Anna Ruchat
Schattenflug
Übersetzt von Maja Pflug, Jacqueline Aerne
Oktober 2012
978-3-85791-683-0
In 'Schattenflug' geht Anna Ruchat dem Tod ihres Vaters nach, der als Militärpilot tödlich verunfallte, als sie noch ein Kind war. Sie tut dies aus drei Perspektiven, in einer Art Triptychon: Zuerst aus der Sicht des Mädchens von damals, danach erzählt der Vater seine Version, und schliesslich macht sich die erwachsene Sofia-Anna auf, von heute aus den 'Hunter'-Absturz zu erforschen. Das Mädchen lebt mit der Mutter zusammen. Nur ist da noch ein grosser Abwesender. Er scheint in den trockenen Zeilen eines militärischen Rapports über einen Flugunfall zu stecken. Aus diesem Rapport dringt die Stimme ihres Vaters, der erzählt, wie es zum Absturz kam. Schliesslich versucht die erwachsene Sofia-Anna die beiden Versionen zusammenzubringen. Sie folgt den einzelnen Stationen seines letzten Flugs, wühlt in Archiven, spricht mit Menschen, die ihn gekannt haben. Sie findet ein Wesen, das menschlich ist wie ein Geist und gespensterhaft wie ein Mensch.
© Yvonne Boehler
Anna Ruchat
Anna Ruchat, 1959 in Zürich geboren, im Tessin und in Rom aufgewachsen, studierte Philosophie und deutsche Literatur in Pavia und Zürich. Langjährige Tätigkeit als Übersetzerin u. a. von Thomas Bernhard, Paul Celan, Nelly Sachs, Friedrich Dürrenmatt, Viktor Klemperer, Mariella Mehr, Kathrin Schmidt und Norbert Gstrein. Für ihr Erzähldebut «Die beiden Türen der Welt» erhielt sie in Italien den Publikumspreis Premio Chiara und in der Schweiz den Schillerpreis. 2019 wurde sie mit dem Schweizer Literaturpreis ausgezeichnet. Sie unterrichtet an der Europäischen Übersetzerschule in Mailand. Anna Ruchat lebt in Riva San Vitale und Pavia.© Georg Pflug
Maja Pflug
Geboren in Bad Kissingen, Übersetzerausbildung in München, Florenz und London, übersetzt seit über dreissig Jahren italienische Literatur ins Deutsche, u.a. P.P. Pasolini, Cesare Pavese, Natalia Ginzburg, Fabrizia Ramondino, Rosetta Loy, Alberto Nessi, Anna Felder, Giovanni Orelli und Anna Ruchat. Als Autorin veröffentlichte sie 1995 «Natalia Ginzburg. Eine Biographie», die auch ins Italienische übersetzt wurde. Sie lebt in München und Rom. Sie wurde 1987 mit dem Premio Montecchio, 1999 mit dem Christoph-Martin-Wieland-Übersetzerpreis und 2007 mit dem Jane Scatcherd-Preis ausgezeichnet. 2011 erhält sie für ihr Lebenswerk den Deutsch-Italienischen Übersetzerpreis.Jacqueline Aerne
Geboren 1964, wuchs dreisprachig in Ascona auf. Studium der Italianistik, Kunstgeschichte und Germanistik an den Universitäten Basel und Bologna. Seit 1996 als freie Übersetzerin tätig. Verschiedene Lehraufträge für Italienisch und literarische Übersetzung.Für meine Mutter et à toi qui ne pourras pas lire ce livre
et à toi qui ne pourras pas lire ce livre
53 Sekunden vom Moment an, als du den Stillstand des Triebwerks bemerkt hast, und dem Aufprall am Boden. Warst du in jenen 53 Sekunden wirklich auf konkrete Lösungen konzentriert? Und die Warnsignale, hattest du sie unter Kontrolle? Wie viele Militärpiloten sind in der Schweiz in jenem Jahr abgestürzt? Sieben. Du hattest versprochen zurückzukommen. Du hattest versprochen, mit dem Kind auf den Spielplatz zu gehen, während sie sich auf ihr Diplom vorbereitet. Um dann mit ihr wegzuziehen, und dem Kind. Elfenbeinküste, hattet ihr entschieden. Du hattest ihr weitere Kinder versprochen, viele Kinder. Aber da liegen 53 Sekunden zwischen dir und künftigen Kindern, zwischen dir und dem kleinen Kind, zwischen dir und Afrika, zwischen dir und Gérard de Nerval und Albert Camus, zwischen dir und Bachs 51. Kantate, zwischen dir und Toledo und Salamanca, zwischen dir und der Agenda von 1959 und von 1961. Meiringen, der Kanton Bern, das Land deiner Mutter unter deinen Füßen – unter deinen Augen. Wie viel Zeit liegt in den 53 Sekunden, die dich von der Erde trennen? 53 Sekunden, sechs Kilometer von der Piste entfernt, und bereits ohne Funkkontakt. Eine kurze Vergangenheit und eine Zukunft, die heute immer noch anhält, dort ist alles verdichtet, in jenen 53 Sekunden; 53 Sekunden, ausgedehnt in eine endlose Zeit, eine Zeit, die unwichtig wäre, wäre da nicht diese geringe Distanz zum Boden.
