Der Schwan und die Schaukel /Il cigno e l\
Pietro De Marchi

Der Schwan und die Schaukel /Il cigno e l'altalena

Gedichte und Prosastücke 1990-2008 Italienisch und deutsch

Übersetzt von Christoph Ferber / Mit einem Nachwort von Fabio Pusterla / Ausgewählt von Christoph Ferber

216 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
1., Aufl., April 2009
SFr. 38.–, 38.– €
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978-3-85791-580-2

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Pietro De Marchis Poesie richtet den Blick auf Alltägliches und Absonderliches in der Welt, aber die grossen Themen wie Leben und Tod scheinen immer darin auf, sie werden sichtbar in der Konfrontation von Schönheit und Schmerz. Oft durchzieht eine leichte Ironie seine Gedichte, in der Gegenüberstellung von traumatischen Ereignissen und Alltäglich-Banalem kann der Ton aber auch bitter werden. Doch im Gesamten überwiegen heitere, manchmal auch humoristische Töne. Ob eine Erinnerung an die Kindheit oder eine Beobachtung in der Natur, immer erzählt De Marchi die Welt in lautlich wie formal subtiler Sprache, immer erscheint uns die Welt im Gespräch zwischen Klang und Bedeutung, zwischen Rhythmus und Sinn. Die rund neunzig Gedichte und Prosastücke für dieses Buch hat Christoph Ferber aus den beiden Bänden 'Parabole smorzate' und 'Replica' ausgewählt und übersetzt. Einige bisher unveröffentlichte Texte ergänzen die Ausgabe.

Pietro De Marchi

Pietro De Marchi, geboren 1958 in Seregno (Mailand), lebt seit 1984 in Zürich und lehrt dort italienische Literatur an der Universität. Er schreibt Gedichte und Kurzprosa. 1999  erschien der Gedichtband «Parabole smorzate e altri versi» mit einem Vorwort von Giorgio Orelli. Für seinen Band mit Gedichten und Prosastücken «Replica» erhielt er den Schillerpreis und eine kulturelle Auszeichnung des Kantons Zürich. «Das Orangenpapier / La carta delle arance» wurde mit dem Gottfried-Keller-Preis 2016 ausgezeichnet.

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Christoph Ferber
© Yvonne Böhler

Christoph Ferber

Geboren 1954. Aufgewachsen in Sachseln, Obwalden. Studium der Slawistik, Romanistik und Kunstgeschichte in Lausanne, Zürich und Venedig. Dort Promotion mit einer Arbeit zum russischen Symbolismus. Tätigkeit als freier Übersetzer. Wohnt auf Sizilien. 2014 Auszeichnung mit dem Spezialpreis Übersetzung des Schweizerischen Bundesamts für Kultur, 2016 dem Paul Scheerbart-Preis.

Übersetzungen, fast ausschliesslich lyrischer Texte, aus dem Italienischen (Gaspara Stampa, Vincenzo Cardarelli, Eugenio Montale, Salvatore Quasimodo, Attilio Lolini, Giorgio Orelli, Giovanni Orelli, Pietro de Marchi, Remo Fasani, Aurelio Buletti, Francesco Chiesa, aus dem Russischen (Michail Lermontow, Fjodor Tjutschew, Sinaida Hippius, Fjodor Sologub, Wjatscheslaw Iwanow, David Samojlow), dem Französischen (Stéphane Mallarmé, Werner Renfer), dem Polnischen (Juliusz Slowacki) und Bulgarischen (Dimtscho Debeljanow).

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Fabio Pusterla
© Archiv Marcos y Marcos

Fabio Pusterla

Fabio Pusterla, geboren 1957 in Mendrisio und Studium in Pavia, lebt in Norditalien und unterrichtet in Lugano am Gymnasium italienische Literatur. Er ist Lyriker, Essayist und Übersetzer aus dem Französischen und dem Portugiesischen, war Mitherausgeber der Zeitschrift «Idra». Mit seinem ersten Gedichtband «Concessione all'inverno» 1985 wurde er schlagartig bekannt. Aus dem Französischen hat er ein Grossteil des Werks von Philippe Jaccottet übersetzt.

