Barbara Lutz
Keinen Seufzer wert
Roman
August 2017
978-3-85791-838-4
«Eindrücklich und bildstark.» 20 Minuten
Auf dem Schafberg bei Signau im Emmental wohnt der Bauer Res Schlatter, ein frömmlerischer wie geiziger Betbruder. Seit er Vater und Schwestern vertrieben hat, haust er allein. Im Februar 1860 erkundigt sich ein entfernter Verwandter bei ihm, ob ein Logis zu vergeben wäre, der Wyssler Jakob, ein arbeitsloser Schuhmacher und Taglöhner mit Frau und drei Kindern. Schlatter fasst Vertrauen und geht darauf ein.
Aber bald beginnen Schwierigkeiten. Der Mietzins ist überrissen. Wyssler hat die versprochenen Geissen nicht mitgebracht. Schlatter überlässt ihnen nur schlechtes Ackerland. Dauernd argwöhnt er, bestohlen zu werden, da können die hungernden Wysslers ja gleich das eine oder andere nehmen, er hält sie sowieso für Diebe. Geredet wird kaum, und so steigen die Spannungen im Haus bis ins Unerträgliche. Es endet ein Jahr später in Totschlag und öffentlicher Hinrichtung vor Tausenden von Zuschauern.
«Keinen Seufzer wert» ist ein eindringlicher Roman über weltverachtenden Glauben, über Engherzigkeit und Selbstgerechtigkeit und nicht zuletzt über die Katastrophe der Sprachlosigkeit.
© Robert Beyer
Barbara Lutz
Barbara Lutz, 1959 in Dornbirn geboren, studierte Ethnologie in Wien und Bern. Arbeitete und forschte auf verschiedenen Kontinenten, in der Entwicklungszusammenarbeit und im Migrationsbereich. Sie lebt bei Bern.Hornung 1860
«Seit gestern wieder kalt, es liegt viel Schnee.»
Schlatter Res wartet, während die engen, steilen Buchstaben trocknen, klappt dann das Notizbüchlein zusammen und räumt es in die Tischschublade. Das Vieh versorgt, Tenne und Stall verriegelt, die Haustür verschlossen. Es sind ihm dies die liebsten Stunden des Tages.
Wenn die Ruhe andauert. Wenn nicht draussen plötzlich Schritte zu vernehmen sind und flüsternde Stimmen, nächtlicher Besuch.
Schlatter Res horcht in die Stille.
Selbst wenn sie kommen, wird er sich heute zu nichts verleiten lassen. Er wird nicht das Fenster öffnen, um hinauszubrüllen, sie sollen verschwinden. Nicht einmal hinter der Türe stehen, um zu lauschen, was draussen vor sich geht. Auch wenn sie sich ums Haus herumtreiben. Nehmen können sie ihm nichts, es wäre denn vom Brunnenwasser.
Am besten ist es,wenn er sie nicht bemerkt. Res lärmt absichtlich laut, hackt Holzspriesse, schleift seine Holzbodenschuhe flach über den Küchenboden und scheppert mit der Milchpfanne. Im Stehen trinkt er etwas warme Milch und isst ein Brot dazu. Ins Haus werden sie sich niemals wagen.
Res nimmt Mutters Gebetsheft und die Öllampe und setzt sich damit auf den kalten Ofentritt. Seit draussen untertags die Frühlingssonne scheint, lässt er das Heizen bleiben. Er streckt sein böses Bein auf der Ofenbank aus und reibt die verknoteten Adern, die an seinen weissen, mageren Waden hervorquellen. Aber sein Reiben verstärkt das lästige Ziehen. Dass er auf die Fünfzig zugeht, spürt er an solchen Tagen. Die Hose ist feucht vom Schnee, und an den Rändern klebt Mist.
«Die ganze Welt ist keinen Seufzer wert», Res blättert in Mutters Heft mit den Gebeten,«aber vom Morgen bis am Abend ist die Gnade da, mit jedem Morgen neu, und das Liebeserbarmen in Christo.» Wer den Herrn im Herzen trägt und danach lebt, ist den Menschen zuwider. Res weiss, auch anderen aus der Versammlung passen sie am Heimweg ab, bei ihm aber kommen die Vaganten bis zum Haus, seit er alleine wohnt. Seine Schwestern behaupten freilich, sie seien nur in seinem Kopf. Wohl, aber als er vor ein paar Wochen das Läufterli geöffnet und in die Nacht hinausgehorcht hat, kam ein Drecksklumpen geflogen. Res fürchtet sich vor jungen Burschen, Taglöhnern und durchziehenden Knechten.
«Kehre dich jetzt nur immer einwärts ins Herz zum Heiland, dort bekommst du alles, was du nötig hast.» Eine grosse Sehnsucht ergreift Res. Er kann den künftigen Glanz um sich fühlen und die Wärme spüren. Er wird Geborgenheit finden, denn sein Leben ist darauf ausgerichtet, dem Herrn zu gefallen.
Res klappt das Heft zu und geht über die Laube nach hinten in den Stall, um Wasser zu lassen. Während er seinen Strahl in den Schorgraben richtet, erhebt sich eine der beiden Kühe schwerfällig und sieht ihm dabei zu.
Die Mütze in den Händen, betet Res daraufhin noch um das Wohl der Tiere und segnet sie. Schliesslich überprüft er ein letztes Mal Riegel und Schlösser, bevor er, zurück in der Stube, auf den Ofen steigt. Durch das Bodenloch zieht er sich hinauf in den Gaden,wo er schläft.Res taucht gerade seinen Kopf durch das Loch, als er im flackernden Licht der Öllampe eine Gestalt erblickt. Lang ausgestreckt liegt einer auf seinem Bett.
