern könne, da ihr Herz über ihren Kopf siege, verzeihen werde. «Du bist für mich nur du», sagte sie und widmete sich ihrem Tee, den sie lange klirrend rührte und dann in drei Zügen austrank.
Der Landbote, 22. Mai 2014
Neue Zürcher Zeitung, 26. Mai 2014
migazin.de, 18. Juli 2014
Der Evangelische Buchberater, 03/2014
Freies Radio Wiesental, Sendung «Gelesen», 24. September 2014
Rundschau Luzern, Buchtipps Herbstbeilage, 2014
Wochenzeitung, 6. November 2014
Radio X, 8. November 2015 (Interview mit Yusuf Yesilöz im Rahmen der BuchBasel)
Luzerner Rundschau, Herbstpost, 24. Oktober 2014
aufbruch. Unabhängige Zeitschrift für Religion und Gesellschaft, Nr. 210, 11. Dezember 2014

«Souverän legt Yusuf Yesilöz einen Erzählteppich aus, ein buntes Muster von liebevollen, skurrilen, schmerzlichen und sehr lustigen Begegnungen. Und so besiedeln Yesilöz und sein Protagonist Ferhad einen offenen Kontinent utopischer Heimat in tausendundeiner Geschichte.» Neue Zürcher Zeitung

«Von Liebenden im Spannungsfeld unterschiedlicher Kulturen und Wertvorstellungen erzählt dieser berührende Roman. Warmherzig und mit gut charakterisierten Protagonisten werde große Gefühle und zwiespältige Stimmungen beschrieben, das Dilemma zwischen Herkunft, Traditionen und modernem westlichem Denken in die Geschichte eingebracht.» Rundschau Luzern

«Ein eindrücklicher Roman über eine große Liebe, über das Leben in der Fremde, die Sehnsucht nach der alten Heimat und dem Wunsch nach Zugehörigkeit.» Luzerner Rundschau

«Ungewöhnliche Metaphern und Vergleiche und ein augenzwinkernder Humor, wie man ihn auch in den Kolumnen des Autors findet, zeichnen wiederum den Stil dieses Romans aus.» Der Landbote

«‹Soraja› ist ein souveränes Buch, und sein Autor erzählt Geschichten, die das Leben schreibt.» aufbruch