Corina Lanfranchi (Hg.)
Mein Leben und ich
Schweizer Lebensgeschichten seit 1800
Mit einem Vorwort von Jakob Tanner
1. Aufl., August 2005
vergriffen
978-3-85791-489-8
Das Leben schreibt die besten Geschichten – man muss sie nur kurzweilig erzählen. Zu den erfolgreichsten Titeln des Limmat Verlags haben von Anfang an Bücher mit Lebensgeschichten gehört, Kindheitserinnerungen, Selberlebensbeschreibungen, Briefsammlungen, Biografien, Tagebücher …
Die vorliegende Anthologie enthält erzählerische Schmuckstücke aus der dreissigjährigen Verlagsgeschichte: Der Heimatlose Samuel Fässler wird nach Amerika spediert, wo er spurlos verschwindet. Emma Siegmund aus Berlin und der Dichter Georg Herwegh in Zürich überbrücken die Zeit der Trennung mit leidenschaftlichen Liebesbriefen. Kapuzinerpater Matthäus Keust widersteht der weiblichen Verführungskunst. Ausbrecherkönig Bernhart Matter entschwindet aus dem Gefängnis, ebenso der Walliser Geldfälscher Farinet. Friedrich Glauser erzählt sein Leben, Max Frisch Erinnerungen aus dem Zweiten Weltkrieg, Niklaus Meienberg von St. Galler Weihnachten. Die Landhebamme, die Go-Go-Tänzerin, das Verdingkind, Frau Direktor und Herr Pfarrer, der Fremdenlegionär und die blinde Korbflechterin, der Hilfsglöckner und die Seconda, sie alle haben Dinge erlebt, die man nicht erfinden kann. Ein lebensweltliches Panoptikum der letzten 200 Jahre, chronologisch entfaltet!
Erscheint zum 30-jährigen Verlagsjubiläum und wurde ergänzt mit einer Bibliografie 1975-2005
Corina Lanfranchi
Corina Lanfranchi, geboren 1962, Studium der Germanistik und Journalistik in Freiburg i. Ue. und Basel. Lebt als Buchautorin, Journalistin und Lehrerin in Basel.© Frias, Freiburg
Jakob Tanner
Jakob Tanner, geboren 1950, ist Professor für die Geschichte der Neuzeit an der Forschungsstelle für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Universität Zürich. Er forscht zur Geschichte Europas und der Schweiz im 19. / 20. Jahrhundert. Ein Schwerpunkt liegt auf den Themen Arbeit und Konsum.Inhalt |
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Vom bewegten Leben der Lebensgeschichten von Jakob Tanner Hans Melchior Vögeli 1730 Schwaderloch Regula Engel 1793–1798 Holland, Frankreich, Ägypten Clara Wendel 1804–1816 Kanton Luzern, Kanton Aargau Friedrich Kubli 1836/1837 Glarus Emma Herwegh 1843 Berlin, Basel, Pakoslaw Andreas Dietsch 1844 Olten, New York, Neu-Helvetia Samuel Fässler 1844–1851 Glarus P. Matthäus Keust 1849/1850 Mariastein, Mümliswil, Luzern Bernhart Matter 1850–1854 Baden, Lenzburg Farinet 1870 Sitten Jakob Otto Wyss 1873–1895 Ohio, Almaden, Adelaide Emil Wälti 1894 Westafrika Olga Frey 1900 Heringsdorf Charlotte Louise Staehelin-Burckhardt 1914 Bern, Bad Ragaz |
Tonio 1914–1932 Tessin, Mendrisio, Chiasso, Bern, Zürich, Genf, Lausanne Friedrich Glauser 1919–1923 Münsingen, Ascona, Algerien, Marokko, Belgien Adeline Favre 1919–1926 St.Luc, Genf Ich-Erzähler 1927–1946 Roseto, Kalifornien, New York Fritz Bär 1928 Obfelden, Oberlunnern Kathrin Engler 1929 Basel Katharina 1934 Dorf im Emmental Berta Urech 1933–1936 Zürich Ich-Erzählerin 1935 Pontresina Max Hutter 1937 Cañizar, Spanien Alfredo Dalla Riva 1937 Zürich A. 1937–1946 Stockholm, Zürich Samariterin 1939 Rapperswil Walter 1939 Kemptthal, Weisslingen |
Max Wickart 1940 Rorschach Marthe Gosteli 1940 Worblaufen, Bern Max Frisch 1941 Basel, Mutschellen, Amsteg, Tessin Lisa Meyerlist 1942–1955 Luzern Paula Korn 1942 Diepoldsau Kinder 1943 Bündner Oberland Ernst Halter 1944 Zofingen Marcel Lévy 1948 Schweiz Anne Cuneo 1950 Lausanne Otto Scherer 1952 Meggen Niklaus Meienberg 1953 St.Gallen Edith Kopf-Schwestermann 1948–1961 Siders, Villefranche-de-Rouergue, Paris Martha Farner 1956 Thalwil Judith M. 1956–1985 Budapest, Trogen, Walenstadt, Dübendorf Pauline M.–H. 1941–1980 Toggenburg, Hermetschwil, Olten, Davos, Zürich, Wallis |