Der Sonntag, 18. November 2012
Literaturclub, 20. November 2012 (Buchtipp von Hildegard E. Keller)
Tessiner Zeitung, 23. November 2012
Frankfurter Rundschau, 11. Dezember 2012
Neue Luzerner Zeitung, 13. Dezember 2012
ekz Bibliotheksdienst, 24. Dezember 2012
Buchmagazin.ch, 16. Januar 2013
Berner Zeitung, 24. Januar 2013
lesefieber.ch, 25. Januar 2013
Neue Zürcher Zeitung, 30. Januar 2013
Radio SRF, Sendung «Reflexe», 14. Februar 2013
LiteraturKurirer (Deutschlandfunk), 14. Februar 2013 Buchmagazin.ch, Sonderausgabe Genf 2013
SRF Literatur, Kopf der Woche, 8. Januar 2019
«Die Sätze entstammen dem Unfallprotokoll des Vaters, der als Militärpilot tödlich verunglückte und seine Frau mit dem gemeinsamen Kind zurückliess. Der Stoff ist nicht fiktiv. Vielmehr hat Ruchat in ihrem neuen Buch die eigene Biografie literarische erkundet. Und allein schon, dass sie dafür statt Pathos eine ganz eigene Form wählte, mach den schmalen Band mehr als lesenswert.» Der Sonntag
«Das Gequälte und zugleich das Zwingende, sich mit dem Tod des Vaters zu beschäftigen, [...] wird hier zu einem ungewöhnlichen Stück Literatur. Nicht klagend, nicht einmal übermäßig poetisch, eher: um Genauigkeit bemüht, dem Prozess langsamen Begreifens sprachlichen Ausdruck zu geben.» Frankfurter Rundschau
«‹Schattenflug› ist ein dünnes, stilles Buch, das die Tragik der Ereignisse aus Distanz berichtet. Anna Ruchat hat dafür einen sehr persönlichen Ton gefunden, der weder ins Plaudern gerät noch die Emotionen anfeuert.» Neue Luzerner Zeitung
«‹Schattenflug› ist eine berührende Spurensuche: formal konzentriert, sprachlich kraftvoll. Im packenden Mix von Fakten und Gefühlen wird der Vater vom Phantom zum Menschen.» SRF Literatur
«Ein stilles, trauriges und intensives Buch.» ekz Bibliotheksdienst
«‹Schattenflug› gleicht einem verspäteten, dafür umso heftigeren Vulkanausbruch. Die dichten Monologe und Dialoge, die um Verlust und Verdrängung, um Zufall und Schicksal kreisen, permanent gebrochen durch die kursiv gesetzte Protokollsprache, sind von grosser Intensität und stupender Wahrhaftigkeit.» Berner Zeitung
«Eine berührende Annäherung an die Wahrheit, welche im Leben eines jeden Menschen eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt. Grossartig kann die Autorin ihren Vater aufleben und schliesslich sterben lassen und reift an ihrem Schicksal. Es ist ein Geschenk, das sie uns daran teilhaben lässt, ein kostbares Buch.» lesefieber.ch
«Bewundernswert ist die Diskretion dieser Annäherungen, die dennoch eine grosse Intensität entfalten. ... Mit suggestiver Kraft zeichnet Ruchat den schmerzhaften Prozess der Erinnerung nach. Ihr zurückgenommener Stil und die sparsam instrumentierte Sprache unterstreichen das Tastende, Behutsame dieser Bewegung. Das bedrohliche Phantom gewinnt Konturen. Am Ende ist der Vater mehr als nur ein dunkler Schatten.» Neue Zürcher Zeitung