Der Hellseherkorporal
Friedrich Glauser

Der Hellseherkorporal

und andere Geschichten aus der Fremdenlegion

144 Seiten, gebunden, 2 Illustrationen von Hannes Binder
August 2013
SFr. 19.80, 19.80 € / eBook sFr. 19.95
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978-3-85791-713-4

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Zwei Jahre verbrachte Friedrich Glauser 1921-1923 in der Fremdenlegion. An diese Zeit erinnert der grosse Legionsroman 'Gourrama', aber auch in zahlreichen Erzählungen und Kurzgeschichten hat Friedrich Glauser seine Erlebnisse als Korporal der Fremdenlegion verarbeitet. Am Rand der Sahara stationiert, wurde Glausers Einheit nicht in kriegerische Konflikte verwickelt, die kleine Männerkolonie war mehrheitlich mit sich selbst beschäftigt, der Hierarchie, dem Mangel an Geld, Alkohol und anderen Genüssen, dem Überfluss an Arbeit und langer Weile. Es ist ein kleiner Kosmos von europäischen Männern mit bunten Lebensläufen inmitten arabischer Dörfer und Städtchen. 'Gleich einem genialen Regisseur arrangiert und beleuchtet Glauser seine Akteure auf der winzigen Bühne des Postens. Unausweichliche Beziehungen, schwer zu durchschauen, laufen quer durch die Truppe. Das ist mit so hinreissender Kunst der atmosphärischen Gestaltung beschworen, dass man glaubt, die Menschen in ihrer nacktesten Existenz wahrzunehmen.' Neue Zürcher Zeitung

Friedrich Glauser
© Gotthard Schuh / Fotostiftung Schweiz

Friedrich Glauser

Biographie

1896 4. Februar: Friedrich Karl Glauser wird in Wien geboren.
1900 Die Mutter stirbt.
1902 Eintritt in die Evangelische Volksschule am Karlsplatz.
1906 Eintritt ins k. u. k. Elisabeth-Gymnasium.
1909 Berufung des Vaters an die
Handelshochschule Mannheim.
1910 Eintritt ins «Schweizer Landerziehungsheim
Glarisegg» am Bodensee.
1913 Selbstmordversuch; Rauswurf aus Glarisegg und Eintritt ins Collège de Génève. 
1915 Freiwillig vorgezogener Wehrdienst in der Schweizer Armee. Erste Veröffentlichungen.
1916 Volljährigkeit. Abbruch der Beziehungen zum Elternhaus.  Matura am Institut Minerva in Zürich. Immatrikulation als Chemiestudent an der Universität Zürich. Bekanntschaft mit Dada-Künstlern.