Gertrud Mosimann 1960 Elgg, Zürich-Schwamendingen Marie-Rose De Donno 1964 Lausanne Daniel de Roulet 1970 Tessin Amalie Pinkus-De Sassi 1972–1977 Zürich Monika S. 1976 Deutschschweiz Paula Charles 1977 Grenze Schweiz – Deutschland Grazia Pergoletti 1981–1995 Basel, Bern Adifete Reka 1983–1999 Prishtinë, Bern, Ostermundigen Regula 1983 Ostafrika Sonja Levitán 1990 Bern Bianca May 1995 Dorf in der Deutschschweiz Katrin Huber 1998 Deutschschweizer Kleinstadt Elif 2000 Basel Bibliografie des Limmat Verlags 1975–2005 Personenregister |
Vom bewegten Leben der Lebensgeschichten
von Jakob Tanner
Solange Menschen leben, gestalten sie ihre Gegenwart. Sie pflegen Bilder der Vergangenheit und stellen Überlegungen über ihre Zukunft an. Sie hinterlassen vielfältige Spuren, zufällig überlieferte Dokumente wie Aufzeichnungen und Notizen oder im Hinblick auf die Nachwelt verfasste Berichte, Briefe und Tagebücher, teils auch gehaltvolle Memoiren und ausgeklügelte Autobiografien. Die Vorstellungen darüber, was im Leben Sinn macht, bleiben auf diese Weise im Fluss. Sie wandeln sich mit der Persönlichkeitsentwicklung.
Menschen nehmen nicht nur auf ihre Geschichte Einfluss, indem sie selber handeln, biografische Entwürfe zu realisieren versuchen, ihren Träumen nachrennen oder ihren Wünschen nachhängen. Sie wirken vielmehr auch darauf ein, wie die Mixtur aus Erinnern und Vergessen aussieht, aus der das Selbst- und Fremdbild besteht. Am Ende des Lebens triumphiert mit dem Tod auch die Geschichte, genauer: Es bleiben viele Geschichten zurück. Das Sprechen über ein Leben im Singular ist schon deswegen unangemessen, weil die Erzählungen über einen Menschen äusserst plastisch und facettenreich sind. Tote sind als Subjekt ihrer Geschichte nicht mehr präsent, so werden sie zum Objekt von Geschichten, was schon bei der Beerdigung mit dem Nachruf beginnt, der im Wortsinne ein «Nachruf» ist, das heisst etwas, was in die Leere, die ein Verstorbener hinterlässt, hineingerufen wird und ihm dann als Fama nachgeht. Nun dominieren die Geschichten der Überlebenden und Nachgeborenen, die sich einen Reim auf diese Entschwundenen zu machen versuchen, die ihnen als Menschen nahe standen oder für die sie sich aus anderen Gründen interessieren.
Tote wären den Projektionen, dem wertenden Zugriff anderer wehrlos ausgesetzt, gäbe es nicht noch Lebende, die eine Version «in ihrem Sinne» verteidigen und damit die Deutungswillkür einschränken würden. Doch mit der Zeit erlahmen diese Energien, und die vergangenen Leben erfahren ihre Freisetzung für historische Interpretationen ebenso wie für literarische Aneignungen. In freien Erzählungen wird die Zeit auf neue Weise verfügbar. So kann es – wie im vorliegenden Band S. 51ff. – passieren, dass der vor 150 Jahren hingerichtete «Ein- und Ausbrecherkönig» Bernhart Matter aus Muhen (Aargau) auf das zurückblickt, was mit seinem Haupt passierte, nachdem es vom Rumpf abgetrennt worden war. Diese imaginäre Retrospektive auf das eigene Ende wird durch einen Autor ermöglicht, der sich viel später zum Komplizen des Gauners macht, indem er ihm eine Stimme verleiht. Der Protagonist erfährt hier eine lebensgeschichtliche Rehabilitation post festum, der Leser wird Zeuge einer Wiederauferstehung eines in die Illegalität abgedrängten und schliesslich in den Tod beförderten Verbrechers als Mensch, der auf listige Weise ein klein wenig ausgleichende Gerechtigkeit zu wirklichen vermochte.
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«56 Lebensgeschichten von bekannten (wie Glauser, Frisch) und unbekannten Schweizern, die sich kritisch an der Heimat reiben. Eine schöne Anthologie zu 30 Jahren Limmat Verlag. Wir grautulieren!» SonntagsZeitung
«Männer, Frauen, Arme, Reiche, Junge, Alte, Berühmte und Unbekannte: Alle kommen zu Wort und geben Müsterchen aus ihrem Leben preis. Das Buch eignet sich hervorragend als Nachtischlektüre.» kath.ch
«Der Reader ist ein vorzügliches Geschenk auch an die Buchhändler, um sich in fremde Lebenswelten einzulesen.» Schweizer Buchhandel
«Viele, ja die meisten der vorgestellten Lebensschicksale berühren einem beim Lesen.» kath.ch