Fabio Pusterla erhielt 1986 für sein Debüt den Premio Montale. Auch sein weiteres Werk wurde vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Premio Prezzolini und dem Premio Metauro, dem Gottfried Keller-Preis oder dem Vito Moretti Preis für sein Lebenswerk (siehe Bibliografie).

Porträt des Schriftstellers, SRF 1998: «Fabio Pusterla»

Dokumentarfilm von Francesco Ferri, 2018: «Libellula gentile – Fabio Pusterla»

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Parabole smorzate | Gedämpfte Parabeln

Parabole smorzate

Gedämpfte Parabeln

Se l’avversario è più forte che mai
se con urlo strozzato si avventa sulla palla
e affonda di diritto
e incrocia col rovescio a due mani
tu non lo assecondare nel gioco a fondo campo
perché alla lunga ti sfiata ti spompa e alla fine
non avrai scampo un suo passante
ti infilerà

Tu invece rompi il suo ritmo
smorza la palla liftala dàlle
più effetto che puoi
fa’ che ricada appena al di là della
rete.

Erweist sich der Gegner stärker denn je
oder stürzt er mit rauem Schrei auf den Ball
oder schlägt er mit stählerner Vorhand zu
und doppelt mit zwiefacher Rückhand nach
so lass ihm nicht Raum, willfahre ihm nicht im Spiel
an der Grundlinie, er weiss dich zu schwächen
auf die Dauer erschöpft er dich pumpt er dich aus
da gibt’s keinen Ausweg einen Passierball
knallt er dir rein

Du aber brich seinen Rhythmus
beschwichtige lifte den Ball gib
ihm grösstmögliche Wirkung
mach dass er möglichst
nah hinters Netz
fällt.

Il cigno e l’altalena | Der Schwan und die Schaukel

Il cigno e l’altalena

Der Schwan und die Schaukel

È fermo eppure dondola
il cigno che lento si liscia
sull’acqua di raso del lago:
lo sospinge una bava
di vento, lo raggiunge
impercettibile l’onda.
Transita al largo un kayak,
i soliti passeri a riva
saltellano, perlustrano la ghiaia.
L’alternativo con cane si allena
a lanciare in aria il bastone
per riprenderlo al volo.
Intanto tu vai dallo scivolo
all’altalena.

Es ruht oder wiegt sich
der Schwan, der sich langsam
glättet auf dem glasklaren
Wasser des Sees. Ein sanfter
Lufthauch treibt ihn voran,
eine zaudernde Woge.
Draussen ein Kajak,
und die Spatzen, wie immer,
hüpfen, durchkämmen den Kies.
Der Alternative mit Hund
übt sich im Stock-Aufwerfen
und wieder Auffangen.
Inzwischen vertauschst
du Rutschbahn mit Schaukel.

Auszug aus dem Nachwort

Gegen den Ansturm der Zeit
Zur Lyrik von Pietro De Marchi

Auszug aus dem Nachwort von Fabio Pusterla

In der Einfuhrung zu Parabole smorzate (Gedampfte Parabeln), der ersten Gedichtsammlung von Pietro De Marchi, hat Giorgio Orelli sofort im Begriff arguzia (von arguto: scharfsinnig, schlau, geistvoll, witzig) das charakterisierende Element dieses mit auserwahlter Kost genahrten Autors erkannt. Die auserwahlte Kost (wortlich: roba scelta) sind die vielen und erlesenen Werke der Weltliteratur, die De Marchi weitgehend metabolisiert hat und dem Leser auf originelle Weise, unverhohlen und eben scharfsinnig, zuruckerstattet. Der Scharfsinn ist vor allem Scharfsinn des Blicks, Ironie, die mit ihrem sanften Licht die Szenarien oder Abgrunde erhellt, in die De Marchi sich einschleicht und die er mit einem Lacheln zu ergrunden sucht, einem angesichts der vielfaltigen und widerspruchlichen Aspekte der Wirklichkeit teils heiteren, teils bitteren Lacheln. Aber gleichzeitig ist es auch Scharfsinn des Wortes, ernstes und stets knisterndes Spiel mit den Silben, mit der Modulation von meist halblauten, aber insistierenden Frequenzen, welche sozusagen von unten die Sprache eroffnen, sie in Bewegung setzen und manchmal zum Sieden bringen.