1917

Weigerung des Vaters, Glausers Schulden weiter zu bezahlen; Antrag auf psychiatrische Untersuchung. Teilnahme an den ersten beiden Dada-Soiréen. Entmündigungsverfahren. Tätigkeit als Milchausträger. Beginnende Lungentuberkulose,
Morphiumbehandlung.
1918 Flucht und Entmündigung durch die Amtsvormundschaft Zürich in Abwesenheit. Anfang Juni Verhaftung in Genf nach kleineren Diebstählen. Einweisung in die Psychiatrische Klinik als Morphiumsüchtiger. Diagnose: Dementia praecox. 
1919 Flucht aus der Anstalt.
1920 Zusammenleben mit Elisabeth von Ruckteschell in einer alten Mühle bei Ronco. Erneute Morphiumabhängigkeit und Verhaftung in Bellinzona, Selbstmordversuch. Nach heftigen Entzugserscheinungen und einem Blutsturz Einlieferung ins Inselspital Bern.
Nach versuchter Rezeptfälschung Einweisung in die Irrenanstalt Hollingen.
Flucht mit Hilfe Elisabeth von Ruckteschells zu Hans Raschlenach nach Baden. Eintritt in die Psychiatrische Klinik Burghölzli in Zürich. Ab Oktober mit Billigung der Behörden bei Hans Raschle in Baden.
1921 Aushilfe bei einem Lebensmittelhändler. Volontär bei der «»Schweizerischen Freien Presse». Erneute Morphiumsucht, Flucht zum Vater nach Mannheim. Eintritt in die Fremdenlegion. 
1922 Selbstmordversuch, Malaria.
1923 Ausmusterung wegen eines Herzfehlers. In Paris längerer Spitalaufenthalt und Arbeit als Tellerwäscher-Arbeit in einer Kohlegrube in Charleroi (Belgien).
1924 Malaria, Morphiumsucht, Selbstmordversuch. Nach einem im Morphiumdelirium verursachten Zimmerbrand Einweisung in die Irrenanstalt Tournai.
1925 Rückschaffung in die Schweiz; Psychiatrische Klinik Münsingen. Einweisung in die Haft- und Arbeitsanstalt Witzwil.  Selbstmordversuch.
1926 Entlassung aus Witzwil. Handlanger in der Gärtnerei Heinis in Liestal. Erneute Morphiumsucht und Rezeptfälschungen.
1927 Verhaftung wegen fortgesetzten Opiumdiebstahls in einer Apotheke. Eintritt in die Anstalt Münsingen. Psychoanalyse bei Max Müller.
1928 Hilfsgärtner. Gemeinsame Wohnung mit Beatrix Gutekunst in Basel. Beginn der Arbeit am Legionsroman «Gourrama».  Opiumrückfälle. Zusage eines Kredits von 1500 Fr.
für «Gourrama» durch die Werkbeleihkasse des Schweizer Schriftstellervereins. Aufgabe der Gärtnerarbeit und Umzug nach Winterthur zu Beatrix Gutekunst, die dort eine Tanzschule eröffnet hat.
1929 Erneute Morphiumsucht.  Schwierigkeiten mit der Werkbeleihkasse, die ihre letzte Ratenzahlung von einer Überarbeitung des Romans abhängig macht. Arbeit als Gärtner und Verhaftung nach einer Rezeptfälschung.
1930 Anstalt Münsingen. Abschluss von «Gourrama». Gartenbauschule Oeschberg. Findet keinen Verlag.
1931 Gartenbauschuldiplom. Selbstentwöhnungsversuch. Anstalt Münsingen. Nachanalyse bei Max Müller. Beginn an «Tee der drei alten Damen».
1932 Übersiedlung nach Paris mit Beatrix Gutekunst. Versuch, als freier Journalist und Schriftsteller zu leben. Opiumrückfälle. Abbruch des Pariser Experiments und Besuch beim Vater in Mannheim. Festnahme wegen Rezeptfälschung. Antrag des Vaters, Glauser lebenslänglich in der Schweiz zu internieren. Ausweisung.  Anstalt Münsingen. Ende der Beziehung mit Beatrix Gutekunst.
1933 Beginn der Freundschaft mit Berthe Bendel.  Zusage für die Stelle als Verwalter eines kleinen Gutes in Angles bei Chartres. Zustimmung des Vormunds und der Anstaltsleitung, Versicherung Berthes, Glauser zu begleiten, sie kündigt.
1934 Weigerung der Anstaltsleitung und des Vormunds, Glauser nach Angles gehen zu lassen. Unbefristete Internierung. Verlegung in die Anstalt Waldau bei Bern. Erster Preis beim Kurzgeschichten-Wettbewerb des «Schweizer-Spiegel.» Verlegung in die Kolonie Anna Müller in Münchenbuchsee. «Tee der drei alten Damen» beendet. Entlassung, Opiumrückfälle, Rezeptfälschungen.
1935 Erneute Internierung in der Waldau. Versetzung in die offene Kolonie «Anna Müller» in Schönbrunnen bei Münchenbuchsee. «Schlumpf Erwin Mord» wird fertig, Einsendung an den Morgarten-Verlag. Flucht aus der Kolonie «Anna Müller». Lesung im Rabenhaus bei Rudolf Jakob Humm.  Berthe Bendel gibt ihre Stelle in Kreuzlingen auf und kommt zu Glauser nach Basel. Rückkehr in die Waldau. Beginn mit der Arbeit an der «Fieberkurve»
1936 Annahme von «Schlumpf Erwin Mord» durch die «Zürcher Illustrierte» und den Morgarten-Verlag. Vergebliche Versuche, «Gourrama» bei der Büchergilde unterzubringen. Entlassung aus der Waldau. Kurzer Aufenthalt bei Josef Halperin in Zürich, «Matto regiert» wird fertig und von der Zeitschrift «Der öffentliche Dienst» angenommen. Lesung bei Humm im «Rabenhaus». Ankunft in Angles bei Chartres; in der Folge Bewirtschaftung des kleinen Gutes von Ernst Jucker, eines Schweizer Bankiers in Paris. Annahme der «Fieberkurve» durch den Morgarten-Verlag unter der Bedingung, dass Glauser den Roman überarbeite. Aufnahme in den Schweizerischen Schriftstellerverein. Auftrag für einen kurzen Studer-Roman vom «Schweizerischen Beobachter». «Wachtmeister Studer», Glausers erstes Buch, erscheint im Morgarten-Verlag, Zürich.
1937 «Matto regiert» erscheint im Jean Christophe Verlag, Zürich. Glausers Exposé zum Roman «Der Chinese» wird für den Wettbewerb des Schweizerischen Schriftstellervereins angenommen. Umzug nach La Bernerie (Loire). Beendigung der zweiten Fassung der »Fieberkurve».
Aufnahme einer Radiolesung. 
Beendigung von «Krock & Co.». Artikel über Gides «Retouches à mon retour de l'U.R.S.S.» und nach Erscheinen im «ABC» heftige Kontroverse mit Humm über Gides, den Stalinismus und die Linke. Tod des Vaters.
1938