Res blinzelt, und die Gestalt ist weg. Immer wieder passiert ihm das, im Gaden, im Tenn oder im Stall, und er weiss nicht, ob es seine Augen sind.
Die ungewaschenen Laken, in die Res steigt, nachdem er die immer noch feuchte Stallhose, nicht aber das Hemd, ausgezogen hat, sind leer und kalt.
Den nächsten Tag verbringt Schlatter Res im Keller, vor sich einen klafterhohen Berg staubiger Kartoffeln. Er sitzt auf dem Melkschemel und nimmt die Knollen einzeln in die Hand, um Triebe wegzubrechen. Dass die jetzt keimen müssen, viel zu früh, der warme Jänner wird schuld sein. Das Licht aus der russigen Öllampe reicht kaum aus, um zu sehen, was er macht. Aber die Kellertür will er nicht offen halten, es gefrieren ihm sonst die Zwiebeln. Der Kartoffelhaufen ist heuer grösser als in manchem Jahr. Auch Äpfel sind noch viele, die bleiben aber nicht mehr lange gut.
Das Alleinsein macht Res nichts aus.Am liebsten sind ihm die Tage, an denen sich keiner zeigt. Nicht einmal den Nachbarn ist zu trauen, kaum kehrt er ihnen den Rücken, treiben sie sich auf seinem Land herum. Nachts laufen sie in den Obstgarten, um Äpfel und Birnen zu stehlen. Es nützt nichts, ihnen hinterher zu fluchen und zu drohen. Sie lachen ihm geradewegs ins Gesicht und behaupten, sie seien auf der Suche nach einem verirrten Kalb, wenn er sie hinterm Haus erwischt, wo sie Eier stehlen oder ein Huhn. Und wer weiss, wird eines Tages einer grob und tut ihm etwas an.
Trotzdem muss er sich in Kürze nach Gehausleuten umsehen, die ihm beim Zinsen helfen. Eine Verwandte aus Ursenbach hat fragen lassen, ob Platz wäre, und es sollte sich bald einer zeigen von deren Leuten.
Um die Mittagszeit tritt Res hinters Haus und blickt den Hang hinauf zum Wald, von wo er Stimmen hört. Am Horizont, zur Multenweid hin, sieht er eine fremde Gestalt über die Wiesen gehen. Die Fussstapfen auf dem Weg vom Graben zum Haus sind aber bloss seine eigenen. Hinter dem Stall haben die Schafe den Schnee zertreten und bräunlich gefärbt. Noch immer liegt Schnee und ist die Erde nass. Wenn sich jetzt aber bald einmal die Sonne durchsetzt, muss alle Arbeit auf einmal getan werden. Res geht in die Küche, wo er von der Milch und vom Mus nimmt und sich damit in seine Stube setzt.
20 Minuten Zeitung, 05. September 2017
St. Galler Tagblatt. 30. September 2017
Luzerner Zeitung, 30. September 2017
Wochen-Zeitung für das Emmental und Entlebuch, 2. November 2017
Berner Zeitung, 7. November 2017
Deutscher Bibliotheksdienst ekz, 6. November 2017
Der Bund, 14. Dezember 2017
Münstergass Buchhandlung Buchtipp, 5. Februar 2018
Sempacher Woche, 8. Februar 2018
P.S. Zeitung, 2. März 2018
Schule und Leben, 19. März 2018
Der Bund, 30. Mai 2018
Swissinfo, 30. Mai 2018
Berner Zeitung, 30. Mai 2018
Schweizer Buchjahr, 18. Juni 2018
Lesefieber.ch, 15. November 2018
«Das bäuerliche Drama, das sich tatsächlich so abgespielt hat, wird sehr eindrücklich und bildstark erzählt.» 20 Minuten Zeitung
«Barbara Lutz zeichnet die Figuren faszinierend anschaulich und fein. Sie erklärt nichts, zeigt nur, so dass man die Figuren mehr spürt als versteht. Eine wohltuende Abwechslung zu jenen historischen Romanen, die zu oft geschwätzig und dadurch langweilig sind.» St. Galler Tagblatt
«Obwohl der Ausgang der Geschichte von Anfang an durch Zitate aus historischen Quellen offengelegt wird, liest sich ‹Keinen Seufzer wert› ungemein spannend.» Neue Luzerner Zeitung
«Besonderes Merkmal sind die fein herausgearbeiteten Charaktere und die präzise Sprache, die die Geschichte spürbar machen. Breit empfohlen.» Deutscher Bibliotheksdienst ekz
«Der Roman fesselt vor allem durch seine stilistische Prägnanz. Er ist in einem eindringlichen und doch unaufgeregten Stil verfasst, ganz ohne Pathos. Genau deswegen vermögen die Schilderungen der täglichen Entbehrungen, der Freudlosigkeit des Lebens und der Sprachlosigkeit der Protagonisten zu berühren.» Der Bund
«Atmosphärisch dicht, sinnlich und stilistisch hervorragend.» Schule und Leben
«Die Autorin beschwört eine bedrückende und traurige Seite damaliger bäuerlicher Lebensgemeinschaften. Subtil gezeichnete Charaktere, eindringlich geschilderte Landschaft und die Darstellung damaliger Wohn-und Lebensverhältnisse zeigen, wie hart das Leben damals war, sicher nicht nur im Emmental.» Sempacher Woche
«Dies ist kein Roman über die eruptiven Ereignisse, die Mörder vor Strafrichter bringen, sondern über das Kontinuum von Alltagswelt und Alltagspraxis, aus dem solche Eruptionen erst herausragen können wie alpine Gipfel aus Nebelmeeren.» Schweizer Buchjahr