Parabole smorzate war denn auch das erste offizielle Buch von De Marchi; fur seine Freunde aber war er als Lyriker seit langem kein Unbekannter mehr, hatten doch die Erfahrungen, die in den Jahren zuvor herangereift waren, in verschiedenen, meist entlegenen und leichten , eben weniger offiziellen Veroffentlichungen Platz gefunden. Es handelte sich um Texte, die sich mit grosser Freiheit in einer Vielfalt von stilistischen Registern bewegten, die sowohl scherzhaft-komisch, als auch serios-tragisch sein konnten. Dieser Vorgeschichte verdankt sich die heitere arguzia der Parabeln, welche den Leser mit einer uberraschenden Palette poetischer Losungen konfrontieren: diese fuhren vom Kehrreim uber das Scherzgedicht, das kindliche (oder volksetymologische) Wortspiel bis hin zu Regionalismus und Dialekt. Doch all diese Ingredienzien beschranken sich nicht aufs Vorfuhren einer technischen Bravour (oft in festem Versmass und mit Reim) oder auf die Prasentation eines Kaleidoskops von Figuren und Bildern; De Marchis Scharfsinn will anderes: Er versucht, den zerbrochenen Spiegel der Welt, mit all ihren Lichtpunkten und schrecklichen Wunden, wieder zusammenzufugen, wobei aber die Dramatik weitgehend verheimlicht oder gar aufgelost wird. Die Abschwachung, die Verhullung, die gedampfte Parabel des Tennisspielers, der damit den Rhythmus seines Gegners zu brechen sucht, die Antwort auf die Rohheit der Welt mit Scharfsinn und einem alles entwaffnenden, freundlichen Lacheln: Es sind dies die Facetten von De Marchis Scharfsinn, der sogar eine Art zu leben wird, eine Art, das eigene und das Leben der anderen zu betrachten: Anteil nehmend, mit Mitleid aber auch Mitfreude , und doch heiter und aus einer Distanz, die dem Ich nur wenig Raum gewahrt. Brauchen wir das Ich, so scheint uns De Marchi zu sagen, aber nehmen wir es nicht allzu ernst, benutzen wir es in erster Linie fur das, was es wert ist: als Ausgangspunkt, als privilegiertes Observatorium.

Allein schon der Titel Gedämpfte Parabeln hatte dem Leser einiges suggerieren mussen. Die Metapher, oder vielleicht besser die Allegorie aus der Welt des Tennisspiels wird sofort, in einem der ersten Gedichte des Bandes, dem Titelgedicht, explizit. Die zweite Strophe, deren kadenzierter Rhyhtmus mit ihren kurzen, akzentuierten Silben das Toc toc des Balls wiedergibt, lautet:

Du aber brich seinen Rhythmus
beschwichtige lifte den Ball gib
ihm grosstmogliche Wirkung
mach dass er moglichst
nah hinters Netz
fallt.