Eintritt in die Klinik Friedmatt, Basel, zur Entziehungskur. Unfall im Baderaum der Klinik; Schädelbasisbruch und schwere Gehirnerschütterung. 1. Preis im Wettbewerb des Schweizer Schriftstellervereinsfür «Der Chinese». Vergebliche Bemühungen, in Basel zu heiraten. Die Schweizer Schillerstiftung spricht Glauser eine Anerkennungsgabe von 500 Franken zu. Übersiedlung nach Nervi bei Genua. Arbeit an drei verschiedenen Roman-Projekten (Ascona-Roman, Charleroi-Roman, «Mord in Angles»). Am 6. Dezember: Glauser bricht am Vorabend der Hochzeit beim Abendessen zusammen und stirbt am 8. Dezember

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Vielleicht habt ihr Filme über die Fremdenlegion gesehen. Sie sind alle falsch. Die Amerikaner haben sie gemacht, und ich habe in der Legion nur einen Amerikaner getroffen, und der war schwarz. Er war früher Steward auf einem Schiff, sprach gut französisch und englisch. Er war ein anständiger Bursche, wurde Korporal, und dann ist er gestorben. In jenem kleinen Posten, von dem ich euch gern erzählen möchte. Ich träume noch manchmal von diesem kleinen Posten, von den roten Sandsteinbergen, die aus der Ebene herauswuchsen. Und ganz in der Ferne sah man die weißen Schneeberge des Hohen Atlas. Von ihnen kam am Morgen und am Abend ein kühler Wind.

Der Posten hieß Gourrama. Wenn ihr eine Karte habt, so könnt ihr ihn vielleicht finden, aber es muss eine große Karte von Marokko sein. Es ist ziemlich im Süden, zwischen Bou-Denib und Midelt. In der Nähe des Postens, etwa dreihundert Meter von ihm entfernt, waren zwei arabische Dörfer. Aber ihr müsst euch nicht vorstellen, dass das Dörfer sind wie bei uns in der Schweiz. Nicht Häuser über das Land verstreut, mit Wiesen und Obstgärten, und Misthaufen davor. Es ist ein einziger riesiger Bau wie ein breiter, sehr breiter Turm, aus getrockneten Lehmziegeln aufgebaut, und die Menschen hausen darin wie Bienen in einem Stock. Ich bin oft drin gewesen, obwohl es uns verboten war. Die Leute waren sehr freundlich. Ich verstand sie nicht und sie mich auch nicht. Aber wir kamen ausgezeichnet miteinander aus, tranken Tee zusammen, und manchmal haben sie mich zum Abendessen eingeladen. Dann gab es Kuskus. Und das schmeckt sehr gut. Das Rezept kann ich euch geben.

Man nimmt Mehl und streut es auf ein flaches Korbgeflecht. Dann spritzt man Wasser drauf und fängt an, die geflochtene Platte ruckweise zu schütteln, spritzt wieder Wasser auf das Mehl, schüttelt wieder, bis sich das Mehl zu winzigen Klumpen geballt hat, ein wenig größer als Grießkörner. Diese Klümpchen schüttelt man in ein unten spitz zulaufendes Tongefäß, dessen Boden an verschiedenen Stellen durchbohrt ist. Das Tongefäß wird auf einen Eisentopf gestellt, und im Eisentopf ist Wasser. Wenn das Wasser kocht, steigt der Dampf durch die Bodenlöcher des Tongefäßes, die Mehlklumpen quellen auf, und wenn sie ordentlich im Dampf durchgebrüht sind, ist das Kuskus fertig. Dann bringt man Schaffett dazu, das ein wenig ranzig riecht, Hühnerbouillon, Safran, Tomaten und richtet das Ganze auf einer großen Holzplatte an. Dann hockt man sich im Kreise um die Platte, Stühle gibt's keine, man hockt mit gekreuzten Beinen da. Das kommt einem im Anfang ungewohnt vor, aber man gewöhnt sich dran. Und dann isst man mit den Händen, und der Hausherr erweist einem Ehre, wenn er das Kuskus zu kleinen Kugeln dreht und sie dem Gast in den Mund stopft. Nachher trinkt man sehr süßen Tee, der mit Minzenblättern parfümiert ist, oder schwarzen Kaffee, der so dick ist wie bei uns der Kakao. Raucht selbstgedrehte Zigaretten und schweigt sich an. Das Schweigen ist sehr schön, auch ungewohnt im Anfang, denn wir, hier drüben in Europa, wir reden gerne viel. Das gewöhnt man sich ab. Ab und zu lächelt man sich an, und wenn man dann fortgeht, berühren sich nur die Fingerspitzen zum Abschied, und man legt den Zeigefinger auf die Lippen und weist nach dem Himmel. Das ist der arabische Gruß.
Münchner Merkur, 4. Oktober 2013
Luzerner Rundschau, 18. Oktober 2013
Norddeutscher Rundfunk, 31. Oktober 2013
Neue Zürcher Zeitung, 18. Januar 2014

«Er zählt zu den wichtigsten Schweizer Autoren des 20. Jahrhunderts und gilt als Vater des deutschsprachigen Kriminalromans. Friedrich Glauser führte ein rastloses Leben, war von 1921 bis 1923 in der Fremdenlegion. Seine Erlebnisse in Afrika hat er in dem Roman ‹Gourrama› verarbeitet, aber auch in präzise formulierten und dennoch verspielten Erzählungen, die der Limmat Verlag, der Glausers Werk pflegt, nun in einem Band versammelt hat.» Münchner Merkur

«Sein eigenes Leben war wie ein Kriminalroman und nun werden auch seine spannenden Erzählungen wieder entdeckt. In zahlreichen Erzählungen und Kurzgeschichten hat Friedrich Glauser seine Erlebnisse in der Fremdenlegion verarbeitet.Man erlebt einen kleinen Kosmos von europäischen Männern mit bunten Lebensläufen inmitten arabischer Dörfer und Städtchen. Ein Schweizer in einer Welt, wo die spannende Erzählkunst Kulturgut ist.» Luzerner Rundschau

«Die neu versammelten Erzählungen schlagen einen ähnlichen Ton an wie Gourrama, einen leisen, melancholischen Ton, der so gar nichts mit den lauten, actionreichen Filmen der Amerikaner zu tun hat, die Glauser erwähnt. Es geht um die erste Haschisch-Erfahrung oder den Maulesel Seppl, aber es geht auch um Eifersucht und Verzweiflung, um Freundschaft und Tod. [...] Die längste und titelgebende Erzählung in diesem Band, Der Hellseherkorporal, handelt von einem ebensolchen in Trance-Zuständen hellsehenden Korporal. Der Geistliche des Postens hält ihn für vom Teufel besessen und will ihn erretten. Später haben beide, Priester und Korporal, noch einen Auftritt in Die Fieberkurve, dem zweiten der fünf Wachtmeister Studer-Romane. Darin zeigt Glauser dann seine ganze – sich im Hellseherkorporal schon andeutende – Meisterschaft.» Norddeutscher Rundfunk

«Neben den besser bekannten Romanen kommt Glausers Erzählungen, beispielhaft editiert von Bernhard Echte und Manfred Papst, ein besonderes Gewicht zu. Aus dieser Ausgabe erscheinen seit einiger Zeit elegante, schmale Bände mit erzählerischen Kostbarkeiten. Sie finden in jeder Handtasche Platz. Glausers eminente physiognomische Kunst kennzeichnet alle diese Texte und oft genug erwiesen sich die dargestellten Lebenssituationen als epochenspezifisch.» NZZ

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