Doch der Sinn des Bildes kompliziert sich, wenn man bedenkt, dass das Beschwichtige oder Dampfe auf einen Passus aus Alessandro Manzonis Verlobten hinweist, welchen De Marchi dem Gedichtband als Epigraph vorausstellt: oder er beschwichtigt, oder lasst einfach aus, je nachdem wie es ihm scheint, es diene besser der Sache (I Promessi Sposi, Kap. xxvii). Die Stelle ist bedeutsam, denn sie kann auch als Reflexion uber das Schreiben, uber die Rolle des Schriftstellers gelesen werden. Manzoni erzahlt da, wie der Bauer, der nicht schreiben kann sich jemandem anvertraut, der die Kunst des Schreibens beherrscht, einem Literaten , der die Aufgabe ubernimmt, zu interpretieren und aufs Papier zu bringen, wobei naturlich auch geandert, missverstanden, gekurzt oder auch nur an die Gepflogenheiten des Schriftverkehrs angepasst werden kann. De Marchi will uns also sagen, dass der Dichter vielleicht nur ein Mittelsmann ist, jemand, der die Wirklichkeit nur beschreibt (oder besser: schreibt ), aus ihr also etwas Schriftliches macht. Aber da die Wirklichkeit sich nicht selber sagen oder erzahlen kann, geht er das Risiko ein, sie zu verraten, zu falschen; durch die Distanz, die er notgedrungen einnehmen muss, riskiert er aber auch, zeitweise sich selbst, seine eigene Zentralitat aufzugeben.

(...)
Kunstportal Baden-Württemberg, 28. Mai 2009
NZZ am Sonntag, 31. Mai 2009
Neue Zürcher Zeitung, 8. Juli 2009
Tessiner Zeitung, 24. Dezember 2009

«Die Entdeckung einer Welt in der Welt, wieder mit Sprachkraft und Einfühlungsvermögen herausragend übersetzt von Christoph Ferber, dazu ein Nachwort, kenntnisreich und umfassend von Fabio Pusterla.» Kunstportal Baden-Württemberg

«Pietro De Marchi zeigt sich als klangsensiblen Poeten, der alltägliche Beobachtungen zu Versen von schlichter Schönheit verdichtet. Der Ton ist bisweilen herb, öfter aber von leiser Ironie durchzogen. Kindheitserinnerungen wechseln sich ab mit Naturbetrachtungen, im scheinbar Banalen spiegeln sich Zeit und Tod. Die zweisprachige Ausgabe lädt zu gedanklichen Expeditionen in eine faszinierende Welt der Lautmalerei ein.» NZZ am Sonntag

«Pietro de Marchi verzaubert das Alltägliche, indem er es festhält und damit aus dem Alltag heraushebt, es in Beziehung setzt zu Erinnerungen, fortführt in kindlich-skurrile Phantasien oder weitet zu einer transzendenten Dimension. Der Band enthält eine Vielfalt metaphorischer stills, deren Symbolgehalt sich wie natürlich ergibt aus den sparsam zusammengefügten Elementen – und aus dem, was verschwiegen wird. De Marchis verknappte Zeilen wirken wie Notizen, aufgeschrieben aus einer plötzlichen Eingebung, die Offenbarungscharakter hat. Wir kennen jene Augenblicke, in denen ‹etwas› klar zu werden scheint. Der Dichter hält dieses Etwas in Skizzen fest; unprätentiös steht es da und vibriert dennoch nach im Resonanzraum des Gemüts.
Epigramme, Annagramme – de Marchi spielt gewieft mit der Sprache. Er beherrscht den Vers, ohne sich ihm unterzuordnen; er verwendet Reim, Binnenreim, Assonanz, ohne mit den rhetorischen Mitteln zu protzen. Understatement überall.
Christoph Ferber hat mit feinem Gefühl für den Rhythmus, Sprachwitz und sanft ironischen Tonfall des Autors übersetzt. Man lässt sich gerne bezirzen von diesem Buch.» Neue Zürcher Zeitung

«Bereits der Titel, ‹Der Schwan und die Schaukel›, lässt die Stimmung einer vollendeten Poesie des Wesentlichen aufkommen. Wenn man sich in die Lektüre vertieft, wird sich der Leser von dieser Stimmung umflossen fühlen. Eine Musikalität, eingefasst in den Gedanken, der fliegt, eine durchlittene Sanftheit, eine leise Ironie, die weder dem Dichter noch dem Leser wehtut; das sind die Besonderheiten von Pietro De Marchi, eines Literaten, mit dem man nicht anders als im Einklang sein kann.» Tessiner Zeitung